Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe


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wie es gekommen war.

      Wenn urplötzlich ein großes Unglück, dessen Kommen im Augenblick vorher niemand ahnete, die Menschen überfällt; wenn eine Katastrophe, gegen welche kein menschliches Schutzmittel ausreicht, die einzelnen oder die Völker überrascht: dann beugt man, solange die Blitze zucken, der Donner rollt, die Häupter, unfähig zu grübeln, zu denken. Man unterwirft sich, sei es in Demut, sei es grollenden Herzens, der waltenden höheren Macht, deren Wille das Unheil herbeigeführt hat. Das Grübeln, das Denken, die Frage; wie ist es gekommen? weshalb ist es gekommen? folgt erst, wenn die dunkeln Wolken über den Horizont hinabsinken, die Sonne wieder glänzend vom blauen Himmelsgewölbe herabstrahlt und alles sein gewohntes Ansehen wieder annimmt. Nun ist die eigentliche, rechte Zeit da, wo die große Klage anhebt über die zerstörten Saaten – die gestorbenen Freunde – die vernichteten Völkerhoffnungen:

      Wie ist es gekommen? – – –

      Ja, wie war es gekommen? Was hatte die Pläne Don Cesare Campolanis auf dem Schloß Pyrmont scheitern gemacht? Was hatte die schöne Fausta dem bleichen Tod in die Arme geworfen? Was hatte den Arzt Simone Spada aus Bologna darniedergestreckt am Ufer des Weserstroms?

      Der Erzähler darf es wie die übrigen Erdbewohner machen und nach hereingebrochener Katastrophe die Lösung der Frage: Wie kam es? unternehmen.

      Nachdem Christof von Wrisberg im vergangenen Monat vom Schloß Pyrmont abgezogen war, um die Werbetrommel im Kreis Niedersachsen für den König von Frankreich zu rühren, hatte auf dem Schloß selbst Don Cesare Campolani das begonnene Werk auf seine Weise fortgesetzt, indem er nicht nur den Grafen Philipp mehr und mehr in seine Netze verwickelte, sondern auch von der Burg am heiligen Born aus seine Schlingen weit nach allen Seiten ins Land hinein nach den umsitzenden Herren auswarf. Überall wurde der Gast Philipps von Spiegelberg mit Zuvorkommenheit aufgenommen, und alles schien seinen Plänen und Absichten so günstig wie möglich zu verlaufen. Weit und breit wurde sein Lob von jeglicher Zunge gesungen, alle Damen auf den Schlössern und Burgen schwärmten für den italienischen Edelmann und somit auch für die Sache desselben. Gegen Ende März hofften der Wrisberger und Don Cesare an der Spitze von zwanzigtausend Mann den Zug gegen den Rhein, Herrn Heinrich von Valois zu Hülfe, antreten zu können!

      Wohl wußte Philipp von Spiegelberg, daß die Seite, auf die ihn sein Gast hinüberziehen wollte, die falsche sei; wohl wußte er, daß sein Lehnsherr Erich von Braunschweig nicht unter dem weißen Lilienbanner reiten würde; wohl wußte er, daß in kommenden Zeiten groß Ärgernis für ihn entstehen würde, wenn das Panier von Spiegelberg und Pyrmont im Heereshaufen des Wrisbergers wehen würde; aber – wenn er auch den lockenden Vorspiegelungen Don Cesares widerstanden hatte, welche Kraft konnte er aufbieten gegen die Fausta La Tedesca?

      Was das glatte Wort Cesares nicht ausrichtete, das brachte das Auge und die Zunge Faustas zustande. Beide wußte die große Verführerin gut zu gebrauchen.

      Wenn der Ritter Campolani das Weltgetriebe von seiner glänzendsten, buntesten Seite gemalt hatte, von allen Ehren und Freuden, die da draußen, hinter den Bergen, in der blauen, unbekannten Ferne zu gewinnen waren, gesprochen hatte, dann heftete sich das Auge Faustas fragend auf den jungen deutschen Grafen:

      »Und du sitzest hier, um kümmerlich deine Tage zu verträumen? Draußen ringen sie um alles, was die Erde Köstliches bietet, und du willst dich vergraben in diesen armseligen Mauern, willst dir ein Genügen sein lassen, von Tag zu Tage das Wild in deinen Wäldern zu jagen? Hörst du nicht, wie draußen andere Hörner zu einer andern Jagd rufen? Glaubst du, mich – mich, die Fausta, dadurch zu gewinnen, daß du dich blöde hinter die Spinnrocken deiner Schwestern verkriechst?«

      Wie oft griff an den langen Abenden des Vorfrühlings die Hand der Gauklerin Fausta in die Saiten der Laute, wenn Don Cesare Campolani schwieg. Dann sang sie – nicht mehr liebelockende, klagende, sehnsüchtige Weisen – nein, von der Lust des Streites sang sie; von Helm und Schild und Schwert, vom Donner der Schlacht, von Siegesruf und Lorbeerkränzen und ewigem Ruhme sang sie, daß atemlos alle Hörer auf dem Schloß am heiligen Born lauschten und Philipp von Spiegelberg das hochklopfende Herz kaum zu bändigen wußte.

