waren schwach, sie tastete an ihren Ketten eine flüchtige Minute herum; aber sie schlossen sich nur fester um sie – sie richtete ihr Haupt von meiner Brust empor, sie lächelte durch ihre Tränen – sie lachte – sie war verloren – ewiglich. Wie dem Wanderer auf nächtlichen Wegen, dem der Blitzstrahl zuckend eine himmlische Zauberlandschaft enthüllt und der in der folgenden Sekunde in desto tieferer Finsternis wandelt, so war Euch zumute, Bruder Festus, als Euch die Liebe überfiel; nun stellet Euch vor, welches Licht, welche Finsternis mich in ein und demselben Augenblick umgab! Und nun war ich gleich den andern, welche der Zauberstab der Magierin berührt hatte; ich lästerte Gott mit den Spöttern, ich trank mit den Trunkenen, ich ward der Wüsteste unter den Wüsten; denn – sie wollte es ja. Es war das Leben eines Verdammten im Pandämonium; aber außer diesem Kreise war kein Leben für mich; in den feurigen Wirbeln der Hölle schwebte sie ja – in engelhaftester Hülle, die große Sünderin Fausta! O Festus, Festus, Festus, ein schwerer Kampf ist Euch zuteil geworden; aber gedenket meiner und gedenket der Fausta La Tedesca, so werdet Ihr genesen und siegreich vorgehen aus Eurem Ringen!«
Der Vikarius barg sein Gesicht in den Händen, antwortete jedoch nicht, und weiter sprach Simone Spada:
»Meine Mutter war, als solches auf mich fiel, bereits tot, und auch mit meinem Vater neigete es sich zum Ende: der deutsche Arzt Benediktus Meyenberger fand, als er in unser Haus kam, seinen Jugendfreund auf dem Sterbebett. Wie bin ich da zwischen allen Schrecken umhergeworfen worden, bis sich das Verhängnis erfüllte und der Meister Benedetto den florentinischen Ritter Aleardo und die Fausta gesehen hatte! Das geschah in der Nacht, in welcher mein Vater starb. Mit einem gellen Mißton ist die lockende Musik, das Geflüster, Lachen und Kosen abgebrochen, als der Meister Benediktus mit dem Schwert in der Hand Rechenschaft von dem Ritter Pazzi forderte. Doch andere Klingen sind gegen den Deutschen gezückt worden, und ein großer Aufruhr ist darob ausgebrochen in der Stadt Bologna. In zwei Feldlager haben sich die Studenten geteilt. Für den Meister Benediktus zogen die Deutschen, die Engländer und die aus Dänemark und Schweden die Schwerter; auf des Aleardo Seite stellten sich die Romanen, und viel Blut ist in den Gassen meiner Vaterstadt um Fausta La Tedesca geflossen! Von dem Grabhügel meines Vaters fort habe ich mich in den Kampf gestürzt und zum erstenmal mit meinem zweiten Vater Benediktus Meyenberger den Kampf gegen das Geschick aufgenommen. Mit Hohnlachen hat die Fausta ihren Vater von sich gestoßen, und gelacht haben Aleardo Pazzi und Cesare Campolani, welchen letzteren nach mir die Magierin Fausta in ihre Arme aufgenommen hat. Drei Tage und drei Nächte durch währte der Kampf in den Gassen; in der dritten Nacht ging die Villa Pazzi in Flammen auf; denn nachdem ein Teil der Italiener und Franzosen und die Behörden der Stadt und Universität zu der germanischen Zunge übergetreten waren, gewann diese die Oberhand und trieb im Sturm die Gegner in die Kirchen und Kollegienhäuser. Aber von Hunderten geleitet, entkamen Aleardo Pazzi und Fausta La Tedesca aus der Stadt, und man konnte nun die Leichen in den Gassen aufheben und sie begraben. Mit dem unseligen Benediktus habe ich die Spur des fliehenden Verführers und der verlorenen Fausta verfolgt im Zickzackzug durch das Land, bis zu Venedig auf einer Laguneninsel Aleardo Pazzi von dem Schwert des deutschen Meisters gefallen ist. – Aus dem Palaste des großen Meisters Tiziano haben wir die Fausta fortgeführt; aber von neuem ist sie uns mit Hülfe ihres jetzigen Geliebten Cesare Campolanis entflohen, und zu Padua bin ich zu Tod verwundet worden durch ihren Buhlen. Da hat mich zum erstenmal Benediktus Meyenberger durch seine Kunst errettet und mich dem Leben wiedergegeben. Dann sind wir abermals der Verderblichen nachgeeilt und haben sie gesucht zu Florenz, zu Genua, zu Rom, zu Neapel; denn verbergen konnte sie sich nicht mehr, weil ihr Name – Fausta La Tedesca – von den Alpen bis zum Capo Spartivento in jedem Munde war. Freilich wechselte sie hundertmal diesen Namen, und Hunderte von mächtigen Beschützern warfen sich zwischen uns und sie; aber zu Neapel haben wir sie doch ereilet und sie mit Gewalt und List auf ein hanseatisch Schiff, welches nach der Heimat absegeln wollte, geführt. Wie konnte der Vater es aufgeben, die Seele seines Kindes retten zu wollen?
