Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe


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Gemeinde. Sein Name war Martin Meyenberger; er war ein Witwer und besaß einen einzigen Sohn, welchen er sehr liebte. Er gab ihm die sorgsamste Erziehung und sandte ihn, als die rechte Zeit dafür gekommen war, auf eine deutsche Hochschule, damit er daselbst weiterstudiere. Ein reger Wissensdrang lebte in dem Jüngling, dessen Name Benediktus war. Mit dem glühendsten Eifer widmete er sich der Wissenschaft, welche er sich erkoren hatte, der edlen Medizin, ohne daß er jedoch seine anderweitige Ausbildung vernachlässigte. Herrlich an Geist und Körper wuchs er heran – in meinem Vaterhaus zu Bologna hänget ein jugendlich Bildnis von ihm, gemalt von einem deutschen Meister, das gibt Kunde davon – immer vorwärts trieb ihn die heilige Flamme des Wissensdranges, welche in seiner Seele angezündet war. – So mußte endlich der alte Vater den Bitten des Sohnes nachgeben und ihn ziehen lassen nach meinem Vaterland Italia, nach meiner Vaterstadt Bologna, in welcher damals mein Großvater Matteo Spada ein berühmter Lehrer der Chirurgie war. – In dessen Haus – jetzo ist es das meinige – zog nun Benediktus und schloß daselbst eine Herzens-Freundschaft mit dem Sohne des Matteo, mit Antonio Spada. Der war mein Vater und ist nun auch lange tot. Tot ist Matteo Spada, tot Antonio Spada, zu Osnabruga hab ich jetzt auch den alten Benediktus begraben! Tot ist meine Mutter, tot ist Lydia Santoni, welche die Frau des Benediktus war! – – Neben meinem väterlichen Haus, dicht an der großen Kirche San Domenico wohnte die Lydia mit ihrer Mutter, und so kam es, daß der deutsche Scholar sie täglich sah und in heißer Liebesglut gegen sie entbrannte. Als seine Zeit in meinem Vaterlande um war, gestand er der Lydia seine Liebe, und sie zog mit ihm als sein eheliches Weib in seine nordische Heimatstadt. Als sie nach langer Fahrt daselbst ankamen, erwartete den Benedetto ein großer Schmerz. Der alte Vater Martino war gestorben, ohne daß er seinen vielgeliebten Sohn wiedererschaut hatte. Aber das Volk – reich und arm – bewillkommnete den aus der Fremde heimkehrenden Benediktus mit Freuden und nahm ihn und sein Gemahl auf in großen Ehren; bald ward er ein gar berühmter Arzt in der Stadt und hatte viel Zulauf aus der Nähe und aus der Ferne. In Friede und Eintracht lebte der Benedetto nun mit der Lydia, seinem Weibe, mehrere Jahre hin; doch ward ihre Ehe anfangs nicht mit Kindern gesegnet, und zuletzt überfiel die Lydia ein schweres Übel, das Heimweh nach dem Süden, welches mit jedem deutschen Winterschnee stärker wiederkehrte. – Da ward endlich den Eltern ein Kind geboren, das nannten sie Fausta, die Glückbringende; aber das Mägdelein brachte kein Glück. Ein schauerlich Trauerspiel war jetzt nahe vor der Tür!

      Nach langen, langen Wanderungen in allen Landen der Welt war der große, berühmte Arzt Theophrastus Paracelsus von Hohenheim, arm und elend, überall verfolgt von der Dummheit, dem Neide und der Mißgunst, heimgekehrt nach Deutschland und hatte endlich, endlich eine Zuflucht gefunden bei dem Fürstbischof von Salzburg, dem guten und gelehrten Pfalzgrafen Ernst, Herzog zu Bayern und bei Rhein, welcher den vielgeprüften, edlen Dulder mit offenen Armen aufnahm. – In Salzburg an der Brücke stehet das Haus, in welchem der hochweise Paracelsus starb kurze Zeit nach seiner Heimkunft aus der Fremde – und, bei Gott, die mögen wohl recht haben, welche da sagen: er sei keines natürlichen Todes gestorben!

      Zu dem Theophrast zog es nun mit unwiderstehlicher Gewalt den Arzt Benedetto Meyenberger; zu den Füßen des großen Mannes zu sitzen, seinen Worten zu lauschen, war der höchste Wunsch seines Lebens. Und so ließ der Verblendete sein Weib und sein achtjährig Töchterlein und machte sich auf den Weg gen Salzburg, sein Wissen und seine Kunst zu mehren. Aber im folgenden Jahre bereits, als man schrieb: eintausendfünfhundertundeinundvierzig, ist der weise Meister Paracelsus gestorben – erlegen der Mörderhand abergläubischen Pfaffentums oder heimtückischer Kunstgenossenschaft. Wenige sind seinem Sarge in Trauer und Wehmut gefolgt zum Leichenhof Sankt Sebastian, allwo er seine letzte und einzig sichere Ruhestätte gefunden hat. Unter den wenigen, welche dem großen Doktor das letzte Geleit gaben, schritt natürlich auch der Benediktus Meyenberger einher, welcher nunmehr seine Heimfahrt zu Weib und Kind antreten konnte, wie denn auch geschah.

      Ein großes Schrecknis erwartete ihn daheim!

