Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe


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Wrisberger haben wir geschlagen und gefangen und seine Haufen in alle vier Winde zerstreuet; nun gehet es weiter gen Flandern, und da wird erst das rechte Leben angehen – juchhe! Ich schick Dir ein silbern Kettlein, so ich erbeut’t hab, und jedes Ringlein dran bedeutet ein glücklich Jahr für uns zwei beide. Ich küß Dich viel tausendmal in Gedanken, weilen ich dem Mauschel die Kuß nicht mitgeben kann. Grüß den Herrn Vater und sag ihm, der Klaus würd immerdar ein ehrlicher Kerl bleiben. Vivat die ganze Welt! Leb wohl, mein Lieb, ich kann nicht mehr schreiben – halt fest im treuen Herzen mich, bis daß ich komme und hole Dich.

      Klaus Eckenbrecher.

      Im Jahr 1557. Weiß nicht, an welchem Tag.«

      Der Pastor Ehrn Valentin Fichtner mochte sonst die Juden durchaus nicht leiden und hielt sie nicht anders als ein schmutzig beißend Ungeziefer, so sich am reinen Leibe der deutschen Nation eingenistet habe und welches durch Kamm und Bürste zu vertreiben sei; aber mit diesem Hebräer, welcher seinem kranken Kinde das Leben wieder gab, hätte er sein Bett geteilt, wenn er es verlangt hätte. Seinen Tisch teilte er mit ihm, und als Mauschel Itzig Abschied nahm, mußte er sich gestehen, durch die Ablieferung der Kette und des Briefes ein gutes Geschäft gemacht zu haben.

      Wie eine Blume nach dem Regen hob die Monika ihr Köpfchen – im Umsehen blühten ihre Wangen von neuem auf, im Umsehen gewannen ihre Augen den alten Glanz zurück. – – –

      Drei Tage nach diesem glücklichen Vorgang erschien abermals ein Strolch in zerlumpten Pluderhosen und zerfetztem, schmierigem, zerschlitztem Wams im Pfarrhause zu Holzminden, bat um ein Almosen, erhielt es und berichtete zum Dank dafür: er habe zu Soest in Westfalen auf der Hochzeit des Klaus Eckenbrecher, der eine reiche Marketenderin mit zwei Zwillingskindern geheiratet habe, getanzt und müsse sagen, daß es hoch hergegangen sei.

      Diesen Lappenhäuser trieb der Pastor Fichtner mit Gewalt aus dem Hause, und die Monika lachte hell auf über die tolle Lüge des Gartbruders; sie härmte sich deshalb nicht mehr halb zu Tode.

      Und als der Sommer in seiner allerschönsten Pracht stand, an einem Abend, als der ganze Himmel in Purpur und Gold strahlte und die Monika unter dem Fliederbusch an der Gartenmauer saß und die Vögel singen, den alten Strom rauschen, die Schiffer bei der Arbeit rufen hörte und recht viele und doch gar keine Gedanken hatte, da erklang es plötzlich unter der Gartenmauer, gleich als wenn ein lustiger Kobold des Mägdleins Träume tief in des Mägdleins Herzen erkannt und ein Lied daraus gemacht habe:

      »O Lieb, o Lieb, blas auf die Flamm,

       Das Hoffen laß nicht fahren;

       Und kommen wir heut nicht zusamm’,

       Geschieht es wohl nach Jahren!«

      Da stand dicht am Weserufer der langbeinige Fiedelmann Kaspar Wicht mit seinem struppigen Hunde, grinste, nickte zur Fliederlaube empor, strich scharf über die Saiten seiner Geige und fuhr fort in seinem Sange:

      »Am Morgen, wann die Winde wehn,

       Rührt’s Blättlein sich am Baume;

       Und wann im Dorf die Hähne krähn,

       So fahr ich aus dem Traume.

      Wie Windhauch ist die Liebe mein.

       Rege alle mein Gedanken,

       So um das süße Herze dein

       Sich schlingen und sich ranken.

      O Lieb, o Lieb, blas auf die Flamm,

       Das Hoffen laß nicht fahren;

       Und komm’n wir heute nicht zusamm’,

       Geschieht es doch in Jahren!«

      O wie freudig reichte die Monika dem Alten von ihrer Mauer herab die Hand.

      »O bitte, bitte, er lebet? Nicht wahr, Kaspar, er lebet?«

      »Er? Er? Wer Er? Ach so, der Klaus, der Taugenichts?!« rief der fahrende Sänger, schlau mit den Augen zwinkernd. »Weshalb sollt er nicht leben? Unkraut vergehet nicht also leicht.«

      »Wie garstig Ihr seid, böser Kaspar!«

      »Na, na, nichts für ungut, mein’s nicht so bös. Ihr wißt wohl schon, daß er – ich mein der Bub – mit dem Grafen von Pyrmont zum König von Hispanien ist?«

      »Ach ja, ich weiß es!« seufzte die Monika.

