Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe


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Erschöpfung dabei zusammengebrochen.

      In der gotischen Türe, welche zum Hauptgebäude der Burg führte, erschien jetzt der Haushofmeister, der sich schnell in sein festlich Gewand geworfen hatte, neigete seinen Stab gegen die sieghaft heimkehrenden Krieger und rief:

      »Im Rittersaal harren eurer die gnädigen Fräulein, Fräulein Ursula von Spiegelberg, Gräfin zu Pyrmont, und Fräulein Walburg von Spiegelberg, Gräfin zu Pyrmont. Tretet ein und seid willkommen!«

      Vor schritt Klaus Eckenbrecher mit dem Panier, ihm folgten paarweise die Reisigen die Treppe hinauf, hinein in den großen Saal, und alles Volk, Männer und Weiber, Kinder und Greise, ging auch hierhin mit, und niemand wehrete ihm sein Recht.

      Wachskerzen und hängende Lampen erleuchteten hell die weite Halle, die jetzt einen merkwürdigen, feierlichen Anblick darbot.

      Auf einer mit Teppichen belegten Erhöhung am Ende des Saales saßen die beiden Schwestern Ursula und Walburg; zwischen ihren Sitzen stand ein dritter Sessel, an dessen Rücklehne die Wappen von Spiegelberg und Pyrmont, in Holz geschnitzt, prangten. Dieser Stuhl – der Sitz des Grafen Philipp – war leer.

      Kopf an Kopf gedrängt, füllte das Volk den Saal hinter den heimgekehrten Kriegsmannen, auf deren Sturmhauben und Harnischen rötlich der Wiederschein der Lichter glänzte.

      Aller Augen richteten sich auf die beiden jungen Mädchen, deren Blicke sich dagegen auf die bärtigen, verwilderten Gesichter der Krieger richteten, von welchen die meisten durch Pflaster und schlechtverheilte Narben dartaten, daß sie nicht für ein Kinderspiel die Heimat verlassen hatten.

      Allmählich löste sich nun das verwirrte Getöse, welches den Eintritt der Reisigen und der Menge in die Halle begleitet hatte; man vernahm nur dann und wann das leise Rasseln und Klirren eines Waffenstückes, dann und wann ein tieferes Atmen, einen Seufzer oder das stille Weinen einer Mutter oder Braut, welche ihren Schmerz um den verlorenen Gatten, Sohn oder Herzliebsten nicht mehr zu unterdrücken vermochten.

      Auch Walburg von Spiegelberg weinte, es weinte aber nicht Ursula von Spiegelberg.

      Nun trat Klaus Eckenbrecher vor, beugte mühsam die Knie vor den Herrinnen und senkte die zerschossene und zerrissene Reiterfahne. Die beiden Fräulein neigten sich darüber und küßten das zerfetzte, geschwärzte, blutbefleckte Tuch; dann fragte Ursula von Spiegelberg mit klarer, voll den Saal durchtönender Stimme:

      »Wer hat dieses edle Banner von Spiegelberg aus der Feldschlacht heimgeführt gen Schloß Pyrmont?«

      »Ich!« sprach Klaus Eckenbrecher. »Es waren alle, denen das Recht darzu zustand, gefallen vor dem Feind. Ich, Klaus Eckenbrecher, hab das edle Panier heimgetragen.«

      »Wir danken Euch!« sprach das Fräulein, das Haupt gegen den Reiter neigend. »So möget Ihr nun, Klaus Eckenbrecher, Uns und dem Volk erzählen, wie sich alles begeben und zugetragen hat und wie das alte, berühmte Haus Spiegelberg ritterlich zu Grund gegangen ist.«

      Ein dumpfes Gemurmel zog durch die Halle, ein jeder suchte vorwärts zu drängen, und Kaspar Wicht, der wandernde Sänger, hob sich so hoch als möglich auf den Zehen und lauschte mit atmenlosester Aufmerksamkeit. Lag’s nicht ganz und gar an ihm, wenn in den kommenden Tagen im Lande von dem Fall des edlen Hauses Spiegelberg gesungen und gesagt werden sollte?

      Alle Schwäche und Mattigkeit schüttelte der wunde Klaus von sich ab, und mit kräftiger Stimme, halb gegen die Fräulein, halb gegen das Volk gewandt, begann er seinen Bericht von der »großen Schlachtung für Sankt Quintin«:

