Ach Klaus, Klaus, brich mir das Herz nicht um einen Affen oder Papagoyen oder einen schwarzen Mann oder um einen Haufen Silber und Gold! … Wahrlich, der katholische junge Pastor zu Stahle muß recht krank sein, der Vater schaut gar betrübt aus. Wenn ich nur wüßt, was ich eigentlich gegen den jungen katholischen Pastor hab? Gott verzeih mir die Sünd; wenn ich nur wüßt, weshalb ich den Herrn Vikarius gar nicht leiden mag! O Gott, ‘s ist mir im tiefsten Herzen, als könnt ich nicht im kleinsten trauern über ein Unglück, so ihn überkäme!« – –
Der Pastor Valentin Fichtner kehrte wirklich recht betrübt heim von seinem Besuch im Pfarrhause am linken Ufer der Weser. Die geistige und körperliche Hinfälligkeit des uralten, blinden Chrysostomus war ihm schwer auf sein mutig Herz gefallen; mit warmem, christlichem Mitleid hatte er die heiße, fiebernde Hand, welche ihm der kranke Vikar Festus von seinem ärmlichen Lager entgegenstreckte, gedrückt.
Traurig sah es in dem katholischen Pfarrhause aus.
Öde und leer waren alle Räume desselben, denn die Bewohner hatten sich längst jedes irgend überflüssigen Hausrates entschlagen, um die Not ihrer Pfarrkinder während der vergangenen harten Zeit zu lindern. Dem Wort der Heiligen Schrift: Verkaufet, was ihr habt, und gebet Almosen – hatten sie buchstäblich Folge geleistet, so daß jetzt ein jeder nur das Gewand besaß, welches er auf dem Leibe trug. Längst hatten die armen Weiblein des Dorfes die überzähligen Röcke ihrer geistlichen Herren zu Röckchen für die nackten Kinder verschnitten und vernäht.
Wackere Herzen schlugen unter den beiden übrig gebliebenen groben Kutten!
Nur für die Kranken und Kinder des hungernden Dorfes hatten die Ziege und die Kuh des Pfarrhauses ihre Milch hergegeben; ach, und jetzt gehörte der arme Bruder Festus selbst zu den Todkranken!
Auf seinem Bett lag er regungslos, hohlwangig, mit halbgeschlossenen Augen, und »niemand konnte ihm helfen«.
Kopfschüttelnd stand der Pastor Fichtner mit dem Arzt Simone neben ihm, und der mitleidige Blick des Lutheraners wanderte von dem jungen Mönch zu dem blinden alten Mönch und wieder zurück. Der Vater Chrysostomus erkannte die Stimme seines Jugendfreundes nicht mehr und vergaß den Namen desselben im nächsten Augenblick. Zusammengebrochen saß er neben dem Lager seines Vikars, und er legte seine kalte Hand auf die glühende Stirn desselben, als glaube er, auf diese Weise das wilde Feuer, welches unter dieser Stirn loderte, löschen zu können.
In seinem Halbschlaf fühlte der Bruder Festus diese eisige Hand. Sie ängstigte ihn, als sei sie die Hand des Todes, aber Kraft sie abzuschütteln hatte er nicht. Dann und wann durchschauerte ihn eine Ahnung von der gräßlichen Ironie, welche in dieser eiskalten Hand des Alters auf dem jungen glühenden Scheitel verborgen lag. In einem heisern Gelächter machte sich diese Ahnung Luft, in einem Gelächter, welches den Pastor Fichtner besorgt fragende Blicke auf den Arzt Simone Spada werfen machte.
Einen bessern Arzt für das Leiden des Bruders Festus, als Simone Spada war, hätte man nirgends in der weiten Welt gefunden, und – Simone Spada zuckte die Achseln!
Was konnte hier seine Kunst, was konnten hier des Meisters Balbierers Arcana und des Pastors Fichtner Hausmittel helfen?
Aber ein ganzes Schifflein voll Lebensbedürfnisse sandte Ehrn Valentin nach seiner Heimkunft dem katholischen Pfarrhaus über den Strom. Daß allerlei Geschwätz in der eigenen Gemeinde über solche Mildtätigkeit entstand und daß die männlichen und weiblichen Frau-Basen ein großes Geschrei darob erhoben, kümmerte den Ehrenmann nicht im mindesten. Unbefugten Stänkern und Kläffern wußte der Pastor Fichtner trefflich heimzuleuchten.
