Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe


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auf sie, niemand hatte Zeit, sich um sie zu kümmern; – wie konnte der Vater Fichtner weichen von der Seite des Grafen von Pyrmont und des Abtes von Corvey?

      In perlenden Tropfen zog sich der Nebel an dem Gezweig herunter, sammelte sich an den Spitzen der schwellenden Blattknospen und fiel mit leisem Klingen zur Erde nieder; – perlende Tröpflein fielen aus den Augen der seligen Monika, die dem Geliebten so viel zu sagen, zu klagen hatte, und doch kaum einzelne Worte hervorbringen konnte.

      »Treu! Treu! Treu!« Wie der Tautropfen sich aus dem grauen Dunst, der die Welt verhüllte, zusammenzog, so zog sich dieses Wort aus dem Nebel zusammen, welcher so lange ihr armes, banges Herz bedeckt hatte.

      »Ja treu, treu, treu!« jubelte Klaus Eckenbrecher. »O liebstes Lieb, wie konntest du daran zweifeln?«

      Hoch schlug dem Knaben das Herz, als er der Maid den roten Mund küßte; alle Kraft mußte er zusammennehmen, auf daß er sein Glück nicht laut hinausjubelte in die mißgünstige, neidische Welt.

      »O Monika, Monika, wie habe ich mich gesehnt! Und nun fass ich und halt ich dich –«

      »Und alles ist gut! Gelobt sei Gott der Herr, welcher dich behütet hat unter den fremden Leuten, in dem fremden Lande. Und wenn du nun auch wieder von dannen ziehest, so weiß ich doch nun für gewiß, daß du noch lebest und immer mich noch lieb hast wie sonst.«

      »Ja treu, treu!« flüsterte Klaus. »Und wenn ich auch wieder reiten muß, so stehet dieses Mal über unserm Abschied nicht solch ein böser Stern wie vor einem Jahr – gedenkst du noch daran?«

      »Jaja; ach, wie hab ich mich gehärmt vor einem Jahre, als der schlimme Stern in der Höhe leuchtete und du fortschifftest mit dem Grafen in der dunkeln Nacht.«

      »Aber der Stern hat uns nicht gegolten! Uns deutete er kein Unheil vor, nur große Sehnsucht und übermächtig Verlangen hat er uns gebracht, dieses ganze Jahr durch. Nun ist alles gut; ich habe dich und halte dich – treu, treu, treu in alle Ewigkeit!«

      Die Monika legte das Köpflein an die Brust des Geliebten, und dieser zog sie fester an sich; aber im selbigen Augenblicke schaueten beide auf und fuhren dann erschrocken auseinander. Vom Hause her erklangen rasch aufeinanderfolgende, dumpfe Hammerschläge.

      »Horch, horch!«

      »Sie schlagen den Sarg der Zauberin zu, die meinen Herrn verhext hat.«

      »O Klaus – horch, wie schauerig! Laß uns gehen, ich fürchte mich – o dieser Nebel – wird er nicht immer schwärzer?«

      »Bleibe, Monika – fürchte dich nicht; was haben wir mit der Toten zu tun?«

      »Nein, nein, – laß – laß mich aus deinen Armen – horch, was ist das – schaue da, da – horch, horch!«

      Schatten glitten gegen das Haus zu durch den grauen Duft; eine Trompete klang rufend in einiger Entfernung.

      »Das ist das Spiegelbergsche Horn – Peter Frost bläst’s – das ruft uns zum Begräbnis – zum Scheiden, Monika!«

      Mit einem Schrei faßte die Maid den Herzliebsten wieder fest in die Arme.

      »Schon, schon?! O Klaus, lieber Klaus!«

      Wieder begegneten sich die Lippen der armen Kinder im heißen Kusse.

      »Es muß sein!« sagte der Reiter mit kläglicher Stimme. »Horch, schon wieder ruft das Horn, und da wird’s lebendig am Strom – sie werden mit dem Sarg der Hexe aus dem Haus fürgehen,«

      »Bleibe hier, bleibe bei uns, Klaus!« schluchzte Monika. »Der Vater wird gut sein, er wird uns nicht mehr trennen wollen –«

      »Ich hab nicht Haus, nicht Hof, dich heimzuführen; – o tröst dich, mein Lieb, und weine nicht und brich mir nicht das Herz – es kommt doch noch alles zu einem guten End.«

      »Ach, Klaus –«

      Fest umschlangen sich noch einmal die beiden und küßten sich lang und heiß, dann riß der junge Reiter sich los aus den Armen der Braut, von der Mauer des Pfarrgartens sprang er herab und eilte nach der Fähre zu.