      Dazu regte es sich mehr und mehr im Land. Alltäglich sprachen einzelne Knechte im Schloß Pyrmont ein und erzählten den Mannen von Spiegelberg, Krieg gegen die Spanier gebe es, zu Tausenden schare man sich schon um den Wrisberger. Alltäglich verkündete das Horn des Turmwärtels den Durchmarsch größerer Haufen, welche mit Sang und Klang zu Roß und zu Fuß über den heiligen Anger zogen.

      Krieg, Krieg! Einerlei für wen und gegen wen! Krieg, Krieg! Wer will hinter dem Ofen sitzen bleiben, wenn Frühling und Krieg zusammen den Weckauf blasen?

      So kam endlich die Stunde, wo die Fausta in den Blick ihres Auges auch den kalten Hohn, den vernichtenden Spott legte:

      »Du, du liebst die Fausta? Du Feigling, du Schwächling? O Herr Graf zu Pyrmont, also gewinnt Ihr die Fausta La Tedesca nicht! Bleibe denn in deinem vergessenen Winkel, schwacher Knabe! Laß die Fausta ziehen! Tor, der den Venuswurf werfen will und nicht Kraft und Macht hat, den Würfelbecher, welchen ihm das günstige Geschick in die Hand gibt, zu schütteln!«

      Da ward Philipp von Spiegelberg, der Graf zu Pyrmont, gewonnen für Heinrich von Valois, den König von Frankreich und Navarra, und gewaltiger Jubel brach aus im Schloß, als der Graf seinen Vasallen das Wort verkündete.

      Das war am vierundzwanzigsten März des Jahres fünfzehnhundertsiebenundfünfzig.

      »Hab ich es gut gemacht? Bist du zufrieden?« fragte Fausta, und der Ritter zog sie in die Arme und küßte sie auf die Stirn:

      »Wie wird es die Mediceerin mir Dank wissen, wenn ich ihr die Zauberin Fausta La Tedesca zuführe! Gewonnen! Gewonnen!«

      Boten gingen an demselben Tage noch ab an die übrigen von dem französischen Werber geworbenen Herren der Umgegend, um sie aufzufordern, sich bereit zu halten. Am letzten März wollte man dem großen Haufen, der sich um den Wrisberger sammelte, zuziehen. Am Abend desselbigen Tages kehrte aber auch Franz Lindwurm von Münden von der Hochzeit des Herrn von Rosenberg zurück, und mit ihm kam ein Gesandter des Braunschweigers Erich, welcher dem Grafen von Pyrmont ein Schreiben des Herzogs brachte, in welchem Schreiben Herr Erich seinen Lehensmann aufforderte, mit Roß und Mann bereit sich zu halten für den Dienst Don Philipps des Zweiten von Spanien.

      »Zu spät!« murmelte der Graf, das Schreiben des Herzogs zusammenknitternd. Wüst und häßlich sah es in seinem Innern aus. Nach jeder Seite hin hatte er den Halt verloren; er wagte kaum, zu den Bildern seiner Ahnen, die grimmig von den Wänden herabschauten, aufzublicken. Niemals hatten die alten Herren und Frauen so drohende Blicke aus ihren Rahmen herabgesandt. Die flackernde Lampe konnte nicht allein die Schuld daran haben.

      »Noch etwas hätte ich zu erzählen«, sprach Franz Lindwurm, welcher sich noch immer an der Tür hielt, nachdem er seinen Bericht von der Hochzeit der Herzogin Katharina abgestattet hatte. »Noch etwas hätt ich zu erzählen, aber – aber –«

      »Nun«, fragte Philipp seufzend, »was ist’s? Was stotterst du? Rede frei weg, was hast du mir noch zu sagen?«

      »Ich weiß nicht recht, ob ich davon sagen darf, Herr Graf. Meine Sendschaft gen Münden betrifft’s nicht, sondern – sondern jemanden, so hier auf diesem Schloß Pyrmont ist.«

      »Ah, ah«, dachte der Graf, »so haben sie schon Wind davon, was hier im Werke ist.« Laut fuhr er fort: »Zum Teufel mit den Umschweifen – dem Herrn von Campolan gilt’s, nicht wahr?«

      Der Reiter schüttelte das Haupt: »Nicht den fremden Herrn betrifft’s, sondern die fremde –«

      Mit einem Satz war Herr Philipp dicht vor dem Franz.

      »Die Fausta?! Was ist’s? Was ist’s? Bursch, Bursch, nimm dich in acht! Was hast du gehört? Was ist geschehen?«

      Franz Lindwurm machte eine abwehrende Handbewegung, warf einen scheuen Blick über die Schulter, schien sehr zu bedauern, daß er sich nicht weiter von seinem Herrn zurückziehen konnte, und sprach endlich leise:

      »Sie ist gerichtet!«

      Mit