Fritz.
Sechster Brief.
Sachsenhagen, am 5. August 1816.
Was spottest Du, Sever? Was sprichst Du von phantastischem Idealismus, welchen ich in das Leben tragen soll?
Komm und schau dieses Herz und Sinn verwirrende Wesen an, und höre auf, über das Gefühl zu lachen, das unbeschreibliche Gefühl, welches sich für dieses Kind in mein Herz eingeschlichen hat.
Ich schwöre Dir, Sever, nicht Liebe ist dieses Gefühl!
Runzle nicht die Stirn, Sever, ziehe nicht die Brauen grimmig zusammen; ich werde Dir heute nichts von dem Ännchen schreiben und morgen – morgen geht sie davon – zieht sie in den Wald, in die Einsamkeit; dann – dann werde ich gar nichts mehr über sie zu schreiben haben. –
Der Blasbalg schnob, die Hämmer des Meisters und des Braunschweigers klangen, die Funken spritzten vom Ambos, die Sonne strahlte heiß hernieder und der Leutnant Bart sagte:
»Martin, kann der Bub’ uns einen Trunk holen?« Der lahme Schmied nickte lachend, und der Junge eilte auf seinen klappernden Pantoffeln davon nach der Schenke, die nicht weit von der Schmiede ihren winkenden Arm mit dem Lindwurmzeichen in die Gasse hinausstreckt.
Ich hatte den Bewohnern der Schmiede mancherlei aus meinem Leben erzählt und dann den Leutnant gefragt, auf welche Weise er unter die Engländer geraten sei. Der Leutnant hatte die Asche in seiner Pfeife niedergedrückt und vom Braunschweiger eine neue Kohle sich geben lassen. Dann hatte er seinem hämmernden Bruder zugelächelt und gesagt:
»Was meinst Du, Martin, sollen wir dem Schulmeister einmal von der Familie Bart erzählen?«
Und der Schmied hatte innegehalten mit Hämmern und genickt.
»Nur zu, Wolfgang. Warum nicht, wenn’s dem Herrn Spaß macht?!«
Somit hatte der Leutnant den Lehrjungen fortgeschickt zum Lindwurm und seine Familienchronik im Geist aufgeschlagen:
»Ja, es mag sein. So hört denn, Schulmeister, und auch Du, Braunschweiger, knöpfe die Ohren auf, es mag für Euch vielleicht eine gute Lehre darin liegen. Solche alte Geschichten, über welche lange Gras gewachsen ist, haben oft eine vortreffliche Moral für junges Volk im Nachtrab. Glaubt Ihr wohl, daß ich und der Martin dort vor Zeiten einmal recht brüderliche Todfeinde gewesen sind, und daß wir um ein Haar die Geschichte von Kain und Abel von neuem aufgeführt hätten?«
»Na, na!« brummte der Meister Schmied und zog die Achseln in die Höhe; aber der Leutnant ließ sich nicht stören und fuhr fort:
»Die Bart sind Schmiede gewesen und haben auf dieser Stelle gehämmert seit undenklichen Zeiten. Dreimal ist ihnen das Dach über den Köpfen weggebrannt. Das erstemal im dreißigjährigen Kriege, durch die Schweden, – das zweitemal durch den eigenen Landesherrn im Jahre 1686, als Gottfried Andreas Bart der Durchlaucht den Günstling erschoß, welcher dem Schmied die Braut verführen wollte. Zum drittenmal ist dieses Haus in Feuer aufgegangen im siebenjährigen Krieg durch die Kaiserlichen: aber jedesmal ist ein Eisenkopf vorhanden gewesen, welcher es wieder aufgerichtet, und den Ambos und den Familienhammer aus dem Schutt wieder aufgewühlt hat. Zeig’ den Männern den Hammer, Martin; ‘s ist ein Erbstück, worauf das adeligste Geschlecht stolz sein dürfte.«
Der Schmied humpelte nach der Wand, wo in einem leeren Raum, inmitten des übrigen Werkzeuges, ein gewichtiger Hammer, wie an einer Ehrenstelle hing. Er hatte früher schon meine Aufmerksamkeit erregt.
Leicht nahm ihn der Meister Martin herab und reichte ihn mir, mit beiden Händen mußte ich aber schnell zugreifen, damit er mir nicht auf den Fuß fiel.
»Seht das Eisen an, es steht auch ein Reim darauf,« sagte der Meister und wir traten insgesamt vor die Thür.
1555.
Alleweg trew, ohn Furcht und Schew
Johannes Bart.
stand auf dem Eisen eingegraben.
