Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe


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vorüber, dann verschwinden sie im Dunkel – es schneiet Blüten, die Geister müssen weichen.

      Aus dem offenen Fenster wirft der Erzähler seine Feder jauchzend in die Nacht hinaus:

      »Was mir der Winter hat Leids getan,

       Das klag ich diesem Sommer an!«

       Memento vivere!

       Inhaltsverzeichnis

       Eine Geschichte in zwölf Briefen

       Erster Brief

       Zweiter Brief

       Dritter Brief

       Vierter Brief

       Fünfter Brief

       Sechster Brief

       Siebenter Brief

       Achter Brief

       Neunter Brief

       Zehnter Brief

       Elfter Brief

       Zwölfter Brief

      Vorüber war der große Sturm gezogen,

       Der Himmel leuchtete in roter Glut;

       Gen Westen all die schwarzen Wolken flogen,

       Und jedes Dasein faßte neuen Mut.

       Nicht hat die Windsbraut mehr den Wald gebogen,

       Nicht rauschte mehr des Regens wilde Flut; –

       Der Schönheit Sieg! Vor trat sie aus dem Dunkeln,

       Ein Duft und Klang – ein Leuchten und ein Funkeln!

      Tief, tief im Wald lehnt’ ich am moos’gen Baume

       Und sah, wie Abendsonn’ und holder Schatten

       Sich neckten lieblich auf demselben Raume,

       Sah, wie die Tropfen glänzten auf den Matten! –

       Und als der Wald erwacht aus wildem Traume,

       Und alle Dinge Ruh gefunden hatten,

       Da fühlt’ ich mit dem Wald mein Herz erhoben

       Aus tiefster Schwermut, die es bang umwoben!

      Vom Vaterland hab’ ich den Tag geträumet,

       Eh’ kam der Sturm, und als der Sturm gekommen; –

       Und was gethan ward, und was ward versäumet,

       Was von den Tapfern, Treuen, Edlen, Frommen

       Den Feigen, Falschen, Schlechten eingeräumet,

       Das hat mir ganz die Seele eingenommen!

       Versunken war ich ganz in Schmerz und Grimme,

       Bis in dem Donner weckt’ mich eine Stimme.

      Ja, eine Stimme war im großen Wetter,

       Und durch den Sturm vernahm ich diese Worte:

       »Zur rechten Zeit wird kommen doch der Retter!

       Zur rechten Zeit, und an dem rechten Orte!

       Im Buch des Schicksals wenden sich die Blätter;

       Verzweifelt nicht an euch und euerm Horte!

       Die Rüstung nehmt! – es wird ein blutig Tagen,

       Bald wird die Schlacht, die große Schlacht geschlagen!«

      Auf wilden Aufruhr, welch ein holdes Schweigen!

       Der Tropfen fällt, im Dunkel rauscht der Bronne, –

       Vorbei, vorbei! Jetzt will der Tag sich neigen,

       Auf steigt der Mond, und nieder sinkt die Sonne.

       Wie klingt es süß melodisch in den Zweigen,

       Wie schlägt das Herz, halb ängstlich, halb in Wonne!

       Die Nachtigall, die hat ihr Lied begonnen,

       Ein neues Märchen hab’ ich mir gewonnen!

      Wolfenbüttel, 1859.

      Erster Brief.

       Inhaltsverzeichnis

       Sachsenhagen, am 1. Mai

      So bin ich denn glücklich hier angelangt, teurer Freund, und wenn die Götter es wollen, so mag von nun an mein Leben sanft und leise dahin fließen, und halkyonische Bläue über meinen Tagen leuchten. Ich bin mit meiner häuslichen Einrichtung beinahe vollständig fertig, und es ist damit bei weitem besser ergangen, als ich mir vorstellte. Die Bücherkiste ist ausgepackt, und der ziemlich moderduftige Inhalt derselben in Reih und Glied aufmarschiert; ich weiß, auf welche Art das Thürschloß am besten sich schließen, und durch welchen Handgriff die Fenster am leichtesten sich öffnen lassen. Meine Pfeifen, meine Büchse und Hirschfänger haben ihre Plätze erhalten; – kurz alles ist in der besten Ordnung, und ich fühle mich sehr behaglich.

      Es ist Mittwoch, und ein prachtvoller Frühlingsnachmittag; die Schule liegt so still da, wie ein ausgeflogenes Vogelnest, und der alte Famulus in Hemdsärmeln guckt aus dem Fenster neben der Eingangsthür und lüftet grüßend die weiße Zipfelmütze, als er seinen jüngsten Kollaborator gegenüber erblickt.

      Doch ich muß Dir, mein Sever, schildern, was ich von meinem Fenster aus erblicke. Ein hübsches Bild! Auf einen ziemlich viereckigen schattigen Platz schaue ich hinunter, den Schulplatz, welcher nicht immer so einsam ist, wie zu dieser Stunde, sondern oft sehr lebendig, wimmelnd von den jugendlichen Scharen, welche das langgestreckte niedrige Steingebäude drüben anzieht und ausschickt. Dieses langgestreckte niedrige Gebäude, um dessen Thore und Nebenpförtchen sich üppiger Epheu windet, ist das Gymnasium. Gerade aus über den Platz schreit’ ich darauf los. Zur Rechten – von meinem Fenster aus gesehen – ist die Aussicht begrenzt durch die Kirche des Städtchens; – die Jugend hat ein gottgefälliges Talent, Gräber nieder zu treten: der Schulplatz ist ein alter Kirchhof. Nur einige steinerne Monumente, hie und da unter den Kastanien und Linden zerstreut, zeugen noch von der früheren Bestimmung dieses Ortes.

      Zur Linken meiner Wohnung befindet sich das Spritzenhaus der Stadt, und über dichte Bäume schauen die Giebelspitzen einiger Bürgerhäuser, aus deren Schornsteinen gewöhnlich ein nahrhafter Rauch emporsteigt; Sachsenhagen ist eine wohlbehäbige Stadt, deren Einwohner und Einwohnerinnen sich nichts am Leibe abgehen lassen.

      Ach Sever, wie wohl ist mir zu Mute!

      Schmetterlinge flattern um die eben sich öffnenden Kastanienblüten; Sperlingsvolk zwitschert lustig dazwischen; Schwalben schießen blitzschnell umher und gleichen Ankömmlingen in einer großen Stadt, die nach den aushängenden Mietzetteln an den Häusern sehen und zweifelhaft sind, wo sie ihr Unterkommen suchen sollen, und welche eine