September brach ein erschreckliches Hagelwetter über dem Städtlein Holzminden los, und waren »die Hagelsteine von der Größe der Hünereier und hatten ringsumbher grosse Zacken« –
Vergebens harrte das Pfarrhaus den ganzen Herbstmonat durch auf Nachricht von dem Klaus.
Kein Bote, kein Brief, kein Zeichen kam!
So gelangen wir endlich zu dem düstern Nachmittag des Oktobertages, wo wir, wie im Anfang dieses Kapitels gesagt ist, die Monika wieder einmal an der Gartenmauer lehnend finden, während Ehrn Valentin in seinem Studierstüble in eben von »der List, grausamer Tyranney und gräuligen Unfläterey, so in denen Klöstern in Schwange gehet« – handelt.
So eifrig war der alte Kämpfer mit seiner Arbeit beschäftigt, daß er nicht im geringsten acht auf die Welt außerhalb seines Manuskriptes hatte. Was kümmerte es ihn, ob draußen der Wind pfiff und an allem, was nicht niet-und nagelfest war, als da sind Baumblätter, Locken, Hauben, Hüte und Fensterläden, rüttelte und schüttelte?
Recht schaurig und unfreundlich war’s draußen.
Oft genug fröstelte die Monika auf ihrem Luginsland zusammen und barg Arme und Hände in der Schürze, hielt aber dessenungeachtet tapfer dem Winde stand und wich nicht zurück in das Haus, obgleich sich der Abend mehr und mehr näherte und seine Schatten immer dichter wob.
Nach Westen, über den Strom weg schaute die Maid.
Dorther mußte er ihr zurückkommen, wenn er noch lebte, wenn er nicht gefallen war mit seinem Herrn in der bösen Schlacht vor Sankt Quintin. – Mit seinem Herrn? Ja, daß der Graf Philipp zu Pyrmont gefallen sei, wußte man am zweiten Oktober zu Holzminden.
Dem Wind und den Wassern lauschte die Monika und verwebte in ihr Getön immer nur den einen Gedanken:
»Lebt er noch? ist er tot?«
Da schreckte sie plötzlich ein heller Zuruf auf.
Zwei Handwerksgesellen waren soeben in einem Kahn von Stahle herübergeschifft und begrüßten mit Jubel nach langer Umfahre das Heimatsstädtchen, wo sie ihren Wanderstab nach dreijähriger Abwesenheit endlich in den Winkel setzen durften. Beide Burschen waren Bürgersöhne aus Holzminden und kannten die Monika Fichtner recht gut.
Ihre Hüte schwangen sie dem jungen Mädchen zu:
»Viel schöne Grüß! Daheim! Daheim!«
Nachdem des Pastors Töchterlein die verbrannten, bärtigen Gesellen erkannt hatte, grüßte auch sie freundlich:
»Willkommen daheim! Gott grüß Euch, Otto! Gott grüß Euch, Anton!«
»Viel schönen Willkommen, Jungfer Monika! Hurra, daheim! daheim! All’s in guter Ordnung im Städtlein, Jungfer Monika?«
»Eure Eltern sind gesund und die Margaret auch, Anton – das wird eine Freud bei Euch zu Haus geben – – – ach!«
»Juhe, Juho!« jauchzte Anton Pfefferkorn und sprang in hohen Sätzen auf und davon, daß ihm das Ranzel auf dem Rücken auf und nieder hüpfte.
Der andere Wanderbursch blickte ihm gleich der Monika mit einem Seufzer nach. Seine Eltern waren längst tot, und keine Braut wartete seiner mit ausgestreckten Armen und klopfendem Herzen. Er trat näher zu der Mauer des Pfarrgartens heran und rief der Maid in die Höhe:
»Ich hab Euch einen Gruß mitgebracht von Pyrmont, Jungfer Monika –«
Einen Schrei stieß die Monika aus, so laut, daß er selbst den in sein Manuskript vertieften Vater aufjagte und so schnell als möglich hinuntertrieb in den Garten. Hier fand der Pastor sein Kind ohnmächtig in den Armen des erschreckten Otto Klusmeier.
