Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe


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eine fränkische Mutter diesen Tag verfluchen! und dann warst Du in dem Hohlweg, uns zur linken Seite, verschwunden. Wir lauschten allesamt auf das angestrengteste, bereit, beim geringsten verdächtigen Geräusch aufzuspringen und Dir nachzueilen. Aber wir vernahmen nichts und nach einer halben Stunde kehrtest Du zurück und ließest Dich schweigend wieder nieder neben uns. Die Genossen lächelten ein wenig, doch Du achtetest nicht darauf. Als Du wieder an meiner Seite Dich ausstrecktest, sagtest Du vor Dich hin: Nein, es sollte nicht sein. Weiß der Teufel, wie zwanzig Schritt von einem Kleeblatt französischer Voltigeure einen das Picken einer Wanduhr an einem guten Werke hindern kann.

      Das Picken einer Wanduhr? fragte ich.

      Jawohl, jawohl! Sie lagen ganz ruhig um ihre glimmenden Kohlen, und zwanzig Schritte davon über ihnen im Gebüsch saß ich – bei Gott! ihr Leben war in meiner Hand. Ich brauchte nur hineinzugreifen wie in ein Vogelnest mit unflüggen Jungen. Schon lag die Büchse an der Wange und der Hirschfänger gezogen neben mir. Ein Fingerdruck, zwei Sprünge und zwei Stöße, die Sache war gethan. Aber in demselben Augenblick schlug die Uhr im entfernten Dorfe Vier, und mit ihr schnurrte unsere alte Wanduhr hinter dem Ofen daheim ab und deutlich vernahm ich ihren so wohlbekannten Schlag, und dann sagte meine Mutter dicht neben mir: O Sever, o wüßtest Du doch, wie eine Mutter weint! – Es waren drei blutjunge Knaben neben den glimmenden Kohlen und einer der unvorsichtigen Tölpel warf sich unruhig im Schlaf herum und rief angstvoll: Ma mère, ma mère, sauvez-moi! – Auf dem Bauche kroch ich wieder ab und liege nun hier wie ein großer Narr; – der tote Robert möge es mir vergeben!«

      So sprachest Du, Sever; am nächsten Morgen aber schossest Du einen Gardekürassier vom Gaul und stießest einem Artilleristen über seiner Kanone den Hirschfänger in die Brust.

      Vale!

       Fritz.

      Dritter Brief.

       Inhaltsverzeichnis

       Sachsenhagen, am 5. Juni 1816.

      Dein Brief hat mich recht betrübt und erschreckt, Sever. Wie finster siehst Du doch in unsere deutsche Zukunft! Alle unsere Ideale wären nur vermummte Hexen, welche bald ihre glänzenden Gewänder abwerfen und in nackter Häßlichkeit uns anhöhnen würden ob unserer Leichtgläubigkeit?

      O mein armer Freund, bist Du nicht ganz wie Dein Namensvetter, der römische Kaiser Alexander Severus, welcher auch so große Schlachten gewonnen, so viele innere und äußere Feinde niedergeworfen hatte und doch in der Tiefe seines Herzens an den Untergang seines Volkes, seines Weltreiches glaubte; – der so viele schöne heitere Götter und Göttinnen in seinem Lararium hatte und doch das Bild des Mannes aus dem verachteten Volk der Juden, das Bild des gekreuzigten Jesu dazwischen aufstellte –?

      Er hatte recht; aber Du hast nicht recht, Sever! Sever, ich kann Dir nicht glauben, ich will Dir nicht glauben.

      Wenn ich die Kraft und Macht anschaue, welche aus dem Boden wächst in dem Volke, welchem Gott diesen Boden im Herzen von Europa gegeben hat; so kann ich nun und nimmermehr mir denken, daß alle die Macht und Kraft nur dazu wachse, um als verspottetes Spielzeug und Tändelwerk zu dienen in den Händen weniger kindischer Pfaffen, Höflinge, Weiber, Diplomaten und blödsinniger Kriegsknechte!

      Sever, ich glaube an mein Volk, und Du sollst auch daran glauben. Und Du glaubst auch daran, die Zeit des Halbschlummers nach den großen Mühen nach der gewaltigen Arbeit liegt Dir nur ein wenig schwer in den Gliedern; Du bist nicht dazu gemacht, im Halbschlaf zu liegen, gleich anderen Leuten, die sich über ihre Kräfte angestrengt haben, so wie ich. Trotz meiner Bekümmernis über Deinen wilden Brief hab’ ich doch fast lachen müssen über eine Zeile desselben, in welcher Du schreibst: Du hörest meine Wiegenlieder gern und ich möge weiter singen; Dein Herz bedürfe der Ruhe und es sei Sturm in Dir. – Ach liebster Freund, wie gern will ich das; aber besser wär’s, viel besser, Du suchtest um Dich her, daß Du zwei sanfte Augen und einen süßen Mund und eine weiche Hand fändest, welche die finsteren Falten Dir von der Stirn schmeicheln und Dich bitten dürften, nicht die Nächte durch zu sitzen über dem Juvenal, dem Machiavell und den Zeitungsartikeln des Herrn von Gentz. Vorgestern stand ich auf einem Berg – einer kahlen, nur mit kurzem Gras und vereinzeltem Gestrüpp bewachsenen Höhe, erhaben über allen Wipfeln und Gipfeln bis in die blaueste Ferne. Ich stand und blickte hinab auf das nahe Grün und das ferne Blau und achtete auf das Aufblitzen der Gewässer in der Ebene, die südwärts hinter dem Gebirge sich dehnt. Da stand plötzlich ein alter grauer Mann, der seine Holzaxt auf der Schulter trug, neben mir und redete mich so unversehens an und grüßte mich, daß ich ordentlich erschrak. Er kam mir aber gerade recht, um mir die Gegend zu deuten. Manche Berggipfel und Höhenzüge, manche Kirchtürme nannte er mir mit Namen und endlich sagte er:

