der junge Reitersmann. »Hier und überall halt ich dich in meinem Herzen, und in meinem Arm halt ich dich, wo ich dich zu fassen krieg – o daß wir nun so bald wieder scheiden müssen!«
Ein Seufzer antwortete dem Seufzer, und nicht mehr sträubte sich die Monika, dicht schmiegte sie sich an den geliebten Knaben. –
Unter dem Gesang der Mönche von Corvey und des katholischen Volkes des linken Weserufers versank nun zuerst der Sarg der großen Sünderin Fausta La Tedesca in die Erde, und der Graf Philipp von Pyrmont schaute ihm glanzlosen Auges, gebrochen an Leib und Seele, nach. Dann knarrten die Seile um den schwarzen Schrein Simone Spadas, und auch er glitt in die offene Grube hinunter. Gespensterhaft bewegten sich die arbeitenden Männer in dem seltsamen, schauerlichen Helldunkel um die beiden Gräber, und der traurige Ton, den die herabgeworfenen Erdschollen auf den Särgen hervorbrachten, wurde noch unheimlicher in diesem Lichte, welches nicht Tag, nicht Nacht war. Als aber die beiden Hügel sich erhoben, ging eine Veränderung in der Atmosphäre vor. Von den Bergen im Westen her ging ein Wehen aus, in unruhige Bewegung gerieten die Nebelmassen, sie wogten hin und her, ballten sich hier zusammen, lichteten sich dort; es war, als ob eine unsichtbare Hand an dem Vorhang, welcher die Erde deckte, zupfe und ihn lüften wolle.
Hochaufgerichtet stand der Bruder Festus neben dem Grabhügel des Freundes: er sollte dem Simone und der Fausta die Grabrede halten.
Seine Augen glüheten im Wahnsinn, als er begann:
»Höret die Stimme aus der Erde, die da spricht: ›Liebe ist stark wie der Tod. Ihre Glut ist feuerig und eine Flamme des Herrn. Viele Wasser mögen die Liebe nicht auslöschen, und die Ströme mögen sie nicht ersäufen, und wenn einer alles Gut in seinem Hause um die Liebe geben wollte, so gälte es doch alles nichts!‹ Höret die Stimme des toten Simone aus der Erden – o wie schlecht habet ihr eures Amtes gewartet, ihr Totengräber! Helft, helft, ihr Männer, daß wir die Stimme ersticken – her die Schaufeln! Erde, Erde auf die Stimme, daß sie begraben werde in der Tiefe!«
Ein Gemurmel, unterdrückte Rufe ob dieser Worte des jungen Vikarius gingen durch das Volk – einige traten vor, andere wichen zurück. Alle außer dem Pfarrer Chrysostomus und dem Knaben Paul erschraken über diese wilden Worte; der Knabe Paul war aber zu tief in seinen Schmerz um den Tod seines guten Herrn versunken, Chrysostomus war zu alt, um über seines Vikars Grabrede zu staunen und sich zu entsetzen.
»Wehe euch und mir – helft, helft, daß wir die Stimme ersticken!« rief der Bruder Festus. Einen Spaten griff er auf, und mit fieberhafter Hast fing er von neuem an, Erde zu werfen auf den Grabhügel Simone Spadas. Die Hände zusammenschlagend näherte sich ihm der Abt von Corvey, einige der Mönche versuchten es, dem Wahnsinnigen den Spaten zu entreißen; aber der Bruder Festus hob ihn hoch über das Haupt, als wollte er ihn wie eine Waffe gebrauchen; – immer stärker ward das Wehen von Westen her, welches die Nebel vor sich her gegen den Fluß trieb.
»Fliehet, fliehet!« rief mit geller Stimme der Vikarius. »Vergeblich ist’s, die Stimme ersticken zu wollen – vergeblich ist’s, Totengebein, Gestein und Staub darauf zu türmen berghoch! Horcht, wie es wimmert!«
Im grenzenlosen Schrecken und Schauder schrie jetzt das Volk auf, und in demselben Augenblick fuhr ein stärkerer Windstoß in die Nebelmassen, die noch auf dem Kirchhofe zu Stahle lagen – – urplötzlich traten die Gräber Faustas und Simones in das hellste Tageslicht, während der Dunst gegen den Fluß hin wie eine weiße Wand sich auftürmte.
Wie geblendet schaute jedes Auge im Kreise umher – hier drängten sich mit ausgestreckten Armen die Mönche von Corvey mit ihrem Abt gegen den Vikarius von Stahle – dort hielten sich neben ihrem Herrn und dem lutherischen Pastor Valentin Fichtner und dem Bürgermeister Uhlenhut die Mannen von Spiegelberg in ihren kriegerischen Rüstungen, einen weiten Kreis bildete das Volk von beiden Ufern der Weser um die Gräber – grade vor dem Bruder Festus, kaum sechs Schritte von ihm entfernt, tauchten Klaus Eckenbrecher und die Monika aus dem Grau des Nebels auf.
