neues Brieflein hatte er doch geschrieben, und war dasselbige auch schon unterwegs.
Zu Münden verheiratete soeben Herzog Erich der Jüngere von Braunschweig seine Schwester an Wilhelm von Rosenberg, einen adeligen Herrn aus dem Böhmerland. Dieser Feierlichkeit wegen hatte der Graf zu Pyrmont einen glückwünschenden Boten an den Herzog abgesandt, und in der Tasche dieses Boten ruhte neben dem gräflichen Schreiben, welches dem stolzen, üppigen, landstreicherischen Braunschweiger galt, ein winziges Liebesbrieflein, welches der kleinen Monika Fichtner zu Holzminden bestimmt war.
Mit einbrechender Nacht war der Spiegelbergsche Reiter in Stahle angekommen und hatte daselbst die Gastfreundschaft des Bruders Festus für die Nacht angenommen, nachdem er sich überzeugt hatte, daß es nicht möglich sei, das Brieflein seines Kameraden über den wilden Strom zu tragen.
Ach, hätte doch die arme Monika gewußt, wie nahe ihr der Trost in ihrem Leide sei! Eine schlaflose Nacht wäre ihr dadurch erspart worden. –
Fünfzehntes Kapitel
Martyrium magnum
Im Pfarrhause zu Stahle saß der Spiegelbergsche Reiter neben dem alten Chrysostomus, dem Bruder Festus und dem italienischen Arzt am Feuer und trocknete seine Kleider. Das Wasser war glücklicherweise nicht vollständig in die Behausung der geistlichen Herren des Dorfes eingedrungen; es spülte nur leise gegen die eine Seite der Hausmauer an; es zog sich nun bereits ein wenig zurück gegen sein gewohntes Bett. Die größeste Gefahr war vorüber.
Nur den inständigsten Bitten des Vikars hatte Simone Spada nachgegeben, indem er in dieser Nacht nicht weiterzog. Es war ganz behaglich in dem Gemache. Die Magd des Pfarrhauses hatte, so gut es sich tun ließ, für eine Bewirtung gesorgt; der blinde Vater Chrysostomus nickte in seinem Lehnsessel, Franz Lindwurm, der Reiter von Pyrmont, erzählte von den Beschwerlichkeiten seines Weges, wozu auch der Arzt mancherlei hinzufügen konnte.
Zu hellerer Glut schürte Festus die Flammen im Kamin auf. Ach, der Arme wußte nicht, welch ein Schmerz für ihn in der schwarzen Ledertasche, die hinter dem Stuhl des Spiegelbergschen Reiters hing, verborgen sei!
Zum ersten Male im Jahre 1557 gewinnen wir Muße, uns den jungen Geistlichen wieder einmal genauer anzusehen.
Was hatte der Bruder Festus den Winter über getrieben?
Die bösen Zeichen, welche noch tiefer auf seiner Stirn eingegraben standen, redeten davon.
Als die Regengüsse des Herbstes die fast versiegte Weser von neuem geschwellt hatten, als darauf die Decke des Eises sich über den Fluß gelegt hatte und die Bewohner der beiden Ufer zu Fuß und Wagen zueinander hierüber gekommen waren in Handel und Wandel, oder um ein freundschaftlich-nachbarlich Geschwätz miteinander zu halten, da hatte auch der Vikar öfters den Fluß gekreuzt und war zu dem lutherischen Ufer hinübergeschritten. Aber nicht bei Tage mit den übrigen Menschen, sondern In tiefdunkler Nacht.
Aufgetrieben hatte es ihn mit unwiderstehlicher Gewalt von seinem Lager, und einem Diebe gleich war er, wenn alle Menschen schliefen, über das Eis geschlichen, unter welchem die Wasser des Todes wühlten. Einem Diebe gleich war er an der Mauer des Pfarrgartens in die Höhe gestiegen, um in der Finsternis den Fuß auf den Boden zu setzen, auf welchem sie im Licht des Tages wandelte.
Im Schnee begraben lagen die Blumenbeete des Gartens, im Schneeschimmer leuchtete matt das Dach des lutherischen Pfarrhauses. Im Schlaf lag der Pastor Fichtner, und die Bibel war auf dem Tische neben seinem Kopfkissen aufgeschlagen. Im Schlaf lag die Monika, und unter ihrem Kopfkissen lag der eine Brief, welchen im Sommer der Fiedelmann Kaspar Wicht ihr gebracht hatte. Was wollte der Mönch Festus in dem Pfarrgarten zu Holzminden?
Ja, wenn er diese Frage hätte beantworten können!
Erst wann der erste Hahn rief, in der Stunde, wo die Gespenster verschwinden, verließ auch der Mönch das lutherische Ufer. Erst am linken Rande des Flusses erwachte der Unglückliche aus seinem unheimlichen Nachtwandeln.
