Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe


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im tiefsten Innern frohlockend über die gräßliche Lüge!«

      »Und solches ist Euch geschehen, und Ihr lebet?«

      »Solches ist mir geschehen, und ich lebe! Wohl ist mir das Dasein farblos und leer – wohl habe ich die Tramontana, den hellen Stern, welcher uns über die Wogen des Lebens leitet, auf Ewigkeit aus dem Gesicht verloren; aber – ich lebe und ich – will leben!«

      Ein tiefes Schweigen folgte diesen Worten Simones. Draußen donnerte fort und fort der Strom, und der Bruder Festus hob das Haupt von der Brust des Arztes. Endlich sagte er:

      »Hörst du? – Horch! Das ist die schreckliche Stimme des Verhängnisses! Sie ist immer in meinen Ohren, bald leise flüsternd, bald donnernd wie jetzt! … Ich will gehen, wer kann mir helfen?«

      Simone Spada drückte dem Mönch schweigend die Hand, aber er hielt ihn nicht zurück. Was konnte er ihm sagen? Mit geheimem Schauder horchte er, wie die schleichenden Fußtritte des Bruders Festus sich entfernten und die Tür leise sich schloß.

      »Unselig Verlorener!« murmelte er und fügte hinzu: »O Fausta, o Fausta La Tedesca!« –

      Am andern Morgen ritt Franz Lindwurm, der Bote des Grafen von Pyrmont, vor Tagesanbruch weiter gen Münden zur Hochzeit des Herrn von Rosenberg und der schönen Katharina von Braunschweig. Der Arzt Simone Spada, noch einmal aufgehalten auf seinem Wege ins Vaterland, blieb fürs erste noch im Pfarrhause zu Stahle und sendete nur seine Diener weiter gen Nürnberg. Nur den Paul behielt er bei sich.

      Sechzehntes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      zeigt, wer der Monika Fichtner den zweiten Brief des Spiegelbergschen Reitersmanns, Klaus Eckenbrechers, zustellte.

      Am dritten Tage nach der im vorigen Kapitel beschriebenen Nacht brach die Sonne wieder durch die Wolken; ein Kahn schaukelte über die immer noch aufgeregten Wellen der Weser von Stahle nach Holzminden hinüber. Der Knecht des katholischen Pfarrhauses regierte die Ruder, Simone Spada stand aufrecht in dem gebrechlichen Schifflein und schaute, die Hand über die Augen haltend, nach einer Mädchengestalt auf einer der Mauern des lutherischen Ufers. Simone Spada trug das Brieflein des Klaus zur Monika; der Vikar Festus war krank und konnte sein Lager nicht verlassen.

      Bald erreichte der Kahn das rechte Ufer und landete am lutherischen Pfarrgarten. Simone sprang ans Land.

      »Gott grüß Euch, Signorina. Seid Ihr die Monika Fichtner, welche einen Brief erwartet aus der Ferne?«

      Das erschrockene Mägdlein vermochte ob der unerwarteten Frage kaum den Gegengruß und die leise bejahende Antwort auf die Frage hervorzubringen.

      Noch mehr erschrak sie fast, als ihr der fremde Mann das Brieflein hinaufreichte auf ihre sichere Höhe. Kaum wußte sie, ob sie es nehmen oder ob sie davonlaufen sollte.

      »Von dem Schatz in der Ferne!« sagte lächelnd Simone, und mit einem Schrei griff das Jungfräulein nach dem gefalteten Blatte und barg es erglühend im Busen.

      Sie mußte sich, um das Schreiben zu nehmen, niederbeugen, und der Arzt hatte die beste Gelegenheit, ihr in das liebliche Gesichtchen zu schauen. Eine der blonden Locken des Kindes berührte seine Hand.

      Also das war die, welche den Bruder Festus verzaubert hatte, wie er selbst durch die Fausta verzaubert worden war.

      Der Arzt mußte sich gestehen, daß er noch nie etwas Anmutigeres gesehen habe. So war ihm die Liebe in der Fausta nicht erschienen!

      »Armer Festus!« dachte er.

      »Dank, Dank! O, Gott segne Euch!« rief Monika. »Mit wem sprichst du da, Monika?« fragte eine andere Stimme.