      »Habt Euch nicht, Kindlein; ich wäre selbsten gerne mitgegangen, allein damit ist’s leider zu End für dieses Leben, und ob in dem künftigen von solchen Dingen die Red sein wird, darauf hat noch kein lutherischer und kein katholischer Pfaff die rechte Antwort finden können in seinen Büchern. Na, was ich sagen wollt und sollt: er lasset Euch schön grüßen; ich hab ihn zuletzt gesehen nach dem Scharmützel mit den Wrisbergschen – war beiläufig gesagt ein recht Kinderspiel! – Ich sollt Euch auch fragen, ob Euch die Kette richtig zuhanden kommen sei, er – ich meine der Klaus – hab dem Juden eigentlich nicht um die Ecke getrauet. Ist der Mauschel hier gewesen?«

      Die Monika griff lächelnd nach ihrer weißen Halskrause, unter welcher sich die silbernen Ringlein des Eckenbrecherschen Beutestücks herzogen.

      »Ja, er hat treu und redlich sein Wort gehalten. Brief und Kettlein hat er mir gebracht. Ach, ich – war damalen recht krank und vermeinte zu sterben, weil ein Gesell mir erzählet hatt, der Klaus sei von den Wrisbergern erschlagen.«

      »Der Halunk!« rief der Wichtelkaspar. »Armes Kind, also habet Ihr Euch gehärmet? Ist’s doch eine Schande um solche Teufelsbrüder! Na, ‘s ist nur gut, daß die roten Wänglein so bald wieder gekommen sind.«

      »Ja, ‘s ist recht gut«, meinte die Monika treuherzig und setzte dann schnell hinzu: »Aber habet Ihr keinen Brief für mich?«

      »Tut mir wahrlich leid; er sagte, er habe keine Zeit zu schreiben. Da sehet Ihr dran, daß Ihr künftig Euch gar nicht so sehr beeilen müsset, seinetwegen Euch zu Tod zu grämen.«

      »Ach!«

      »He, he, laß das Seufzen, Kind, Männerlieb und Frauentreu werden vom Schuster über einen Leisten geschlagen. Laßt das Seufzen, Jungfräulein, einst kommt doch die Stund, wo es heißet:

      Bei zweiundsiebzig Kerzen Schein

       Führt man die junge Braut hinein!

      He, he, ich rat Euch, daß Ihr den Fiedelkaspar nicht vergesset, wann’s den Hochzeitsreigen und den Kehraus zu fiedeln gibt:

      Bei Flötenspiel und Zymbelschall

       Führt man die Braut ein in den Saal!«

      »Ach!« seufzte die Monika abermals; dann rief sie: »Aber was laß ich Euch da stehen, o kommt doch ins Haus, kommt in die Küche – der Vater erlaubet’s schon.«

      »So, so, der Vater erlaubet’s schon?! Das ist mir lieb zu hören, und ich nehme mit meinem Köter Euer freundlich Wort mit Dank an. Auf, Bettelmannshund, mach der schönen Maid ein welsch Complimentum für kommende gute Bewirtung.«

      Lachend schaute die Monika den drolligen Sprüngen und Kapriolen des klugen, hungrigen und durstigen Tieres zu, dann schritt sie ihm und seinem Herrn durch den Garten voran in das Haus.

      »Schau, schau«, sagte Ehrn Valentin Fichtner, der eben an das Fenster seiner Studierstube trat, »schau, schau, hat sie schon wieder einen Vagabonden ergattert, um sich von ihm Bericht zu holen über den Klaus, der auch ein Landstreicher ist, so mir Gott in seinem Zorn zum Schwiegersohn bestimmt hat. Muß nur nachschauen, daß dem Kind nicht wieder eine Lüge oder Windbeutelei aufgemutzt wird. Ist das ein Leiden!«

      Mit solchen Worten trat er vom Fenster zurück, klappte im Vorübergehen an seinem Schreibtisch seine Bücher zu und stieg die Treppe hinunter.

      In der Küche saß der Spielmann vor einem guten Stück Schinken und einem vollen Bierkrug, während sein Hund im Winkel an einem Knochen nagte. Dem Kaspar gegenüber saß die Monika, hatte nachdenklich den Zeigefinger der rechten Hand an das Kinn gelegt und soeben die Frage getan, ob der Kaspar Wicht auch schon einmal bei einer Schlacht gewesen sei.

      »Freilich,