herum, fand gleich den Meister in der Dämmerung heraus und that frei den Mund auf, bei Donner, Blitz und Wolkenbruch, das löbliche Handwerk zu begrüßen:
»Guten Tag, Glück herein, Gott ehre das Handwerk! Meister, ich wollt’ angesprochen haben von wegen des Handwerks, ob Ihr mich und meinen Bündel wollt beherbergen, daß ich mit Gott und Ehren kann weiter kommen?«
Der Meister bedachte sich gar nicht, sondern sprach:
»Willkommen, Schmied, leg’ ab!«
Und der Gesell trug nach den Lehren der »Vorsage« sein Ränzel nicht in die Stube, sondern legte es unter die Hammerbank, denn: »verliert der Herr Vater seine Hämmer nicht, so wirst Du Deinen Bündel auch nicht verlieren.«
Darauf wischte er sich den Schweiß von der Stirn und grüßte nun auch uns andere sittsam und höflich. Er sah recht dabei aus, wie es im Gruß der Schmiedegesellen heißt von dem Fremden:
»Hast einen feinen meisterlichen Bart,
Eine feine meisterliche Art,
Eine feine meisterliche Gestalt,
Du bist weder zu jung noch zu alt.«
Der Meister Bart hielt streng auf die alten Gebräuche, und ein jeglicher von uns anderen schwieg still und lauschte, wie das Gespräch zwischen den beiden Handwerksgenossen in uralter Form, in Reimen und in ungebundener Rede – Frage und Antwort – sich weiter spann. Wir anderen erfuhren dabei doch, was uns zu wissen nötig war; – nämlich, daß der junge Gesell Otto Hennig heiße, daß er aus der alten Stadt Braunschweig und ein Meistersohn sei, daß er gern Arbeit nehmen wolle hier am Ort, wenn solche zu haben sei, – und so weiter. Und der Meister Bart, welchem sein Gesell in vergangener Woche abgegangen war, und welchem die Arbeit schwer auf den Armen lag, war froh genug, den schwarzen Lockenkopf, der ihm da eben in die Thür schaute, zu fassen. Das Feuer war unter der Zeit wieder aufgewacht, und ein neues glühendes Eisen kam auf den Ambos. Allerorts stellt sich das deutsche Volk wieder bei seiner gewohnten Arbeit ein. Der Hennig trat sogleich dazu, faßte einen Hammer und schlug zum Zeichen, daß er ein rechter Schmied, ein-oder zweimal mit. Dann aber wurde Feierabend gemacht. Das Wetter hatte sich allgemach verzogen; aber es regnete noch immer tüchtig. Der Meister Bart schickte den Lehrjungen nach einem Trunk aus und wollte durchaus nichts davon wissen, daß ich mich jetzt entferne. Gern blieb ich noch sitzen bei den wackern Leuten; während der neue Gesell nähere Kundschaft von sich und der Heimat gab.
Er war unter den schwarzen Jägern seines tapfern Herzogs Wilhelm ebenfalls mit in dem heiligen Kriege gewesen, bei Quatrebras und bei Waterloo. Nun erzählte er, wie die echten Welfen so gern fielen auf dem Schlachtfelde.
Der Leutnant on half pay Bart, welcher das Haus Hannover auf dem englischen Königsthron kennen gelernt hatte, fluchte und brummte ein wenig in den Bart zu dieser Anmerkung des neuen Hausgenossen, so, daß dieser wiederholte und ausdrücklich vormerkte, er spreche nur von den echten Welfen. – Dann fuhr er fort in seinem Bericht und erzählte, wie er mit unter den Reitern gewesen sei, welche die stolze Leiche des wilden, schwarzen, treuen Herzogs heimgeführt hätten in die alte Niedersachsenstadt Braunschweig, wo im Dom zu Sankt Blasius seit tausend Jahren fast die Männer ruhen, welche das Roß des Wittekind in Schild und Banner führen.
So erzählte der Handwerksgesell:
»Über Antwerpen, Herzogenbusch, Grave, Cleve, Münster, Osnabrück und Hannover ritten wir in Trauer und Schmerz, die blanken Säbel in der Faust, vor und hinter dem Leichenwagen. Und in der Nacht des zweiundzwanzigsten Junius im vergangenen Jahre kamen wir um ein Uhr vor dem Petrithore an. Da war ein großes Menschengesumm in der Finsternis und alle Glocken von allen Türmen in der Stadt läuteten zur Trauer; über alle aber klagte die große Betglocke vom Dom. Da spannten nun die Bürger die Pferde von dem Leichenwagen und zogen ihn selbst in allertiefster Stille in das Thor und durch die Gassen bis vor das Schloß. Da hörte man keinen Laut außer dem Schluchzen von Männern und Weibern, und dem Hufschlag der Pferde und dem Klirren der Waffen. Es war das ganze Volk in den Straßen und die Nacht war ganz dunkel, – kein Stern und kein Mond schien vom Himmel, und ein jeder, der dazu kommen konnte, hielt die Hand an den Sarg des Fürsten.«
»Es hat sich ja wohl mancherlei mit Ahnungen und solchen Dingen ereignet im Schloß zu Braunschweig, ehe der Herzog auszog?« fragte der Schmied.
