Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe


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Schloß am heiligen Born zurüdc, die Mannen von Pyrmont zur Verfolgung der schönen, falschen Zauberin Fausta La Tedesca aufzubieten.

      Eine Stunde später vernahmen die Flüchtigen das Spiegelbergsche Horn hinter sich. Sie hatten von Lügde aus einen Bogen gegen Nordwesten gemacht, wurden aber bald gezwungen, von ihrem Wege abzuweichen und sich in die Wälder zu werfen, die vom Teutoburger Walde sich in die Ebene hineinziehen. Da die Spiegelbergschen mit Weg und Steg allhier wie mit ihrer Tasche bekannt waren, so gelang es ihnen bald, dem Ritter Campolani den Pfad zu verlegen. Endlich, nach kurzem Rat wandten die Verfolgten ihre Rosse wieder und jagten gegen die Weser. Mit einbrechender Nacht waren die Verfolger dicht hinter ihnen; Schüsse wurden gewechselt, als der Mond aufging; mehr als einmal hielt hinter einem geschwollenen Waldbach Don Cesare Campolani dem Grafen von Pyrmont stand. Was dann um Mitternacht zu Stahle am Ufer der Weser und auf dem Flusse geschah, ist im vorigen Kapitel erzählt worden.

      Tot war Fausta La Tedesca! – – Tot war Simone Spada aus Bologna! – – –

      Neunzehntes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Wie Simone Spada und die schöne Fausta La Tedesca begraben wurden, und was mit dem Bruder Festus geschah.

      Es war, als blicke man in das öde, leere Nichts, welches herrschte, ehe Gott der Allmächtige das Wort sprach, das Licht ward und die Dinge auftauchten aus der großen Wüste. Undurchdringlich lag der Nebel über dem Weserflusse und den Bergen. Man sah nicht drei Schritte weit seinen Weg, man vernahm keinen Laut. Es war, als ob die ganze Natur teilnähme an dem, was sich vorbereitete in dem Dorfe Stahle und der Stadt Holzminden.

      Zwei Tage waren vergangen seit dem großen Schrecken, welcher das Dörflein und das Städtlein überfallen hatte. Zwei Särge waren gezimmert worden: der eine stand am linken Ufer der Weser in dem katholischen Pfarrhause, der andere stand am rechten Ufer in dem lutherischen Pastorenhause.

      Still lagen die bleichen Schläfer in den schwarzen Schreinen, zwischen denen der Strom seine Fluten rollte; aber noch lehnten die Sargdeckel an den Wänden, noch blickte in das Gesicht Faustas Philipp von Spiegelberg, der Graf zu Pyrmont.

      Vergeblich war des letztern wilder Ritt hinter dem Ritter Cesare Campolani her gewesen. Glücklich hatte dieser sich zum Wrisberger gerettet, und manche gute Büchse und Hellebarde, geworben für den Dienst des Königs von Frankreich, lagerte sich jetzt zwischen ihn und seinen grimmigen Feind. Sein gutes Roß hatte der Spiegelberger zu Tode gejagt auf dieser wilden Jagd; dann war er zerschlagen, todmüde und krank zurückgekehrt nach Holzminden zur Leiche der falschen, schönen, geliebten Fausta. Den Sarg hatte er ihr zimmern lassen, und nun sollte sie begraben werden an diesem Nebelmorgen. In dem Pfarrhause zu Holzminden saß der Graf und mühete sich vergebens ab zu fassen, wie das alles so gekommen sei.

      Wohl war der Bruder Festus über den Fluß gekommen, um dem Grafen den letzten Gruß zu bringen von Simone dem Arzte aus Bologna. Wohl hatte der Bruder Festus dem Grafen die Geschichte des toten Freundes und der toten Fausta erzählt nach dem letzten Wunsche Simone Spadas. Aber der Graf hatte nur genickt, als sei das alles ganz in der Ordnung, sein Auge hatte die kleine Wunde unter der linken Brust der Toten nicht verlassen. Der Zauber, welchen die lebendige Fausta auf ihn ausgeübt hatte, waltete mit verdoppelter Macht jetzt, wo das Herz der Zauberin ausgeschlagen hatte. Vergessen war das falsche Spiel, welches sie mit ihm getrieben hatte – das war alles nur ein trügerischer Traum gewesen –, Fluch, dreimal Fluch über alle, welche ihn verlockt, sie in den Tod zu jagen, sie, die Schöne, die Heißgeliebte.

      Wehe, wehe, rief Philipp von Spiegelberg über sich selbst, und der Abt von Corvey, der mit einigen seiner Benediktinermönche auf die Nachricht von dem Geschehenen gen Holzminden gekommen war, konnte nur dem lutherischen Pastor Valentin Fichtner beistimmen, welcher da meinte: das Rätlichste werde sein, den Leib der schönen Dirne sobald als möglich zur Erde zu bestatten, um die »Verzauberung« zu lösen. Daß eine solche waltete, davon war jedermann überzeugt, Pfaffen und Laien, Katholiken und Lutheraner. Was bannte den jungen Grafen so an den Sarg des erschossenen Weibes? Falsches und Wahres schlang sich zu seltsam-schauerlichen Gerüchten zusammen, welche für lange kommende Jahre Stoff zu Wintermärchen und unheimlichen Sagen gaben. Die Spiegelbergschen Knechte vermehrten durch ihre Erzählungen, deren Grundton sich je nach der erzählenden Persönlichkeit änderte, diese unbestimmten Schauer, welche die »fremde Leiche« umgaben.