»Jesus, Herr Pastore, sehet her und helfet – sie stirbt, sie will sterben.«
»Was ist denn geschehen, um Gottes willen?«
»Ach, weiß ich’s denn? Einen Gruß hab ich ihr bringen wollen von Pyrmont von dem Klaus Eckenbrecher, da hat sie aufgeschrieen und ist umgefallen. Bei allem, was heilig ist, ‘s ist nicht meine Schuld, Herr Pastore!«
»Ah, einen Gruß vom Klaus?! So, so, na dann tröst dich, mein Bursch, sie wird schon wieder ins Leben kommen. Monika, Monika, besinne dich! … einen Gruß vom Taugenichts! Einen Gruß vom Klaus! Hier, Otto, hilf mir, sie ins Haus zu bringen; ‘s wird schon nichts auf sich haben mit dem Sterben.«
Die beiden Männer trugen sanft das ohnmächtige junge Mädchen in das Haus und setzten sie leise nieder in einen Lehnstuhl. Nach dem Worte des Pastors hatte es in der Tat nichts zu sagen mit dem Sterben. Nach einigen Augenblicken schlug die Monika die Äuglein wieder auf und besann sich auf das, was sie soeben erfahren hatte. Fest hing sie sich an des Vaters Brust und fing laut an zu weinen, wozu doch in der ganzen weiten Gotteswelt kein Grund vorhanden war.
»Er lebt, er lebt – er ist heimgekommen – o guter, guter Vater, zürnt mir nicht – er lebt – er ist so gut – o lieber Otto, ist er nicht heimkommen? – O Vater, Vater, ich hab ihn wirklich so lieb!«
Ehrn Valentin sagte weiter nichts als: »Na, na, nur Ruhe, nur Ruhe! Wer will wohl so weinen und heulen! Ich mein ja, du hältst’s für ein Glück, daß dem Bub nicht das Lebenslicht ausgeblasen worden ist drunten in Flandern? He, was heulst du denn, törichtes Dirnlein? Nun schluck einmal die Tränen hinunter und laß uns hören, was der Schreiner da von dem Vaganten für Nachrichten mitgebracht hat. Bin gar neubegierig darauf.«
Auch der Schreinergesell Otto Klusmeier mußte erst sein Weinen herunterfressen, ehe er seinen Bericht beginnen konnte.
»Ist das ein weichmütig Geschlecht!« rief der alte Pastor, mißmutig die Hauskappe auf dem Haupt hin und her schiebend.
Endlich hatten der junge Gesell und die Maid ihr Schluchzen bewältigt, und Otto erzählte, wie er auf der Heimfahrt vorgestern nach Pyrmont gekommen sei, in das Dorf Holzhausen am heiligen Born. Eben sei daselbst die Belehnung des Grafen Simon Hermann von der Lippe mit der Grafschaft ausgerufen worden, und ein großer Tumult habe da geherrschet. Auf dem heiligen Anger sei er – Otto Klusmeier – dem Klaus begegnet, der sei gar stattlich einhergeschritten und sei noch gut beim Leben; aber – aber – er, Otto Klusmeier, habe ihn doch erst nicht wiedererkannt – erstens, wegen des fürnehmen Aufzugs – zweitens, weil – weil – weil der Klaus ein gewaltig schwarz Pflaster über dem linken Auge getragen habe.
Hier erbleichte die Monika von neuem im jähen Schreck, daß der Schreiner sie schnell durch die Nachricht beruhigte: Arme und Beine habe der Klaus Eckenbrecher im guten Zustande zurückgebracht aus dem Kriege und das Pflaster hab ihm auch gar so übel nicht gestanden. Hundert Fragen tat die Monika an den Schreiner, und alle beantwortete er so gut und ausführlich, als er es vermochte. Dann nahm er Abschied, und es begleitete der Pastor das heimgekehrte Stadtkind noch ein Stück Weges in die Stadt hinein, um, als sie das Pastorenhaus hinter sich hatten, sogleich zu fragen:
»Nun, Otto, wie ist’s mit dem Pflaster? Was hat’s damit auf sich? Redet ohne Scheu!«
»Ja, ‘s ist nicht anders«, antwortete der Gesell, »das linke Aug hat der Teufel geholt. Der arme Narr, der Klaus, ist in großer Not ob dem, was sein Schatz, Euer Töchterlein, dazu sagen wird. Herzbrechend hat er mir seinen Jammer geklagt, und er gebärdet sich gleich einem geschorenen Pudel aus Scham.«
»Da haben wir nun die Bescherung!« sagte kopfschüttelnd Ehrn Valentin, ohne jedoch an das schlechte Wortspiel zu denken. »Da hat er nun, was er wollte! O, o, o – oh! Saget, Otto, habet Ihr nicht gehöret, wie seine Kameraden, seine Kriegsgesellen von ihm sprechen?«
Der junge Gesell blieb stehen.
»O«, rief er, »die solltet Ihr sprechen hören, Ehrwürden. Alle Mäuler fließen über vom Lob des Klaus; Wunderdinge soll er ausgerichtet haben drunten in Flandern. Auch die jungen Gräfinnen auf dem Schloß am heiligen Born sind ihm von Herzen hold, weil er ihren Herrn Bruder, den Grafen Philipp, so ritterlich in der Schlacht gerächt hat!«
»So, so, so! Und stattlich schreitet er einher?«
»Das kann ich Euch sagen!