      Das graue Haupt des Pastors erschien neugierig forschend über der Schulter seiner Tochter. Der Arzt kam schnell der tödlichen Verlegenheit des jungen Mädchens zu Hülfe, indem er den Alten höflichst grüßte und sagte:

      »Ich bin ein Reisender und wurde an jenem Ufer durch den großen Eisgang aufgehalten. Ich bin ein Arzt, und da den Vikarius drüben die übermächtige Anstrengung bei der Bändigung der Weser auf ein bös Krankenlager niedergeworfen hat, so bin ich herübergefahren, Herr, um in Euerm Städtlein nach Heilmitteln zu suchen, welche mir drüben allgesamt mangeln. Ich wollte Euch um Rat ersuchen und erkundete soeben den Weg zu Euch von Euerm Töchterlein, ehrwürdiger Herr!«

      Der gewandte Redner blickte während dieser Rede verstohlen nach der Monika, aber diese hatte die Hand auf den Busen gelegt, auf die Stelle, wo der Brief Eckenbrechers im heimlichen Versteck lag. Ihr Auge glitt mit unbeschreiblichem Glanze einem Schwarm silberfarbiger Tauben, welche in der blauen Luft ihre ersten Frühlingsspiele trieben, nach.

      »Armer Bruder Festus!« dachte abermals Simone Spada.

      »Seid mir gegrüßt, Herr Doktore!« sprach Ehrn Valentin Fichtner. »Tretet ein bei mir; ich will Euch nach Kräften behülflich sein, daß Ihr bei uns findet, was Ihr suchet.« Er öffnete dem Arzt die Gartentür und führte ihn ins Haus unter teilnehmenden Erkundigungen nach dem Befinden des Vikars.

      Als die Monika sich allein sah, atmete sie aus voller Brust auf, zog schnell den Brief aus seinem süßen Versteck hervor und erbrach ihn mit zitternden Händen. Lange dauerte es, ehe sie durch die hervorbrechenden, erleichternden Tränen einen Buchstaben erkennen konnte; aber noch länger dauerte es, ehe sie irgendeinen Sinn in das tolle Gekritzel des Spiegelbergschen Reiters brachte. Dreimal überflog sie das Schreiben vom Anfang bis zum Ende. Er lebte noch, er war ihr noch treu, und einen Brief hatte der Kaspar Wicht verloren, das wußte sie dann; aber was und wie er eigentlich geschrieben hatte und was der Brief außer den beiden großen Hauptsachen weiter enthielt, solches zu fassen, mußte sich ihr Herzklopfen doch noch mehr legen.

      Und jetzt rief gar der Vater!

      Und man sah es ihr gewiß an, daß sie geweint hatte!

      Und wieder rief der Vater, und sie mußte dem Ruf folgen – antworten! In ihrem Köpfchen drehete sich alles und alles tanzte um ihr und in ihr.

      Aber er lebte ja, er war treu!

      Sie war so glücklich, so überglücklich, so unsäglich glücklich!

      »Gleich, gleich, liebster Vater!«

      Sie trocknete die Augen und eilte dem Hause zu.

      »Bring einen Trunk und einen Imbiß!« rief ihr der Pastor oben von der Treppe zu.

      Wie gut doch der liebe Gott war! Nun konnte sie auch noch verweilen in der Küche und in dem Keller, daß der Vater sich nicht zu ängstigen brauchte über ihre roten Augen und ihren fliegenden Atem.

      Wie wohl der Klaus an den fremden, ausländischen Mann gekommen war? War es nicht seltsam, daß er einen so vornehm dreinschauenden Boten senden konnte? Der gute Bursche! O nun war alles, alles gut! Recht töricht war es doch gewesen, sich so zu ängstigen! O der böse Geigenkaspar! Wie hatte sie nur denken können, daß der Klaus sie vergessen würde? Ach, wenn der Vater ihm nur nicht so böse wäre, sie könnten alle, alle so glücklich sein; aber – nun, der liebe Gott ist ja gut, und er wird ja wohl ein Einsehen haben; die Hochzeitsmusik wird erschallen und die Myrte ihre schönsten Zweiglein hergeben zum Brautkranz! …

      Der Arzt Simone Spada aus Bologna schaute ganz verwundert ob dem Glanz, der von dem Angesicht der Jungfrau ausstrahlte, als sie ihm das silberne Ehrenkrügel des Hauses bot. Auch der alte Fichtner fragte sich innerlich:

      »Was hat die Dirne? Was ist dem Mägdlein begegnet, seit es heute Tag geworden ist? Nun, der Herr sei gepriesen, wenn seine Frühlingssonne solchen Einfluß auf ihre Wangen und Augen hat! Wahrlich, ganz verändert ist das Mägdlein!«

      Bereitwillig hatte der Pastor dem fremden Arzte seinen ganzen Vorrat von Hausmitteln, Spiritibus, Arcanis, Kräutern, Tinkturen, kurz allen Medikamenten, welche ein vorsorglich eingerichtetes Haus jener Zeit darzubieten hatte, zur Verfügung gestellt. Er führte ihn dann auch zu dem