»Das ist der erste Bart, von welchem man etwas weiß; er legte den ersten Grundstein auf dieser Stelle,« sagte der Schmied. »Nun erzähle weiter, Wolfgang.«
»So hatte denn die Familie durch gute und böse Zeiten wacker sich durchgeschlagen,« sprach der Leutnant, »bis auf unsere Eltern, Christian und Christine Bart, welche zu der Zeit, wo meine und des Martin Historie, die ich Euch erzählen will, beginnt, schon hochbetagt waren. Mein Bruder ging dazumalen auf zwei graden Füßen einher, Kollaborator. Er ist zwei Jahre älter als ich. Na, wir waren ein Paar tolle Burschen damals und überall bei jedem Schwank voran; – nicht wahr, Martin?«
Der schwarze Schmied schmunzelte und nickte zur Bestätigung.
»Nun wohnte – dort in dem Hause,« fuhr der Leutnant fort, »in dem Hause da gegenüber, auf dessen Schwelle die bunte Katze in der Sonne liegt, eine Frau, deren Tochter das schönste Mädchen in der ganzen Stadt war. Wir beide Brüder Bart hatten das Hedchen aufwachsen sehen, erst mit ihr gespielt und dann uns in sie verliebt, worüber das Trauerspiel begann. Hedchen Lindner konnte keinen Gang von ihrer Mutter Schürze wegthun, ohne daß Einer von uns wegelagerte, und sie bemerkte das wohl, that aber, wie die Mädchen thun, als ob sie nichts merkte. Hei, Martin, da Du den Kranz gewonnen hast, so mag ich’s jetzt wohl sagen. Hättest Du nicht mehr Mut gehabt als ich, hättest Du ihr nicht zuerst Dein Herze ausgeschüttet, ich hätt’ sie auch wohl haben können.«
»Holla, oha, brr!« machte lachend der Schmied. »Schwör nicht zu sehr darauf, Wolfgang.« Ernster setzte er hinzu: »Die gute Seele; sie war die Krone der Weiber – Gott segne ihr ihre Kirchhofsruhe!«
»Amen!« sagte der Leutnant und seufzte, »die Krone der Weiber!«
Die beiden Brüder schwiegen eine Weile, dann schüttelte sich der Soldat und rief:
»Weiter im Texte. Der Martin und ich waren, bis das Kinderspiel sich in Liebe verwandelte, so gute Brüder gewesen, als es nur unter Gottes Sonne geben konnte; als uns aber die Augen auf solche Weise aufgegangen waren, da änderte sich das sehr, und die Mutter hatte genug zu schaffen, die Flammen zu dämpfen, welche immer wieder von Neuem zwischen uns aufschlagen wollten. Der Martin war der Stärkste von uns beiden, ich der Gelehrteste. Freilich war’s nicht weit her mit meiner Gelehrsamkeit; ich wußte soviel als man damals brauchte, um ein guter Förster zu werden. Das Schießen verstand ich schon in jener Zeit recht gut, hab’s aber nachher im Felde noch besser gelernt, und es weit genug darin gebracht. Der Martin ist auch immer der Ruhigere von uns zwei Brüdern gewesen –«
»Oho!« rief der Schmied von seinem Ambos her. »Nicht immer, Wolfgang!«
»Immer, Alter! Selbst wenn Du mir das Fell gerbtest, geschah das stets mit gemessener Ruhe und Bedachtsamkeit und Würde. Aber davon ist ja nicht die Rede, sondern von Hedwig Lindener und jenem Abend, an welchem das Gewitter ausbrach, und wir das Trauerspiel von den feindseligen Brüdern aufführten. Nachher hab’ ich das Stück von Schiller gelesen, da ist mir ein Grauen angekommen, denn woran lag’s, daß es auch mit dem Wolfgang und dem Martin nicht soweit kam, wie mit dem Manuel und Cäsar?«
»‘s ist schon eine alte Geschichte und spielt noch früher auch einmal, Leutnant,« sagte ich. »Damals hießen die zwei Brüder Eteokles und Polynikes!«
»Ach so,« sagte der Leutnant. »Ja, es mag wohl noch öfter vorkommen, man hört nur nichts davon; so denkt auch immer jeder, sein Glück oder sein Unglück sei das allergrößeste und der liebe Gott nur damit beschäftigt. Hört also, wie es ging! Es war am 11. Juni 1769. Am folgenden Morgen sollte der Martin auf die Wanderschaft gehen, sein Ränzel war gepackt, der Weißdornstock aus der Hecke hinterm Garten geschnitten und mit einer tüchtigen eisernen Stachelzwinge versehen, die Mutter hatte schon wochenlang sich gehärmt über den bevorstehenden Abschied, und der Vater hatte hinter Brummen, Poltern und Hausdurchstöbern,