      »Ja, Herr, ist das nicht so schön, daß man seine Braut daraus holen möchte?«

      Ich blickte den Alten betroffen über das sinnige Wort an. Er wußte gewiß selbst nicht, wie recht er das Gefühl getroffen hatte, welches an einer solchen Stelle eine Menschenbrust bewegen kann. Eine schöne, gute Braut ist wohl das höchste Glück, welches einem Menschen auf Erden zu Teil werden mag, und nun stehst Du, und ein Erdenwinkel liegt vor Deinen Augen hingebreitet in wonniger Schönheit, in Duft und Glanz, süß und milde; – und Du bist einsam und allein und ein unbekanntes Glück, das Du ahnst, wohnt drunten im Thal. –

      Man möchte seine Braut daraus holen!

      »Aber nun zeigt mir doch die Stelle, wo Sachsenhagen liegt, mein Wohnort. Im Heraufklettern hab’ ich es verloren und kann es nicht wiederfinden,« sprach ich zu meinem Alten. Er zeigte mir gegen Norden ein funkelndes Pünktchen. Das war der Kirchenknopf des guten Städtleins. Ich weiß nicht, in diesem Augenblick schien mir aller Glanz der Landschaft von dem flimmernden Punkt auszugehen; zum erstenmal fühlte ich, daß ich in der Stadt Sachsenhagen mir eine Heimat erworben habe. Ein Handwerksburschenlied, welches von der Lust des Wanderns Bericht giebt, kam mir zur rechten-unrechten Zeit in den Sinn, und ich summte einige Strophen davon, während ich mit meinem alten Waldarbeiter bergab stieg. Ich mußte doch meinem eben beschriebenen Heimatsgefühl Worte geben!

      Bald hatten wir die kahle Höhe über uns, und der Wald nahm uns wieder auf, das Rauschen des Waldbaches klang leise aus der Tiefe zu uns empor. Bald aber wurde diese Melodie der grünen Einsamkeit lauter und lustiger; wir erreichten den Pfad, welcher an dem Bache herführt und folgten ihm. Mein Führer erzählte mir, wie dieses kalte, klare Wasser weiter oben, tiefer in den Bergen aus einer dunklen Grotte entspringe, in welche ein Mann wohl ein gut Stück hineinkriechen könne; er – der Erzähler – habe das auch versucht; denn »der Mensche ist ein neugierig Tier, Herre,« – aber die Angst habe ihn bald wieder aus der unheimlichen Finsternis zurück getrieben, und er habe das Geheimnis des Berges nicht enträtselt. Mit der Dämmerung gelangten wir in das Dorf Walkenheim, wo mein Alter zu Haus war. Jubelnd liefen ihm seine Enkel entgegen. Ein frisches Büblein nahm ihm die blanke Axt aus der Hand und trug sie stolz uns vorauf; ein kleines Mädchen faßte die Hand des Großvaters und warf scheue verwunderte Blicke auf den fremden Begleiter. Die Gewächse, welche ich für das Herbarium, das ich hier anlegen will (ich verstehe weniger davon, als der Wiener Kongreß von der Weltgeschichte) gepflückt hatte, riß mir die Ziege, welche mit den Kindern uns entgegengekommen war, aus der Hand und verspeiste sie mit gutem Appetit. Im Innern der Hütte aber saß am kalten Ofen eine zusammengekauerte Frauengestalt, und blickte wirr auf, als ich eintrat und sagte mit angstvollster, klagender Stimme:

      »Habt Ihr den Karl nicht gesehen? Habt Ihr keinen Brief für mich vom armen Karl?«

      »Meine Schwiegertochter!« sagte der Alte finster. »Mit den Westfalen hat mein Sohn mit gemußt nach Rußland und ist nimmer heimgekehrt. Die Arme weiß nur noch diese Worte.«

      An der Hüttenthür nahm ich traurig Abschied von dem Großvater und seiner Familie und versprach durch Handschlag, wieder vorzusprechen.

      In dunkler Nacht erst erreichte ich mein Städtlein. Die Fledermäuse umflatterten mich, die Frösche quakten in den Gräben, die Nachtigall klagte im Gebüsch, die Grillen zirpten, als ich