      »Ach Klaus, Klaus!« rief ihm die Monika nach; aber schon war er verschwunden im ziehenden Dunst.

      Auf beiden Ufern der Weser hatten die Meister Schreiner ihr traurig Werk vollendet; die Träger warteten an der Tür.

      Mit frühen Blumen waren beide Särge geschmückt, mit Märzveilchen, Schneeglöckchen, Maßliebchen und Tannenzweigen. Niemand hatte der Hand der Monika zu Holzminden gewehrt, als sie die Gewinde um den Schrein der großen Sünderin Fausta legte. – –

      Wie der Nebel wogte! Es war, als verdichte er sich immer mehr; die Brust preßte er zusammen, das Atmen erschwerte er; es war, als werde die Sonne niemals ihn besiegen können; es war, als müsse er von nun an bis in alle Ewigkeit die Erde bedecken.

      Im Pfarrhause zu Holzminden war der Abt von Corvey zu dem Grafen von Pyrmont getreten, welcher noch immer neben dem geschlossenen Sarge Faustas saß; er hatte sich zu dem Armen niedergebeugt:

      »Erhebet Euch, Philippe, es ist Zeit, den Leib der Erde zu geben; die Träger und die Schiffe harren – man ruft uns – horcht!«

      Leise klagend klang es aus der Ferne über den Strom – kaum vernehmlich zu Holzminden war die Stimme des winzigen Glöckleins von Stahle, und doch war Gottes Stimme darin; Gottes Stimme rief den Leib der großen Sünderin über den Strom; – über dem grauen Nebelschleier, welcher die Erde deckte, war Gericht gehalten worden über Simone Spada und Fausta La Tedesca, das Kind des Benediktus Meyenberger! ….

      Sechs junge Bürger von Holzminden trugen den Sarg der Zauberin herab gegen den Fluß, wo das schwarz behängte Fährschiff harrte. Zwischen dem Pastor Fichtner und dem Abt von Corvey folgte ihm Herr Philipp von Spiegelberg, ihnen nach traten die Mönche des Benediktinerstifts, und diesen folgten in Wehr und Waffen die Spiegelbergschen Knechte, deren Rosse bereits früher schon an das linke Ufer geschafft waren. Schattenhaft glitt die Reihe der Gestalten dem Flusse zu durch den Nebel; in Masse zog das Volk der Stadt, Männer und Weiber, Jünglinge und Jungfrauen, Greise und Kinder, mit und stürzte sich, als der Sarg in dem Fährschiff niedergesetzt war, ebenfalls in die Boote, um ihm über die Weser zu folgen.

      Fort und fort wimmerte von Stahle das Totenglöckchen, während von langsamen Ruderschlägen getrieben die Kähne in dem grauen Duft über die Wasser dahinglitten. Die Mönche von Corvey sangen das Miserere – die Sterbelitanei; in den begleitenden Kähnen schluchzten die Weiber, die Männer sahen grimmig in Furcht und Schauer.

      So schaukelten die Fluten der Weser die große Sünderin zum letzten Male auf ihrem Rücken, und immer, immerzu und immer, immer näher klang das Glöcklein von Stahle, immer dringender rief es die Fausta La Tedesca! –

      Auf dem armen, kleinen Kirchhofe des katholischen Dorfes war der Sarg des Arztes Simone Spada aus Bologna bereits neben den offenen Gräbern niedergesetzt und harrte. Neben ihm stand der Bruder Festus – eine unheimliche Gestalt in dem zweifelhaften Halblichte. Der alte Chrysostomus stützte sich auf den Arm seines Vikarius und lächelte kindisch vor sich hin, die armen Bauern mit ihren Weibern und Kindern bildeten einen Halbkreis um die Gruppe.

      Jetzt ging ein Flüstern umher:

      »Sie kommen, sie kommen!«

      In der Tiefe gegen den Fluß hin tauchte es im Nebelgrau auf, heran gegen den Kirchhof schwebte es –

      »Sie kommen, sie kommen!«

      Näher erklang der schwermütige Gesang – jetzt hatte der schattenhafte Zug die Umzäunung des Kirchhofes erreicht, man vernahm die Fußtritte der Nahenden – über die Gräber wälzte es sich heran – der Bruder Festus trat einige Schritte vor – zur Erde setzten die Träger den Sarg der Fausta La Tedesca neben der für sie bestimmten Gruft; der Gesang der Benediktiner brach ab. Aus dem Nebel traten gegen die Geistlichen des Dorfes der Abt, der Graf, der Pastor Fichtner und die Mönche heran, die Spiegelbergschen Reisigen und das Volk von Holzminden schlossen den Kreis, und dicht an den Reiter Klaus Eckenbrecher wurde zufälligerweise