Allen überfrommen Vermutungen eines Teils seiner Gemeinde zum Trotz schlief er in der folgenden Nacht recht gut und wurde nicht einmal durch irgendeinen neckenden Traum gestört. Dagegen träumte sein Töchterlein desto mehr, jedoch waren ihre Träume keineswegs unlieblich und beängstigend. Einen Ritter in silberner, funkelnder Rüstung erschaute sie. Die Weser lag hell im Sonnenschein, und über die glitzernden Fluten schritt leicht das weiße Roß des Ritters, ohne seine Hufe naß zu machen. Ein langer Zug von Mohren schwebte hinter dem schönen Ritter drein, und ein jeder schwarze Mann trug ein köstlich Ding aus den fremden Ländern. Viel Trommetenklang und Jubelruf vernahm die kleine Monika Fichtner bis zum dritten Hahnenschrei. Dann erwachte sie urplötzlich, als eben der Ritter unter der Gartenmauer seinen Schimmel anhielt und die Hand erhob, um das Helmvisier zurückzuschlagen – – verschwunden war das herrliche Traumbild, und es fühlte die schlaftrunkene Maid nach, ob die zwei Brieflein des Klaus sich noch unter ihrem Kopfkissen befänden!
Siebzehntes Kapitel
Wie der italienische Arzt Simone Spada seine Lebensgeschichte und die Geschichte der schönen Fausta erzählte, und was darnach erfolgte.
»Ihr habt mich neulich gefragt, armer, kranker Freund, ob man in unserer Welt, der Welt, welche Ihr nicht kennet, auch von so schlimmen Qualen, wie sie Euer Herz bedrängen, wisse. Wohlan, die Stunde ist gekommen, wo ich Euch die Geschichte erzählen mag, welche Euch Kunde davon geben soll. Wenn ich fern von Euch sein werde, möget Ihr daran gedenken und sie Euch wiederholen in den Augenblicken, wo Ihr vermeinet, das Dasein nicht mehr tragen zu können. Wohlbedachtsam hab ich diese Erzählung Euch und mir aufgesparet für die letzten Stunden, welche wir miteinander zubringen, Festus. Es ist Feuer, was ich auf die brennende Wunde legen muß – – wollet Ihr mich hören, Bruder Festus?«
Es war in der Nacht von dem vierundzwanzigsten auf den fünfundzwanzigsten März des Jahres 1557, als der Arzt Simone Spada aus Bologna also zum Vikarius Festus im Pfarrhause zu Stahle sprach. Sie saßen einander in der zehnten Stunde gegenüber am Kamin; denn seit einigen Tagen hatte sich der junge Mönch von seinem Krankenlager wieder erhoben, freilich ohne gesundet zu sein. Kränker, ruheloser, unglücklicher, verlorener als je war er; aber er wandelte umher, ging den Pflichten seines Amtes nach, und jedermann außer dem Arzt Simone war der festen Meinung, der Frühling, dem man alles klagen darf –
»was einem der Winter hat Leids getan –«
werde die vollständige Heilung des Vikars schon vollenden.
So glaubte die Gemeinde des katholischen Dorfes, so glaubte der Pastor Valentin Fichtner. Sie hatten keine Ahnung davon, wie anders der Lenz, welcher allen andern Kranken Trost und Hoffnung und Erleichterung bringt, solchen Leidenden wie der Bruder Festus erscheint! –
Der Fluß hatte sich längst gesänftigt, sein Grollen war wieder zum leisen Murmeln geworden; der volle Mond spiegelte sich in den leis hüpfenden Wellen. Aus den Fenstern des Gemaches, in welchem sich der Arzt und der Vikar befanden, hatte man die Aussicht auf einen Abschnitt der glänzenden Wasserfläche der Weser und auf einen Teil der Dorfgasse, die gegen die Fähre hinabführte.
»Wollet Ihr mich hören, Festus?« fragte Simone Spada, und der Vikarius nickte.
»Ich will, ich will es gern! Morgen gehet Ihr fort, und niemalen werd ich Euch wiedersehen – Euch, den einzigen Menschen, welchem ich meine Seele öffnen konnte, welchem ich keinen Winkel meines Herzens verschlossen gehalten habe.«
»Ja, Euer Herz hat Euch sicher geleitet; von allen Menschen auf dieser Erde war ich vielleicht der einzige, welcher Euch verstehen konnte, armer Bruder Festus, weil ich ähnlich gelitten habe wie Ihr, weil Ihr mir seid gleich einem Spiegelbild meines eigenen Ichs.«
Der Vikar reichte dem Arzt die magere Rechte über den Tisch:
»O redet – denket, wie kurze Stunden wir noch Zusammensein werden! Erzählet mir alles von Euch, den der Herr in seiner Gnade dem großen Sünder gesendet hat.«
Die Stirn mit der Hand stützend, begann Simone Spada:
»Welche seltsame Dinge haben geschehen müssen, um mich, das Kind des Südens, mit Euch, Bruder Mönch, an diesem Tische zusammenzuführen! Weit, weit zurück in die Vergangenheit muß ich greifen, um die ersten Fäden auszufinden, welche durch die Jahre bis in die heutige Nacht hinüberlaufen. – Es ist aber also geschehen! Vor langen