Noch standen die beiden aneinander gelehnt, mit den Armen sich umschlungen haltend; vor dem Getümmel der letzten Augenblicke hatte sich die junge Maid noch fester an den Knaben gedrängt. Weit und starr heftete sich das Auge des Mönchs Festus auf die Liebenden – er wollte vorstürzen – er sank halb in die Knie:
»Monika! Monika!«
Alle Blicke hefteten sich auf den Mönch und das junge Paar; der Pastor Fichtner trat aus dem Volk hervor gegen die Gruppe.
»Was ist das? … Her zu mir, Monika! Um Gottes willen, Mönch, Mönch – Festus – was ist –«
»Monika! Monika!«
Klaus Eckenbrecher schob die Monika ein wenig hinter sich zurück und legte die Hand an das Schwert; mit offenem Munde sah er dabei den Vikarius an. Dieser ließ den Spaten sinken und kroch zusammengeduckt mit vorgestreckten Armen gegen das junge Mädchen heran, daß dieses entsetzt zurückwich.
»Unglücklicher, was willst du von meinem Kinde?« schrie der Pastor Fichtner. »Hebe dich weg, Wahnsinniger!«
»Flammen schlagen empor aus der Erde! Wehe, wehe mir – rette mich, Jungfrau Maria, Mutter Gottes – rette mich, Monika!«
Von neuem näherte sich der Mönch der jungen Maid.
»Unseliger, was beginnst du, was willst du?« rief der lutherische Pfarrer. »Gerechter Gott, ihr katholischen Leute, ihr Herren von Corvey, höret ihr das? Her zu mir, Monika – Klaus Eckenbrecher, schütze mir das Kind, schütze deine Braut! Deine Braut nun soll sie sein! Fort, fort von ihr, Mönch!«
Mit einem Jubelschrei faßte Klaus der Reiter das zitternde Kind mit dem linken Arm und ballte die rechte Hand gegen den Bruder Festus.
»Zurücke, zurücke, Narr! Was schaust du mich an, Pfaff? Bei Luthers Namen, die Hand, welche du gegen mein Mädchen ausstreckst, hau ich dir vom Leibe!«
»Recht, recht, ‘s ist recht, Klaus!« rief das lutherische Volk vom rechten Ufer der Weser.
»Wehe, wehe, es ist unserm Vikarius angetan! Schütze ihn Gott, schütze ihn Maria!« rief das katholische Volk vom linken Ufer der Weser.
»Haltet ihn, fesselt ihn!« rief der Abt von Corvey. »Der böse Feind spricht aus ihm. In nomine Jesu – werfet ihn in Banden! Laßt ihn nicht los, Bruder Antonius!«
Der Bruder Antonius hatte sich gegen den Wahnsinnigen geschlichen, jetzt packte er seine Arme und zog sie auf dem Rücken zusammen; die andern Mönche faßten ihn an den Schultern und der härenen Kutte.
»Schande! Schande!« rief der alte Pastor von Holzminden. »Klaus Eckenbrecher, aus freiem Herzen geb ich dir mein Kind, daß solche Schmach von seinem unschuldigen Haupt genommen werde, ich –«
Er wurde unterbrochen durch einen Aufschrei alles versammelten Volkes – mit einer wilden Bewegung hatte der wahnsinnige Bruder Festus die ihn haltenden Mönche von sich geschleudert, noch einmal stand er frei und hoch aufgerichtet da:
»Wehe mir und wehe euch – Flammen ringsum – schaut ihr die Fratzen der Hölle, die aus dem dampfenden Boden steigen? Wo ist Gott, daß er uns helfe in der Not, die seine Schuld ist? Wehe euch und mir – kein Gott im Himmel und auf Erden – dreimal wehe, wehe, wehe!«
Er reckte die Hände zum Himmel empor und taumelte; plötzlich raffte er sich auf und sprang über die Gräber und schwang sich über die niedrige Mauer des Kirchhofes. Entsetzt, zitternd, vom tiefsten Grauen geschüttelt, blickte ihm das Volk nach, ohne daß sich ein Fuß regte, um dem Unseligen, dem Verlorenen in den Weg zu treten, ohne daß sich eine Hand regte, ihn aufzuhalten.
Noch lag die weiße Nebelwand gegen den Fluß zu hoch aufgetürmt unerschüttert da, während plötzlich der Kirchhof mit dem glänzendsten Sonnenschein übergossen wurde, und gegen die westliche Mauer des Kirchhofes drängte nun alles Volk, außer dem blinden, hundertjährigen Chrysostomus, welcher auf seinen Stab gestützt allein neben den Gräbern Faustas und Simones zurückblieb. Drunten lief gegen die Nebelwand mit erhobenen Armen der Bruder Festus, eben noch im hellen Sonnenlicht, jetzt im leichten ziehenden Dunst – verschlungen hatte ihn das Nichts, die Leere –