Und jetzt sollte es von neuem Frühling werden! –
Der Arzt Simone Spada hatte den jungen Geistlichen den ganzen Abend hindurch aufmerksam beobachtet. Anfangs schob er das verwüstete Aussehen desselben auf die Aufreizungen und Mühen des Tages und riet ihm, sich recht bald zur Ruhe niederzulegen. Allmählich jedoch erkannte der geschickte Arzt, daß es nicht allein körperliche Erschöpfung sei, welche den Mönch niederdrücke; er erkannte, daß auch die Seele desselben krank, recht krank sein müsse, und beschloß Näheres zu erkunden vor seiner Abreise.
Jetzt erhob sich Franz Lindwurm, der Bote des Grafen zu Pyrmont, und sagte:
»Wahrlich, man fühlet seine Knochen, wenn man den ganzen Tag auf dem Gaul gehangen hat oder das müde Vieh hat schleppen müssen am Zaum durch den Teufelsbrei. Gebt mir Urlaub, geistlicher Herr; ich will mir eine Streu zurechtmachen im Stall neben meinem Tier. Und dann tut mir noch einen Gefallen. Schauet, hier hab ich ein’ Geschrift von einem Stallgesellen, welcher besser verstehet mit der Feder umzugehen, als ich, und welcher es geschrieben hat für ein Jungfräulein drüben zu Holzminden. Ich kann nicht warten allhier, bis sich das übergewaltige Wasser und das Eis verlaufen hat, und – Ihr brauchet mich nicht so anzusehen, Herr Vikarius, es ist nichts Böses dabei! Mein Kamerade ist ein ehrlicher Gesell und will die Dirn heimführen, sobald er kann. Wollt Ihr das Brieflein bestellen oder bestellen lassen, Herr Vikarius?«
»An wen ist’s?« fragte Festus.
Der Spiegelbergsche Reiter hatte das Schreiben Eckenbrechers hervorgeholt aus seiner Tasche und übergab es dem Mönch. Dieser warf einen Blick darauf, griff schnell nach der Stirn und stieß einen Ruf hervor, welcher den blinden Chrysostomus erweckte.
»Was hast du, mein lieber Sohn? ist ein neues Unglück über unser armes Dorf hereingebrochen? Steigen die Fluten immer noch?«
»Nein, nein, mein Vater!« murmelte Festus, der mühsam nach Fassung rang.
»Aber zum Teufel, Herr Vikare, was ist Euch?« fragte Franz Lindwurm. »Ist Euch übel? Ihr seid schier noch bleicher geworden, als Ihr vorhin waret!«
»Nichts, nichts! Es ist die Ermüdung! Es wird sogleich vorübergehen, guter Freund – ich dank Euch. Ich hab mich den Tag über allzusehr angestrengt – das wird es sein – ängstet Euch nicht um mich!«
Der Arzt Simone unterstützte den Schwankenden und führte ihn zu einem Sitz.
»Ich will den Brief bestellen!« flüsterte Festus und versuchte es, den besorgten Reiter anzulächeln. »Danke Euch, Herr Doktore, es ist schon vorüber. Wie doch die Ermattung so plötzlich über einen kommen kann!«
»Gehet zu Bett, geistlicher Herr; Ihr sehet wirklich sehr schlecht aus – ein tüchtiger Schlaf wird Euch schon wieder auf die Beine bringen«, erwiderte Franz Lindwurm und fügte hinzu: »Erwachet morgen auch nicht zu früh. Ich will jetzt schon Abschied von Euch nehmen, daß ich Euch nicht zu stören brauche in der Frühe.«
Festus drückte schwach die ihm dargereichte Hand. Noch einmal versuchte er’s, sich zu einem Lächeln zu zwingen.
»Und von wem ist die Liebesbotschaft, zu deren Überbringer Ihr mich machen wollt?«
»Klaus Eckenbrecher heißet der Gesell. ist ein Reiter Herrn Philipps von Spiegelberg gleich wie ich. Ihr kennet den Knaben gewiß. Er wird’s Euch zu großem Dank anrechnen, und ich sag Euch nochmals, daß gewiß nichts Schlechtes und Heimtückisches mit unterläuft.«
»Ich will den Brief sicher bestellen; verlasset Euch drauf.«
»So danke ich Euch und will dem Klaus auch davon sagen, sobald ich heimkomme von der Hochzeit zu Münden. Alles hat doch seinen Herzensschatz und gehet aufs Freien aus, Fürst und Knecht, reich und arm – ‘s ist ein Leiden! Ihr geistlichen Herren wisset gar nicht, wie gut ihr es habt, daß ihr euch nicht damit zu behelligen habt wie unsereiner! – Also – nochmals meine Bedankung