Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe


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sagte er.

      Wiederum eilte Simone zu dem Fenster. Näher erklang der Hufschlag, und dann donnerte es die Dorfgasse hinunter, geradezu auf die Weser und die Fährstelle. Wieder erkrachte ein Schuß in der Ferne, dann ein zweiter. Die Waffen der Heransprengenden blitzten im Mondschein; »il fiume, il fiume! Der Fluß, der Fluß! Gerettet, gerettet!« riefen einzelne Stimmen; vor den Fenstern des Pfarrhauses bäumte sich ein weiß Pferd, welchem die andern Rosse nachdrängten.

      Warum fuhr Simone Spada zusammen? Weshalb faßte seine Hand unwillkürlich nach dem Schwertgriff?

      Das weiße Roß wurde von einer Frau gezügelt, und mit starren Augen folgte Simone Spada jeder Bewegung dieser Frau.

      Nein, nein, es war nicht möglich! Es konnte nicht möglich sein!

      »Holla, Holla, Fährmann! Fährmann!« wurde jetzt gerufen. Zwei der Reiter sprangen von den Pferden und schlugen an die nächsten Hüttentüren. Verschiedene Lebenskundgebungen zeigten an, daß die Dorfbewohner aus dem Schlaf erwachten.

      »Wie weit ist der Herr noch zurück?« fragte jetzt die Frau auf dem weißen Roß in italienischer Sprache, und Simone Spadas Brust entrang sich beim Klang dieser Stimme ein dumpfes Stöhnen; aber noch immer vermochte er es nicht, seinen Sinnen zu trauen. Es war nicht möglich! Es konnte nicht möglich sein!

      »Kaum zweihundert Pferdelängen, Signora«, klang die Antwort ebenfalls auf italienisch. »Sie wollten die Brücke hinter sich abwerfen.«

      »Gut, Jacopo. Animo, animo! Schlagt die Türen ein, wenn die verschlafenen Tölpel nicht erwachen wollen! Alles geht vortrefflich, Jacopo!«

      »Sicuramente, Signora! Holla, holla, Fährmann – zwanzig Goldgulden demjenigen, welcher uns an das andere Ufer schafft!«

      Allmählich hatte sich jetzt ein Haufe verschüchterter Bauern, Männer und Weiber, um die Reiterschar versammelt, Lichter irrten hie und da durch das Dorf, Fackeln leuchteten auf und vermischten ihren roten Schein mit dem bleichen Glanz des Mondes; auch Simone Spada stürzte hervor aus dem Pfarrhause, auf dem Fuße gefolgt von dem Bruder Festus. Eine Bewegung des Schreckens entstand unter den Reitern; mehr durch Zeichen als durch Worte erfuhren sie, daß das Fährschiff drüben in Holzminden liege und daß es keinesfalls möglich sein werde, die Rosse der Fremdlinge in den zerbrechlichen Fischerkähnen des Dorfes über den Strom zu schaffen.

      »Wo bleibt der Herr? Wo bleibt Don Cesare?« fragte die Frau, unruhig die Dorfgasse entlang schauend, und diesmal stieß Simone Spada einen Schrei aus –

      Sie war es!

      Fausta La Tedesca! ……

      Im Schatten des Pfarrhauses stand der Arzt und faßte mit eiserner Faust die Schulter des Bruders Festus und deutete auf die hohe Gestalt auf dem weißen, schnaubenden Roß inmitten der bewaffneten Reiter und der angstvollen Bauern:

      »Fausta La Tedesca!«

      Der Mönch faltete zitternd die Hände, zwischen denen er den Rosenkranz hielt:

      »Fausta La Tedesca?!«

      »Fausta La Tedesca – in Mondlicht und Feuerschein – wie immer! Schau, schau, wie schön sie ist! – Wehe mir, was bedeutet solches? Schau die Schreckliche, Festus! Hat meine Erzählung sie wieder zu meinem Verderben herbeigerufen? Wehe mir, was soll das geben? Was soll das werden?«

      Während der Arzt und der Vikar also aus dem Schatten des Pfarrhauses die Tochter Benedikt Meyenbergers belauschten, hatten die Diener Faustas am Ufer der Weser die Kähne des Dorfes überzählt, und Jacopo beschäftigte sich bereits damit, durch Schwerthiebe die Seile der den Flüchtigen unnötigen Fahrzeuge zu zerhauen und sie mit Fußtritten weit hinauszutreiben in den Strom. Den Eigentümern füllte Fausta die Hände mit Gold.

      »Ich ahne, was es ist«, murmelte Simone Spada. »Aber –«

      »II signore, il signore cavaliere!« schrieen plötzlich die Diener – wieder klang Hufschlag die Dorfgasse hinab, und ein Hüfthorn erklang.

