die beiden Schwestern die Absicht ihres Bruders merkten, rief Ursula mit unterdrücktem Schluchzen: »Du findest sie da oben nicht, Philipp!«
»Wo ist sie?«
»Sie hat ein Roß satteln lassen und ist davongeritten – eine Stunde mag es her sein.«
»Weshalb hat sie keiner gehindert?« rief der Graf wild.
»Wer sollte sie hindern?« fragte mit sanftem Vorwurf Fräulein Ursula. »War es nicht dein Wille, daß dieses Weibes Wort in diesen Mauern soviel galt?«
Herr Philipp seufzte, neigte das Haupt, antwortete aber nicht. Er stieg hinunter in den Schloßhof, rief ebenfalls nach seinem Rosse, warf sich darauf und jagte über die Zugbrücke. Kopfschüttelnd blickten ihm Pförtner und Knechte nach, doch wurden sie sogleich durch die Stimme des Fräuleins Ursel in ihren Betrachtungen unterbrochen. Da Klaus Eckenbrecher der erste war, welcher der Schwester seines Herrn in den Weg trat, so wandte sie sich an ihn:
»Schnell, schnell zu Pferd, Klaus; reite dem Herrn nach; gib acht auf ihn – schwer liegt’s mir auf dem Herzen, als müsse uns ein großes Unglück treffen! Schnell, schnell – o das abscheuliche Weib – ach, der fremde Arzt hatte wohl recht, als er ihr seinen Fluch zurief. O hätten wir sie doch niemalen erschauet!«
Als Klaus nach dem Befehl des Fräuleins sich auf seinen Gaul schwang, rief ihm Ursula noch zu:
»Höre, Klaus, der Graf möchte dich fragen, weshalb du ihm nachreitest; sage darauf, ich habe dich gen Lügde geschickt, um –«
»Euch Nadeln zu holen! Wohl, wohl, sorget nicht – kein Haar soll dem Herrn gekrümmet werden, und ein bös Gesicht soll er auch nicht ziehen ob Eurer Fürsorglichkeit.«
Damit gab auch der Klaus seinem Pferd die Sporen. –
Den ganzen Vormittag durch hatte es mit kurzen Unterbrechungen leise geregnet, jetzt brach die Sonne durch das Gewölk und leuchtete in das letzte Schauer hinein. Als Herr Philipp über die Emmerbrücke galoppierte, bildete sich in der Luft der prächtigste Regenbogen und überspannte die liebliche Landschaft. Niemals hatte der Graf von Pyrmont viel Sinn für solche Naturschönheiten gehabt, wie konnte er in seiner jetzigen Stimmung darauf achten? Er sah weder noch fühlte er das funkelnde, glitzernde Demantengewirbel.
Wohin war die Fausta geritten?
Jetzt waren die Wiesen zu Ende, und der Weg lief in einen Winkel durch ein Gehölz, bestehend aus alten, gewaltigen Buchen und dicht verwachsenem Unterholz. Obgleich die Zweige noch kahl waren, so gewährten die dichtgedrängten Baumstämme gegen den Regen etwas Schutz. – Der Graf hielt sein Roß an; in der Ferne bewegte sich über dem Gezweig des Buschwerks ein Etwas, eine schwarze Feder, eine Feder, wie sie Don Cesare Campolani auf seinem Barett trug, und – da – da neben dieser schwarzen Feder bewegte sich ein anderes Etwas, purpurfarbig gleich dem spitzen Sammethütlein der Fausta. Atemlos horchte der Spiegelberger – wie ein Blitz schoß es ihm durch Herz und Hirn. »Falsch Spiel spielt sie mit dem Ritter«, hatte sein Reiter gesagt. Ohne zu wissen, was er tat, stieg der Spiegelberger vom Roß und knüpfte den Zügel desselben an einen Ast. Von Stamm zu Stamm schlüpfte er, vorsichtig, lautlos durch das triefende Gebüsch sich windend, der Gruppe hinter den alten Buchen zu. – Er hatte sich nicht getäuscht!
Zu Roß hielten Cesare und Fausta dicht nebeneinander im eifrigen Gespräch. Zehn Schritte von ihnen stand der Graf und horchte. Seine Brust zerfleischte er, seine Lippen zerbiß er,
»O Falsche! Falsche!« stöhnte er. »O der schändliche Verräter!«
Finster horchte der Ritter Campolani dem Berichte seiner Genossin. Sollte das klug übernommene und fortgeführte Werk im Augenblick des Gelingens scheitern? Sollte das Netz reißen in dem Augenblick, wo die Beute vollständig gefesselt zu sein schien?
