Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe


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Schwert in der Hand tragend, habt Ihr Euch so von solchen Kastraten des Geistes und Körpers solch ein Geschick auf den Nacken werfen lassen?

      O Sever, Du hast recht, diese Gedanken sind tötend, und sie töten auch mancherlei, was der deutsche Mensch sonst als köstliches Kleinod wert gehalten hat! Das werden die Zeiten lehren! – – – –

      Ach, Sever, nun hat mich der Wald in seine holden Dämmerungen aufgenommen, und ich frage nicht mehr, wie es möglich ist, daß in solch böser Zeit die Knaben von Sachsenhagen auf dem Kirchplatze spielen können; wie es möglich ist, daß die Alten in Handel und Wandel ihren Lebensgeschäften nachgehen können; wie es möglich ist, daß der Kollaborator Wolkenjäger in seine Klasse gehen konnte, den Buben die lateinische Deklination beizubringen?– – – – – – – – – – – – – – – – – –

      Ich habe wieder recht gefühlt, daß der Mensch nur in der Entfernung von den Menschen den rechten Blick für die Menschen und ihr Erdenleben hat, daß er nur in der Entfernung von ihnen die Größe, die Tugend, die Herrlichkeit der Menschen im ganzen erkennt; während er, wenn ihn das Getriebe des Tages selbst in seinen Wirbeln dreht, er nur die Schwäche, Thorheit und das Elend des einzelnen erblickt.

      Komm in den Wald, finsterer Severus! Merlin, der Alte, lebt noch, und dem, welcher ihn aufzufinden weiß, zeigt er auf dem dunkeln Grunde seiner Zauberhöhle der Weltgeschichte Fluten und Wallen. Komm in den Wald, Sever! –

      Nachdem ich Sachsenhagen verlassen hatte in der frühen Morgendämmerung, machte ich den ersten Halt im Dorfe Walkenheim bei jenem Waldbauern, von welchem ich Dir schon einmal gesprochen habe. Der Alte rüstete sich eben zur Arbeit, als ich in die niedere Thür seiner Hütte trat. Die unglückliche Frau saß immer noch stumpfsinnig in ihrem Winkel und wartete auf die Heimkehr des Mannes aus den Eisfeldern Rußlands. Ich kannte diesen angstvollen Blick des Auges schon, mit dem sie alle Eintretenden empfing. Ich kannte schon die herzzerreißende Frage: »Habt Ihr den Karl nicht gesehen? Habt Ihr keinen Brief von meinem Karl; es hat mir die ganze Nacht über geträumt, es komme einer und bringe mir Nachricht von dem armen Karl, den die Franzosen mit sich genommen haben.« – Ich kannte schon dieses stille, schreckliche Weinen, welches auf diese Frage folgte; – ach, Sever, lange dauerte es, ehe mir der frische Morgenwind das Bild dieses armen Weibes aus dem Gemüte geblasen hatte.

      An der Seite Buschhorns schritt ich weiter in die Berge hinein, über die Krähenhütte, an der wüsten Mühle vorbei, durch den Mausegrund, den Mauseberg hinauf. Unter der Laube vor dem Dreierhaus tranken wir Bier, und ein Invalide des alten Fritz gesellte sich zu uns. Er strich den ehrwürdigen Bart, öffnete den Mund und sprach:

      »‘s duldet mich drinnen nicht in der Küche. Sind das Mädel! Immer erzählen, erzählen! und alles hab’ ich vergessen. Das ist eine Sauwirtschaft!«

      Die Wirte zum Dreierhaus und Buschhorn bestätigten, daß der ehrwürdige Greis in der That alles vergessen habe, und so ist nicht viel davon zu sagen.

      Wir verließen jetzt die große Straße und schlugen einen Waldpfad ein, welcher uns nach einer zweistündigen Wanderung in den Münchspfiffel führte, einen düsteren Eichengrund, in welchem jetzt die Axt Buschhorns aufräumen sollte. In Münchspfiffel ließ ich den Alten und wanderte allein weiter in die Wildnis, und lange noch hörte ich in dem stillen Walde die Axt, welche jetzt ihre gefräßige Arbeit unter den königlichen Bäumen des Eichengrundes begonnen hatte. Mit dem letzten Klingen der Axt verstummten die letzten Gefühle der Bedrückung, die ich aus der Hütte zu Walkenheim mit mir getragen hatte, verflüchtigten sich die letzten Sorgen von Sachsenhagen.