      »Va bene! Mut, Mut, meine Freunde!« rief Fausta, und ein triumphierendes Lächeln umkräuselte Ihre Lippen. »Verspielt, verspielt, Herr Graf zu Pyrmont!«

      »Ah!« rief Simone Spada. Er wußte nun, weshalb die Fausta durch die Nacht floh.

      Ein zweites Horn rief in der Ferne.

      »Il signore conde!« riefen die flüchtigen Männer am Ufer der Weser und schauten ängstlich nach den Bergen, von denen her das zweite Horn erklang.

      »Campolani hier! Hier Campolani!« rief der barhäuptig auf schäumendem Rosse, gefolgt von zwei Begleitern und einem ledigen Pferd, heransprengende Don Cesare.

      »Hie Fausta La Tedesca!« rief die Tochter des Meister Meyenberger. »Alles in Ordnung, Cesare!«

      »Cesare Campolani!« stöhnte Simone Spada, das Schwert aus der Scheide reißend. »O Fatum, Fatum!«

      »Hie Campolani!« rief der italische Ritter, von seinem Pferd herabspringend. »Und dort die Weser! Wir sind also geborgen! Aber schnell, schnell, der wütende Narr ist dicht hinter uns!«

      Mit kurzen Worten setzte Jacopo jetzt dem Ritter die Sachlage auseinander, und einen wilden Fluch stieß Don Cesare aus, als er erfuhr, daß die Pferde bei der Überfahrt zurückbleiben müßten; düster überflog sein Auge die um ihn her haltenden Reiter und die halbnackten, zitternden Dorfbewohner, welche scheu einen weiten Kreis um die fremdartige Gruppe bildeten.

      »Acht Männer und ein Weib!« murmelte Cesare. »Wo ist Luigi?«

      »Da ist sein Pferd. Reiterlos lief es mit – Blut auf dem Sattel!«

      »Herunter, herunter von den Gäulen!« schrie der Ritter, zur Erde springend. Drohend näher erklang das Horn von Pyrmont. Von dem Zelter hob Cesare die Fausta.

      »Seht nach den Lunten! In die Kähne – presto! presto! Lasset die Gäule – drüben findet sich das andere!«

      Zwei Kähne befanden sich noch am Ufer, in sie verteilten sich die fliehenden Männer, die Ruder ergreifend, als man eben in der Ferne abermals Hufschlag und wildes Rufen vernahm.

      In den Fluß hinein glitt das eine gebrechliche Fahrzeug, auf den Rand des zweiten setzte Cesare, nachdem er der Fausta beim Einsteigen behülflich gewesen war, soeben den Fuß.

      »Hoho, die Narren! Zu spät, zu spät, mein Herr von Pyrmont! Hie Campolani! Campolani hie!«

      »Hie Spada! Simone Spada hie!« schrie außer sich der Arzt, sich losreißend aus den Armen des Bruders Festus und mit gehobenem Degen aus der Dunkelheit, dem Schatten des Pfarrhauses vorspringend gegen den Todfeind.

      Ein Ausruf der Verwunderung entrang sich der Brust des Ritters, und auch Fausta La Tedesca sprang von ihrem Sitze im Vorderteil des Kahnes in die Höhe.

      »Teufel, Simone Spada?!« rief Don Cesare.

      »Simone Spada, Simone Spada?!« rief Fausta.

      »Ja, Mörder! Verräter! Simone Spada! Denk an Bologna, denk an Venedig, denk an Padua! Hab acht und wehre dich!«

      »Maledetto!« murmelte Cesare, seine Klinge mit der des Arztes kreuzend und den ersten wilden, verzweifelten Angriff abwehrend. Ein guter Fechter war Simone, der Kampf konnte lang währen, und schon stürmten die Spiegelbergischen die Gasse des Dorfes hinab gegen die Fähre – die Rettung der Fliehenden hing an einem Haare.

      In dem Kahne wurden zwei Feuerröhre erhoben und gegen die Brust des Arztes gerichtet.

      »Schießt nicht – Diavolo, schießt nicht!« rief der Ritter. »Es freut mich, Euch zu sehen, Signor Spada – Schad, daß die Zeit zu kurz ist, um länger mit Euch zu plaudern!«

      »Verräter, Verräter!« stöhnte Simone, immer wilder auf den Feind eindringend.

      »Ereifert Euch nicht, Signor«, lachte Cesare, unterbrach sein Gelächter jedoch: »Diavolo!«

      Das Schwert Simones fuhr in seine Achsel, ohne ihn freilich gefährlich zu verwunden. Aber