      Und dann drüben am linken Ufer der andere Tote!? Bald wußte man zu Holzminden und weit im Lande umher, daß auch er um der Fausta wegen erschossen worden sei. Seit Anno 1542, wo die Meißner und die Hessen ihr Lager bei Holzminden aufgeschlagen hatten, war das Städtlein durch kein Ereignis so aufgeregt worden wie durch das jetzige. Seit der schrecklichen Nacht, welche Fausta leblos an das rechte Ufer der Weser geworfen hatte, war das Städtlein wie in einem Traum befangen gewesen. Da lungerten die Spiegelbergschen Reiter durch die Gassen, da schritten die Mönche von Corvey, die sonst sich nicht gern auf dem protestantischen Boden zeigten, um und in das Haus des Pastors Fichtner; die bekanntesten Gegenstände blickten die guten Bürger und Bürgerinnen ganz fremdartig an, so waren sie in ihrem träge dahinschleichenden Leben aufgerüttelt und aufgeschüttelt worden. –

      Endlich war der Morgen gekommen, an welchem der Leib der »Fremden« begraben werden sollte an der Seite dessen, der drüben zu Stahle im schwarzen Totenschrein lag. Auf katholischem Boden mußten ja die katholischen Leichen ruhen, und die zwei Gruben – waren bei Laternenschein in der vergangenen Nacht gegraben auf dem kleinen Dorfkirchhofe.

      Es war alles bereit – die Nacht war vergangen, aber die Nebel wollten nicht weichen.

      Im Pfarrhause zu Stahle zur Rechten des von dem armen, ungeschickten Dorftischler rohgezimmerten Sarges Simones saß der uralte, blinde Chrysostomus, ohne zu wissen, was um ihn her vorging; zur Linken kniete mit verhülltem Gesicht der Bruder Festus. Die Fenster und die Türe des Gemaches standen weit offen, und stumm drängte sich davor die Dorfbevölkerung, scheue Blicke auf die beiden geistlichen Herren und den Toten werfend. Zu Füßen des Sarges kauerte der Knabe Paul und rang schluchzend die Hände:

      »O Madonna, Madonna, nimm meinen guten Herrn auf in dein ewiges, seliges Reich! O Madonna, o Madonna, wer soll nun mich Verlassenen heimleiten in die Heimat?«

      Wie schön war Simone Spada in seiner letzten Ruhe!

      Auch er trug seine Todeswunden an der Brust, und das edle Gesicht war verschont geblieben von den mörderischen Geschossen, welche die Fausta auf ihn gelenkt hatte. Die schwarzen Locken umwallten zierlich sich kräuselnd die breite, hohe Stirn und fielen bis auf die Schultern herab. Sein schwarzes Sammetgewand trug der Tote, und das Schwert von prächtiger Mailänder Arbeit an der Seite. Die Hände hatte ihm der Bruder Festus auf der Brust zusammengelegt, und sie hatten sich nicht dagegen gesträubt. So lag Simone Spada aus Bologna zum letzten Schlaf ausgestreckt in männlicher Totenschönheit da! –

      Dicht neben dem Kirchlein waren die beiden Gräber, in denen Simone und Fausta ruhen sollten, gegraben, und in dem kleinen Turme des Kirchleins standen zwei Kinder neben dem herabhängenden Glockenstrang und warteten, um im rechten Augenblick das Zeichen zu geben, welches die Fausta La Tedesca zu dem toten Simone herüberrufen sollte.

      Jetzt erhob sich der Knabe Paul und legte leise dem Vikarius Festus die Hand auf die Schulter, und der junge Mönch erhob zusammenfahrend das Gesicht und schaute mit irrem Blicke umher.

      »Es ist Zeit!« flüsterte Paul mit tränenvoller Stimme. Der Bruder Festus fuhr mit der Hand über die Stirn, als besinne er sich, dann nickte er.

      Dasselbe Wort – wurde am rechten Ufer zu Herrn Philipp von Spiegelberg gesprochen, und auch dieser hob das Gesicht aus den Händen und nickte.

      Auf beiden Seiten des Flusses traten die Meister Schreiner mit ihrem Werkzeug heran, um die Sargdeckel über die Toten zu legen, und Seufzen und Klagen begleitete ihr trauriges Werk. Währenddem hielt in der noch blätterlosen Laube des Pfarrgartens Klaus Eckenbrecher, der junge Reiter, die zitternde Monika umfangen, so daß der dichte Nebelschleier, welcher hüben und drüben so viel Elend,