Grafen Philipp an; in übergroßer Ermattung sank jetzt aber auch Klaus Eckenbrecher zusammen, als er in seiner Erzählung soweit gekommen war, und ein anderer Reiter, Jobst Bügel aus Löwenhausen, trat hervor und berichtete in einfacher, unbeholfener Weise weiter von dem Verlauf der großen Schlacht. Von dem wackern Widerstand der deutschen Landsknechte unter dem Rheingrafen sprach er: wie sie standen, »den linken Fuß voran fest aufgestemmt, das Schaftende der Picken vor dem rechten Fuß in den Boden gestoßen, ihre Speerspitzen den Reitern und Fußvolk gleich eiserner Hecke entgegenstreckend«. – Von der endlichen Zertrennung und Niedermetzelung dieses tapfern Haufens erzählte er, von des Geschützes Eroberung und den gewonnenen »zweiundsiebenzig Reiter-und Knechtsfahnen«.
Dann hatte sich der Klaus ein wenig wieder erholt und konnte den Bericht zu Ende bringen:
»Ja, und am andern Tage nach dieser großen Viktorien ist auch der König Philipp von Hispanien, der von der Schlacht sich ferngehalten hatte, in das Lager kommen und auch zu unseres Herrn Leiche, die, mit Grün und Blumen geschmückt, auf einer Bahre im Zelt lag und mit großen Ehren bewachet und angesehen wurde, bis wir sie mit stolzem Geleit gen Kammerich führeten, allwo nun unser Herre Philipp mit den andern gefallenen Helden begraben lieget in der Domkirche. Alle Fürsten, Grafen, Ritter und Kriegsmänner, so vom Heeresdienst abkommen konnten, sind den Särgen in Wehr und Waffen mit den Panieren gefolget, und hat also unser Herr den ewigen Ruhm davongetragen. Am siebenundzwanzigsten Augusti ist die Stadt Sankt Quintin zum letzenmal angelaufen und mit stürmender Hand eingenommen. Ist darinnen fast kein Stein auf dem andern blieben, und wurde der Ammiral mit allen seinen Leuten, so dem Schwert entrannen, gefangen genommen. Darnach sind wir Spiegelberger mit des Herzogs Erich Gnaden heimgezogen, in Trauer und Wehmut, daß unser Herr Graf nicht mit uns kehrete. Viel fürnehme französische Gefangene samt dem Rheingrafen Hans Philipp hat der Herzog mit ihm geführet nach seinem festen Haus Calenberg, auf daß sie sich lösen sollen, ihres Leibes Gewicht in Gold, und wird auch ein gut Teil solcher Lösung auf uns fallen. – So sind wir jetzo trotz der großen, herrlichen Viktoria in Jammer und Leid nach langem, mühesamem Weg hier! Gott segne euch, ihr Fräulein von Spiegelberg – es ist nicht unsere Schuld, daß unser Grafe, der Herre Philipp, nicht mit uns heimkommen ist!«
Und wiederum klang der Schrei des Volkes von Pyrmont auf, daß die alten, festen Mauern des Schlosses auf dem heiligen Anger es bis in den Grund spürten. Mit wilder Gewalt brachen die Tränen der beiden Schwestern aus, und sie sanken einander in die Arme. Es weinte jedermann ob des jungen Grafen Philipp von Spiegelberg, der so früh den blutigen Tod hatte finden müssen. Es klagte jedermann den Fall des uralten, stolzen Hauses Spiegelberg. Nun konnte Kaspar Wicht, der Spielmann, sein Lied davon machen und im Land umtragen! …
Einundzwanzigstes Kapitel
Was Landsknechte, Juden, Spielleute und Handwerksburschen zu Holzminden vom Klaus Eckenbrecher erzählten.
Und wieder stand die Monika Fichtner auf ihrer Gartenzinne und sah dem Spiel zu, welches der Oktoberwind mit den bunten Blättern der Bäume und den Schilf-und Rohrgewächsen des Weserufers trieb. Wieder hatte die arme Kleine den ganzen Frühling und Sommer über viel Angst um den abwesenden Schatz ausgestanden, und solches dieses Mal mit mehr Recht wie sonst.
Seit jenen schrecklichen Tagen, welche den Arzt Simone Spada aus Bologna und die schöne, falsche Fausta auf dem kleinen Dorfkirchhofe zu Stahle zur letzten Ruhe zusammengeführt hatten, jenen wonnigen Tagen, welche den Herzliebsten der Monika in die Arme zurückgebracht hatten, seit jenen Tagen waren die Wetterwolken des Krieges, den der Komet des vorigen Jahres verkündigt hatte, wirklich über der bangenden Welt losgebrochen, und auch in dem winzigen Städtlein in dem Wesertale vernahm man das ferne Rollen, sah man das ferne Blitzen.