      »So horchet denn, wie es angegangen ist, seinen Fortgang genommen hat und wie es zu einem Ende kommen ist! Vor Sankt Quintin, der festen Stadt, hatten wir abgesattelt, Deutsche, Hispanier, Engelländer, Wallonen, Burgunder, Niederländer und noch allerlei Volk aus allerlei Völkern, ob wir die Vestung in der Berennung nicht nehmen möchten. Ein Lager war aufgeschlagen und als oberster Feldhauptmann war uns vom König in Hispanien gesetzet Herr Immanuel Philibertus von Sophoi (Savoyen). Viel Städte, Dörfer und Flecken haben wir vorher gewonnen durch Gewalt oder in Güte, und sind auch viel derselben an allen vier Ecken mit Feuer angestoßen worden. Nun lag in der Stadt Sankt Quintin der Franzosen-Ammiral und sein Bruder in großer Not, denn es ward ihnen keine Ruhe gelassen bei Tag und bei Nacht, und ward ihnen fort und fort sehr hart zugesetzet mit der Bestürmung. Als sie nun sahen drinnen, daß es bald Matthäi am letzten sein würde, wenn ihnen nicht baldigst Entsatz würde, so schickten sie Eilboten über Eilboten an den Connestable, so der Französischen oberster Feldherre genennet wird. Es war aber dieser Connestable der Herzog von Momerantz, ein hochgewaltiger Kriegesmann. Und weil nun in der Vestung Not an ‘n Mann gekommen war und die Guarnison allbereits großen Mangel erlitt an Proviant und Munition, so hat der Momerantz dem Ammiral zugesaget, daß er kommen wolle, die Stadt Sankt Quintin mit Gewalt zu entsetzen und zu bespeisen. Hatte er aber die Rechnung gemacht ohne den Wirt und ist ihm und seinem Volke weidlich die Kolbe gelauset, und in der großen Feldschlacht, die darob geschlagen ward, hat unser Herr Philipp ritterlich sein Blut verstürzet und hat sein jung Leben allda auf dem Plan lassen müssen. Und mit ihme sind gestorben als treue, tapfere Spiegelbergsche Herzen des Grafen Lieutenant Hennig Rodendeck, und Franz Lindwurm, und der lange Meier, und der Sohn des Wirts zum letzten Heller Peter Rosenhagen, und der Bub Hans Bösendahl, und Meister Martin Speck der Posauner, und Peter Mann der Sudler, und Hans Kahle und Hans Ritter und Hans Nothdurft! Ob noch aber noch welche in der welschen Gefangenschaft sind, kann ich nicht sagen …«

      Unaufhaltsam brach während dieser Aufzählung die Wehklage des Volkes los; laute Verwünschungen und heller Jammer durchtosten den weiten Saal, so daß der Redner abbrechen mußte und erst nach geraumer Zeit in seinem Berichte weiter fortfahren konnte:

      »Die ich euch genennet habe, sind gewißlich tot, und Gott möge ihren Seelen gnädig sein!«

      »In Ewigkeit, Amen!« rief das Volk.

      »Sie sind auch weidlich gerächet«, fuhr der Klaus fort, »und manch ein französischer Schnarchhans, Pocher und Pracher hat ins Gras beißen müssen ihnen zu Ehren und zulieb – ist es nicht also, ihr Reiter von Spiegelberg?«

      Wildjauchzend rasselten und klirrten die heimgekehrten Krieger zur Bestätigung der Worte ihres Vorsprechers mit den Waffen.

      »Sie haben’s gespürt! Bei allen Teufeln, wir haben’s ihnen wohl heimgezahlt, doppelt und dreifach!«

      Weiter sprach der Eckenbrecher:

      »Also um sein Werk zu einem guten End zu bringen, hat der Connestable vorrücken lassen zweiunddreißig Fähnlein deutscher Knechte, an die eilftausend stark unter des Rheingrafen Befehl, darzu viel französisches Fußvolk und alle französischen und gaskonischen Reiter, in die fünftausend Pferde samt achthundert Schützenpferden. Darauf hat er vierzehen große Büchsen auf eine Höhe gestellet unserm Lager grad gegenüber zwischen zwei Dörfern, so sie in ihrer Sprache heißen Essigni und Lizerolles. Alles am zehenten August dieses selbigen Jahres. Diese große Macht sollte aber nur unseren Feldhauptleuten und Herren die Augen voll Sand streuen, auf daß sie nicht sähen, worauf es eigentlich abgesehen war. Es wollte nämlich der Momerantz, während wir mit diesem Haufen anbänden, sich mit einem andern Zug gegen die Stadt schleidien, sie also zu bespeisen und seiner Schwester Sohn den Ammiral zu entsetzen. Aber es kam ganz anders, als er’s sich eingebildet hatte, weilen unsere Herren Wind darvon bekamen und auf ihrer Hut waren, daß sie nichts verabsäumeten. Durch das Lager ritt der Herzog Immanuel Philibertus mit seinem Gefolge, und alles hob sich in Waffen, daß es eine herrliche Pracht war. Die Posauner und Drommeter bliesen, die Heerpauker ließen ihre Pauken erschallen, alle Fähnlein weheten lustig im Winde, und lustig klang der Trummelschlag der hinter den Reitern aufrückenden Landsknechte. Zuerst ritten nun die Reiter ins Feld, dem Feind entgegen, und wir Spiegelberger zogen mit den Braunschweigern, und vor jedem Geschwader ritten die Herren in stolzer Rüstung mit gesenktem Visier und hielten Speer und Schwert zur kühnen Arbeit bereit. Es waren aber benebst unserm Herrn der Rossefähnlein-Führer, der Graf von Egmont, für die leichten Pferde, die Herren von Braunschweig Erich und Ernst der Alte, dann Graf Peter Ernst von Mansfeld und Graf Otto von Schauenburg, der Graf von Wittgenstein und Der von Horn mitsamt den andern niederländischen Bannerherren. Den Reitern nach zog das Fußvolk, doch blieben