      Der deutsche Wald gewann sein gutes Recht über den befreiten lateinischen Schulmeister. Die bekannten Berge und Thäler lagen hinter mir, der Reiz des Unbekannten trat an mich heran. Nun ritt mir zwar auf meinem Wege Heinrich von Ofterdingen nicht entgegen, ich sah nicht den blonden Eckbert durch die Büsche gleiten, Ritter Huldbrand und Undine sind mir nicht begegnet, der Oheim Kühleborn hat mir nicht durch tollen Wasserspuk den Pfad versperrt; aber alle diese Leute und Gestalten hätten mir doch begegnen können; der Tag und mein Herz waren ganz dazu angethan. Ob das wohl nicht der wunderschöne Vogel war, der im Gebüsch sang:

      »Waldeinsamkeit,

       Die mich erfreut,

       So morgen wie heut’

       In ew’ger Zeit.

       O wie mich freut

       Waldeinsamkeit!«

      Ist es gewiß, daß ihm Frau Bertha den Hals umgedreht und ihn im Garten begraben hat? – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

      Mit sinkender Sonne zog ich in ein uraltes Bergstädtchen ein, welches wie ein mittelalterlicher Traum zwischen den hohen Bergen lag. Dunkle, enge Gassen und Thore – Giebel und Schnitzwerk, altersschwarze Kirchen mit hohen Türmen und feierlichen Glocken!

      Auf dem Marktplatz vor dem altertümlichen Rathaus lauschte der Brunnenritter dem Geschwätz der wasserholenden Dirnen, wie es seit Jahrhunderten seine Gewohnheit war. Und von der Laube des Rathauses, Sever, schreib ich Dir einen Vers ab:

      Einer acht’s,

       Der ander’ belacht’s,

       Der dritt’ betracht’s,

       Was macht’s?

      Glück auf, Severus! Der Wolkenjäger jagt Wolken, purpurne, goldumsäumte Wolken!

      Neunter Brief.

       Inhaltsverzeichnis

       Tief im Walde.

      Ja, tief im Walde! – – Tief im Walde will ich es Dir nun gestehen, strenger Sever, daß ich doch liebe, daß ich das Ännchen, den Findling vom Schlachtfelde bei Talavera liebe, daß es doch Liebe und nicht bloß Teilnahme an ihrem Geschick ist, was mich ihr nachführt. Was helfen alle Warnungen, wenn die Götter wollen, daß die Menschen irgend einem Geschick verfallen sollen?

      Hab’ ich denn selbst gewußt, daß es so kommen würde? Gestern noch war mir die eigene Seele, die zagende, siegestrunkene Seele ein Rätsel.

      Heute ist das Rätsel gelöst!

      Tief, tief, tief im Walde habe ich die Lösung gefunden, wie ich das Ännchen wiedergefunden habe.

      Ja, scharfäugiger, kühlherziger Freund, ich liebe!

      Tiefstes Schweigen umher – kein Lufthauch in dem Gezweig – keine Vogelstimme – und doch – welcher Aufruhr in der Stille! Mein Herz pocht, und jeder Schlag macht das Weltall erzittern.

      Ich schlief, und ich erwachte. Als ich die Augen schloß, deckte Finsternis das Erdreich, die Völker und Könige; nun die Augen mir wieder geöffnet sind, sieht »alles Volk ein großes Licht«. Es strahlt das Firmament gleich dem Gold-Himmel eines altdeutschen Heiligenbildes, und ein Bild ist auf das goldene Firmament gemalt – ein holdlächelnd Gesicht blickt aus der Strahlenglorie – – –

      Anna! Anna! Anna!

      O Sever, weshalb hast Du mich doch gezwungen, diese ganze Zeit hindurch mit zürnendem Herzen den krummen Wegen des Herrn von Metternich nachzugehen, dem falschen nächtlichen Schakalgeheul um die Lagerstätten des deutschen Volkes zu horchen? O Sever, ich liebe und weiß, daß das Vaterland ewig ist!

      Ich liebe und weiß, daß jene Bettlerin im Dorfe Ratsch in Schlesien, welche ihr einziges Betttuch zerschnitt und die Hälfte davon zu Verbindzeug hergab, ein größeres Gewicht in die eine Schale des Geschicks unserer Nation geworfen hat, als der gesamte Wiener Kongreß mit allen seinen Aktenbündeln in die andere.

      Ich liebe, und ich weiß, daß alle Fürsten und Diplomatenscheren stumpf werden müssen an den blutigen Binden, die aus dem Betttuch der Bettlerin entstanden sind, und die das Vaterland zusammenhalten. –

      O Sever, was schwatze ich zusammen? In hellen lichten Liebesflammen steht der