»Man sagt so,« antwortete Otto Hennig. »Der Herzog hat oft genug bei nächtlicher Arbeit ein Klopfen an den Thüren gehört, und wenn er ging zu öffnen, ist nimmer wer dagewesen. Das war vor seines Vaters Tode auch so.«
»Ja, ja, und ich hab’ auch gehört, in der Nacht, als man den toten Herzog in der Gruft zu Sankt Blasien beigesetzt hat, hat man eine weiße Gestalt verhüllt sitzen sehen am Kopfende des Sarges. Ist dem so?«
»Man sagt so, Meister; aber niemand weiß, wie es darum ist.«
»Haltet das Maul,« rief der Leutnant. »Der Herzog Wilhelm von Braunschweig war ein wackerer Held und Mann, was wird sich der mit Geistern und Gespenstern abgeben. Der hatte wahrhaftig keine Zeit dazu …«
Er brach ab, die Anna stand plötzlich mitten unter uns und legte dem alten Legionär die Hand auf die Schulter, zitternd am ganzen Körper.
»O Vater, was sagst Du?« rief sie mit dem Ausdruck der höchsten Angst, der fieberhaftesten Erregung. »Du sagst, es seien nicht Geister, nicht revenants? Voyez, voyez là là! O Vater, was quälen sie denn die arme, arme Anna so, wenn sie nicht sind? Weshalb steigen sie überall um sie her empor aus dem Boden und winken und zeigen ihre Wunden? Malheur, malheur! O Vater, Vater rette die arme Anna, la pauvre Anne, von den Geistern!«
Das junge Mädchen stürzte schreiend zu Boden und barg das Gesicht im Schoße des Leutnants. Der junge Gesell und ich standen wortlos – im tiefsten Herzen erschüttert. Der Meister Schmied schüttelte finster den Kopf, der Leutnant hob das gute, milde, runzlige Gesicht zu uns empor, indem er die weichen blonden Locken des leise fortweinenden Kindes streichelte.
»O verzeihet der Armen,« sagte er. Es kommt nicht oft, daß sie sich also gebärdet. Ein andermal will ich Euch mehr davon sagen, Kamerad.«
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Eine unnennbare Wehmut hatte sich meiner bemächtigt. Mit zarter Sorgfalt führte der Leutnant das junge Mädchen aus der Werkstatt fort. Mit stummem Händedruck nahm ich Abschied von dem Meister.
»Besucht uns manchmal, Herr Kollaborator,« sagte dieser. »Es läßt sich eigentlich gar nicht sagen und erklären, wie es um die Anne ist. Solches Wesen muß man selbst einsehen und in Erfahrung nehmen!«
Der Regen hatte vollständig aufgehört. Eine köstliche Frische war an die Stelle der erdrückenden Schwüle des Tages getreten. Die nahen Berge und Wälder sandten ihren erfrischenden Hauch über das Städtlein Sachsenhagen hin. Die Sterne flimmerten – aber der Mond blieb verborgen. Die Kinder wagten sich wieder hervor aus den Häusern und patschten barfüßig in den Wasserlachen der Gassen und die Alten erschienen ebenfalls in den Hausthüren, die Kühle einzuatmen.
Noch lange saß ich auf meiner Stube im Finstern und horchte dem melodischen Nachtröpfeln der Kastanienbäume und der Linden und dem Gesang der Nachtigall vor meinem Fenster. Dazwischen glaubte ich immer noch den Hammerklang der Schmiede zu vernehmen. Immer wieder leuchtete, von roter Glut umstrahlt, das liebliche Gesicht des armen Ännchens in mir auf. Ich hörte den wilden Schrei des Mädchens, und die Nachtigall klagte, und der Mond stieg empor – – – – – – –
Lebe wohl, Sever!
Fritz.
Fünfter Brief.
Sachsenhagen, am 29. Juli 1816.
Ich kann Deinen Brief nicht erwarten, Freund. Das Herz ist mir allzu voll. Voll zum Zerspringen.
Ich muß Dir schreiben, – o könnte ich auch zu Dir sprechen! Nun wirst Du nicht einen Brief, nein, vollständiges Manuskript