An der deutschen Küste ging das gute Schiff im Sturm zugrunde; doch erretteten wir uns in einem Boote an das Land. Tief in das Innere haben wir die Fausta in ein Kloster gebracht, daß sie in der Abgeschiedenheit ihr ferneres Leben hinbringe, bereue und – ihre Seele gerettet werde. Mit bittern Tränen hat der unglückliche Vater von ihr Abschied genommen, mit ihm bin ich in seine Heimat gezogen, und still haben wir dort eine Zeitlang gelebt, zusammen studieret und die Kranken geheilt und den Armen geholfen.
Aber wer konnte die Fausta fesseln?
Wer konnte sie halten?
Ihre Arme hat sie aus den Banden gezogen, und als ich, überredet von meinem zweiten Vater, zum erstenmal auf dem Heimzuge nach Italien war, im vorigen Sommer, als der große Komet am Himmel stand, da ist sie mir wieder vor die Augen getreten, schön und strahlend wie immer, am heiligen Born zu Pyrmont.
Diesmal hab ich nicht versucht, ihrem Geschick mich in den Weg zu werfen; diesmal hab ich nicht gewagt, dem schrecklichen Stern, welcher über ihr leuchtet, Trotz zu bieten; entsetzt bin ich geflohen und nach Osnabruga zum alten Benediktus zurückgeeilt, ihm Kunde zu geben, daß die Fausta wieder unter den Lebendigen wandele. Todkrank bin ich vor dem Hause des Meisters angelangt, und zum zweiten Male hat er mir das Leben gerettet. Auch er hat sich zu schwach gefühlt, um den Kampf mit der Fausta La Tedesca von neuem aufzunehmen; nachdem ich mich von dem Krankenlager erhoben, ist er darauf niedergesunken – vor sechs Wochen ist Benediktus Meyenberger, der Fausta Vater, in Kummer und Gram in meinen Armen verschieden. Ruhe, Ruhe seiner Asche!«
»Ruhe seiner Asche – wehe, welch ein ander Leben!« rief der Vikarius.
»Ja, wahrlich, welch ein ander Leben! O Festus, Festus, was ich versprochen habe, habe ich gehalten; nun gedenket in jeder bösen Stunde der Geschichte des alten Meisters Benediktus Meyenberger, gedenket der Geschichte Simone Spadas und der schönen Fausta La Tedesca! – Horch, was war das?«
»Nichts, nichts! Die Weser oder der Nachtwind in den Baumästen … O, Eure Erzählung ist schrecklich, ist furchtbar!« rief der Bruder Festus. »Und sie – sie, wo ist sie jetzo?«
Der junge Arzt zuckte die Achseln.
»Wer weiß es? Vielleicht noch am heiligen Born zu Pyrmont, vielleicht zu Rom, vielleicht zu Paris! Wer kann es sagen? Der Herr schütze mich davor, daß ich je wieder den Saum ihres Gewandes erschaue; der Herr schütze mich vor dem Blicke ihrer Augen – todbringend sind sie!«
»Und er lebt – er ist nicht gestorben!« murmelte der Vikarius vor sich hin; aber Simone hörte doch die leisen Worte.
»Ja, ich lebe!« sprach er, und sein Haupt sank in die Hand, und ein Zittern überlief seinen Körper.
»Und das ist die Welt?!« murmelte der Vikarius, und tiefe Stille herrschte eine geraume Zeit in dem katholischen Pfarrhause. Außer dem leisen, eintönigen, ewigen Rauschen des Flusses wurde die Ruhe der Mondscheinnacht durch keinen andern Laut gestört. In den bittersten Tiefen Ihrer Seele wühlend, saßen die beiden Männer zu Stahle einander gegenüber.
Plötzlich blickte Simone Spada wiederum auf und horchte.
»Aber das ist nicht der Wind! Das ist nicht das Getön der Wasser! Horcht – horcht – da ist es wieder!«
»Wahrlich, das klang aus der Ferne gleich wildem Geschrei; zu Holzminden ist es nicht!«
»Und da ein Schuß! Was ist das?« rief Simone aufspringend und zum Fenster eilend.
Der Mond und die Sterne leuchteten im vollen Glanze, aber im tiefen Schlaf lag das Dorf, und nicht ein einziges Licht schimmerte aus irgendeiner Hütte.
»Hätte ich mich doch getäuscht?« fragte sich Simone Spada.
»Nein, nein – da ist es wieder! – Viele Pferde im Galopp! – Was ist das?«
Er nahm sein Schwert aus dem Winkel, in welchem es lehnte. Er gürtete es um die Hüften, zog es halb hervor und ließ es wieder zurückgleiten in die Scheide; denn in jenen Zeiten verließen sich die Männer, was ihr Leben, ihr Eigentum, die Ehre ihrer Weiber und Töchter anbetraf, mehr auf sich selbst, als auf die Polizei.
»Festus, Festus, wachet auf!«
Der Arzt legte dem Vikarius die Hand