»Fausta, es ist nicht möglich!« rief Cesare. »Halte mir diesen Knaben; du weißt, wie wichtig er uns ist. Zurück zum Schloß, Fausta; noch ist er in deiner Gewalt; sprich zu ihm, verantworte dich gegen ihn – noch ist er unser. Zum Teufel, nicht ihn allein verlören wir, wenn er sein gegeben Wort zurückzöge. Das darf nicht sein! Fausta, Fausta, er darf uns nicht verloren gehen, hörst du? Ans Werk, Zauberin, tue deine Pflicht, Fausta La Maga, und fessele mir diesen deutschen Tölpel – – da kommen meine Leute von Lügde – reite vorauf, Fausta, und kehre zurück ins Schloß, doch auf einem andern Wege! Langsam folge ich dir auf diesem. Ich hätte nicht gedacht, daß du dich so leicht erschrecken ließest, ma mie – nun, nun, reite nur und baue auf mich, wir wollen die Sache schon wieder ins Geleise bringen.«
Ein gelles Lachen antwortete diesen Worten des italienischen Ritters. Das Schwert in der Hand stand Philipp von Spiegelberg vor Cesare und Fausta, deren Rosse erschreckt durch die unerwartete Erscheinung sich hoben.
»Weiter, weiter, Herr Ritter von Campolan! Weiter, Fausta! Laß dich nicht irren, du falsche H…!«
Einen Fluch stieß der Italiener aus. Jetzt ließ sich nichts mehr gut machen. Vergeblich hatte der Abgesandte des Königs von Frankreich seine köstliche Zeit auf dem Schloß Pyrmont vergeudet. Zornig griff er nach dem Schwertgriff und schaute über die Schulter nach seinen Leuten, deren Waffen und Harnische in der Ferne, auf der Landstraße blitzten. Langsam ritten sie von Lügde heran.
»Verräter, heimtückischer Verräter!« schrie Philipp von Spiegelberg. »Herunter vom Gaul und sehet zu, ob Euere Kunst standhalten wird gegen den Tölpel von Pyrmont!«
»Sei’s denn!« knirschte Don Cesare. »Dummer Zufall. Fausta La Tedesca, wir kehren nicht zurück ins Schloß Pyrmont; reite zu den Knechten, ich werde im Augenblick bei Euch sein. Zu Eueren Diensten, Signor Conde!«
Vom Pferde sprang er, riß ebenfalls das Schwert aus der Scheide und kreuzte es mit der Klinge des Grafen.
Schon hatte er seine ganze Kaltblütigkeit wiedergewonnen, und ein Lächeln umspielte seine Lippen, als die Waffen gegeneinander klirrten.
»Auf meine Ehre, Herr Graf, es tut mir sehr leid, daß unsere Freundschaft also zu einem übeln Ende geraten muß – hütet Euch, das war unvorsichtig. Rechnet’s aber der Fausta nicht zu hoch an, was geschehen ist; wir sind alte Bekannte, amor antico mai non invecchia, alte Liebe rostet nicht, wie Ihr saget – corpo di bacco, so deckt Euch doch, zum zweitenmal gehörte Euer Leben eben mir! – Hört mich, Herr Graf, wollt Ihr im Ernst um eines Weibes willen unsere stolze Sache aufgeben?«
»Verräter! Verräter! Falscher, heimtückischer Verräter!«
»Nicht also, Herr Graf – bei Gott, Euer Leben ist in meiner Hand; aber ich töte Euch nicht! Ich bitte Euch, fasset Euch, lasset nicht eines Weibes wegen von uns – – was ist das?«
Von Pyrmont her erschien im vollen Galopp Klaus Eckenbrecher und stieß seinem Gaul die Sporen bis an die Fersen in die Weichen, als er seinen Herrn mit dem Ritter Campolani im Kampf erblickte.
»Hie Spiegelberg! Hie Spiegelberg!«
»Bellissimo, da kommt Euch Hülfe, Signor Conde. Das ändert die Sache, wir müssen scheiden. Noch einmal: gebt um eines Weibes willen unsere Sache nicht auf; wir warten auf Euch im Lager des Herrn von Wrisberg und so denn – ecco!«
Einem leuchtenden Blitz gleich flog die Klinge Philipps durch die Luft und schoß weit seitwärts von den Kämpfenden in das Gebüsch. Ehe der Graf den Dolch herausreißen und sich von neuem auf seinen Gegner stürzen konnte, hatte dieser sich auf sein Roß geschwungen und eilte zu seinen zwanzig Schritt entfernt haltenden Knechten.
»Weshalb habt Ihr ihn nicht getötet?« fragte Fausta; aber Cesare antwortete nicht. Im Sattel sich wendend, rief er gegen den Grafen zurück:
»Nun hütet Euch, Herr Graf zu Pyrmont! Meinen Dank für Euere Gastfreundschaft hab ich Euch soeben abgestattet – wir sind jetzt quitt – hütet Euch, mir von neuem die Brust zu bieten! Mein bleibt Fausta La Tedesca, die deutsche Glückbringerin –«
Ein Schuß krachte, und die Kugel riß die schwarze Feder vom Barett des Ritters, der sich gegen den Grafen lächelnd verneigte und gefolgt von seinen Knechten gegen Lügde zurück trabte.
»Verflucht!«