In das Gerücht, daß der Wrisberger wieder einmal auf sei mit Reitern und Knechten für den Franzosen, war der Graf von Pyrmont auf der wilden Jagd nach dem Campolani und der Fausta hineingeritten, und die Tragödie, die daraus folgte und welche den guten Leuten von Holzminden in ihren meisten Teilen für immer ein unenthülltes Mysterium blieb, hatte lange Zeit alles andere aus den Gedanken und Gesprächen verdrängt. Dann aber verbreitete sich das Gerücht: Herr Philipp von Spiegelberg habe mit Seiner Fürstlichen Gnaden dem Herzog Erich dem Jüngern und vielen andern Herren von Adel den Christof von Wrisberg überzogen, sein Beginnen zu hindern.
Das schon war der Monika Fichtner schwer aufs Herzlein gefallen!
Und gegen Ende Mai, als schon allerlei Unkraut über den »Gräbern der Fremden« zu Stahle zusammenschlug, da keine liebende Hand sich um dieselben kümmerte, kam ein zweites Gerücht aus: die für den Franzosen geworbenen Fähnlein des Wrisbergers seien von den verbündeten Herren gesprengt und zerstreuet, und der Wrisberger selbst sei gefangen, und viel Blut sei auf beiden Seiten dabei geflossen.
Dieses Gerücht preßte der armen Monika das ängstliche Herz noch viel mehr zusammen: War er glücklich davongekommen? …
Nun kamen bald vereinzelte »gartende« Knechte, bald größere Haufen der zersprengten Wrisbergschen Armada auch durch das Wesertal, bettelten, stahlen und plünderten auch wohl ein wenig, wo man ihnen nicht in Güte gab, was sie verlangten, und sagten aus: vorbei sei’s mit dem Wrisberger, und der Teufel solle sie bei lebendigem Leibe holen, wenn sie es noch einmal mit ihm versuchten; kein Führer im Heiligen Römischen Reiche habe jemalen soviel Pech gehabt als der Christof! Zerflossen sei das gesammelte Heer wie Butter an der Sonne. Ja, es sei schon recht – erzählten sie –, blutige Köpfe habe es bei der Sache gegeben, und der Wrisberger sei gefangen und dem Zug zu den Franzosen ein Riegel vorgeschoben, und ein Trost sei nur, daß so manch ein Spiegelbergscher und Braunschweigscher darob hab ins Gras beißen müssen. – –
Am zweiten Juni strolchte ein Kerl, welcher den Arm in einer blutigen Binde trug, ins Städtlein Holzminden ein, gab sich für einen abgedankten Reiter des Herzogs Erich aus, bettelte am Pfarrhaus, erhielt einen Zehrpfennig und wurde gefragt, ob er nicht einen kenne unter den Spiegelbergern, des Namens Klaus Eckenbrecher.
Da verschwor sich der Lump hoch und teuer: wohl kenne er einen solchen, doch dem habe man allbereits die drei letzten Schaufeln Erde auf den Leib geworfen, den habe eine Wrisbergsche Kugel vom Gaul geholt, der habe sein letztes Brod gegessen, der habe sein letztes Lied gepfiffen, mit dem sei’s zu Ende, der sei kaputt, solches wisse er – der Erzähler – ganz genau, so wahr er ein freier Reitersmann des Braunschweigers gewesen sei, er – Hinz Kurz – sei ja selbsten dabei gewesen und habe eine Schaufel geführet, als man den jungen Knaben mit den anderen auf der Walstatt eingescharrt habe!
Auf diesen Bericht hin ist die Monika fortgestürzt und erst nach langem Suchen in ihrem Kämmerlein auf ihrem Bette in Ohnmacht wiedergefunden worden. Da hat der alte Pastor Fichtner manche angstvolle Nacht an dem Krankenlager seines Kindes verwacht und hat mehr als einmal die Hoffnung aufgegeben, daß sein Töchterlein wieder aufkommen werde. Wieder kamen alle alten und jungen Frauen der Gemeinde mit ihren guten Hausmitteln, mit ihren Süpplein und Tränklein; aber alles das wollte nicht anschlagen bei dem kranken Kinde.
Das rechte Mittel mußte ganz woanders herkommen, und es kam.
Ein Handelsjud aus Beverungen hatte es in seinem Zwerchsack und gab es im Pfarrhaus zu Holzminden ab.
»Gottswunder, allerschönstes Jungferlein, hab ich doch mein Lebtag nicht gesehen solch einen lebendigen Menschen als den jungen Gesellen, als den jungen Meister Klaus! Hat er nicht seinen Scherz mit mir getrieben, daß ich mich kaum dafür zu helfen wüßt? Bei Moses, und hier ist das Kettlein – ich hab’s ihm auch abhandeln wollen, aber er wollt nicht – schauet, wie fein, wollt ich doch hundert Gülden wetten, daß einer der geharnischten Hauptleut des grimmen Herrn von Wrisberg es getragen hat zum schönsten Schmuck! Gottswunder, Jungfräulein, ja, ja, er lebet! Warum sollt er nicht leben? Hat er doch dieses Briefelein geschrieben auf einer Trummel, wo hab ich’s denn – ach so – hier ist’s – Jungfräulein, auf meine Seligkeit, ich freu mich hoch, daß ich Euch das Kettlein und das Brieflein zu bringen gehabt hab!« – –
»Juchhe, herzallerliebster