      Seine Abwesenheit hatte die Schande benutzt, um sich in sein Haus zu schleichen. Sie hatte darin genistet, bis des Benediktus ehrbare Mitbürger dem häßlichen Wesen ein Ende machten, indem sie es aus ihrer Mitte verscheuchten. Ein ödes Haus, ein entehrtes Haus erwartete den Heimkehrenden.

      Mit einem vom Adel aus der Stadt Florenz, welcher mit dem Kaiser Karl dem Fünften nach Deutschland gekommen war, war die Lydia, des Benedettos Weib, vor dem Zorn, der Entrüstung der Nachbarn aus dem Heimwesen ihres Gatten geflohen! Treue und Eid hatte sie dem angetrauten, wackern Mann gebrochen, gefolgt war sie dem falschen Verräter, und ihr Kindlein hatte sie mit sich genommen auf die Flucht.

      Da ist der Benediktus gleich einem Wahnsinnigen gewesen und hat alles hinter sich gelassen und ist der Spur der Flüchtigen jahrelang vergeblich durch die weite Welt nachgeeilt, bis er endlich zu Paris in einem Kirchhofswinkel das Grab des einst so heiß geliebten Weibes fand. Aber damit war die wilde, verzweiflungsvolle Jagd noch nicht zu Ende. Sein Kind, sein Kind wollte der unglückliche Vater wiederhaben; Rache wollte er nehmen an dem verräterischen Zerstörer seines Glückes!

      So ist der Arzt Benediktus Meyenberger abermals gen Italia gezogen und hat seinen Aufenthalt zu Bologna im Hause des Jugendfreundes, in meines Vaters Hause, genommen. Da hat sich das Verhängnis meines Lebens erfüllen müssen! Denn als der deutsche Meister Benediktus kam und an die Tür meines Vaterhauses klopfte, ach, da kannte ich die Fausta schon und liebte mit der ganzen Glut der ersten Liebe die, welche ich für einen Engel des Lichtes hielt.

      O Festus, Bruder Festus, die verlorene Maid, welche der Vater suchte, kannte ich seit Monden, als der Benediktus zu uns kam!

      O Festus, Bruder Festus, neunzehn Jahr war ich alt, achtzehn war sie alt, als sie in all ihrer Schönheit zu Bologna erschien. Wir hielten sie für die Tochter Aleardo Pazzis, des florentinisthen Ritters, mit welchem sie kam, um als seine Schülerin ihr schreckliches Spiel zu treiben. Auf einer Villa in der Nähe der Stadt lebte der Ritter anfangs mit ihr in tiefster Zurückgezogenheit, aber bald ging ein leises Murmeln von der wunderbaren Schönheit der fremden Jungfrau von Mund zu Munde. Die, welchen das Glück geworden war, sie zu sehen, gingen einher gleich Verzauberten; die, welche ihr gutes Geschick vor solchem Glück bewahrt hatte, suchten in törichter Verblendung das leuchtende Verderben auch auf sich herabzuziehen. Unter diesen letzteren war ich, und wehe – wehe mir, ich sah sie! Ich sahe die Fausta – Fausta la Maga!

      Nicht lange dauerte das Schweigen, das auf der Villa des Aleardo Pazzi lag; allnächtlich hub sie an zu strahlen im Schein der bunten Lichter und Lampen. Köstliche Musik erschallte hinter den blühenden Büschen hervor, welche den Garten und das Haus umgaben. Die edelsten Jünglinge der Stadt und der Fremde drängten sich vor den Gittertoren – die ganze Jugend der großen Universität umkreiste allnächtlich die Villa Pazzi, wie die leichtsinnigen Nachtfalter die tödliche Flamme umflattern.

      Festus, Bruder Festus, da hab auch ich die Magierin Fausta gesehen und war – verloren wie hundert andere, aber schrecklicher als die andern; denn einen Augenblick – eine flüchtige Sekunde lang hat sie mich geliebt, geliebt mit dem vollsten Wert des Wortes! Eine Sekunde lang hat sie nicht mit mir gespielt wie mit den andern! In dieser Sekunde habe ich alle Freuden des Himmels und alle Qualen der Hölle genossen; denn in dieser Sekunde hat die Fausta – Fausta die Magierin weinend mich in die tiefsten Tiefen ihres Herzens blicken lassen, und in dieser Stunde habe ich erkannt, welch ein Herz hier in alle Ewigkeiten verloren – verloren sei!

      O Bruder, Bruder Festus, da habe ich gezweifelt, ob ein Gott sei; denn wie könnt ich fassen in meinem armen Hirn und Herzen, daß ein Gott also sein schönstes Werk durch die Hand des Satans gleichgültig zerstören lassen würde? Wie könnt ich begreifen lernen, daß ein Gott der Güte und der Schönheit sein herrlichstes Geschöpf also dem Verderber zum Spielball in die Hände geben würde? … O Bruder Festus, was hatte Aleardo Pazzi aus dem Kinde des deutschen Meisters Benediktus gemacht! Festus, Festus, du hast mich gefragt, ob ich die Qualen kenne, welche dich bedrängen – zweifelst du noch daran?«

      »Nein, nein, schrecklich ist’s, was Ihr erzählet! O weiter, weiter, sprechet weiter, auf daß das Grauen, welches Eure Worte mir erregen, zu einem Ende komme!« rief der Mönch, und der Arzt, nachdem er an das Fenster getreten war und die frische Nachtluft in sich gesogen hatte, ließ sich wieder nieder und fuhr fort:

      »Blitzschnell