blickte die Elfe im Weitereilen über die Schulter mich an, und singend antwortete sie mir mit der Romanze von Abenamar:
»Was für Türme sind das dorten,
Hoch sind sie und weithin schimmernd?
El Alhambra era, Señor!«
Hunde schlugen an, als wir uns den Gebäuden näherten. Eine wohlbekannte Stimme rief:
»Aber Annie, Kind, wo hast Du Dich wieder herumgetrieben? Holla – wen bringst Du denn mit Dir?«
»Ratet einmal, Leutnant!« rief ich fröhlich, und der Fragende kam schnell durch das feuchte Gras auf uns zu und rief fröhlich:
»Bei allem was lebendig, wenn das nicht das lateinische Schulmeisterlein aus Sachsenhagen ist, so – soll mich dieser und jener!«
»Recht geraten, alter Kamerad!« jauchzte ich. »Gott grüß Euch und segne mir den Zufall, der mich das Ännchen da mitten im Walde finden ließ, als ich mich aufs beste verirrt hatte und schon vermeinte, mit Fuchs und Dachs und Eule die Nacht im Freien zubringen zu müssen. Also das hier ist der Trautenstein?«
»Das ist der Trautenstein,« sagte der Leutnant Bart, mir herzlich die Hand drückend. »Hoch willkommen sollt Ihr auf ihm sein, Kollaborator. Man kennt Euch schon so halb und halb; denn manch ein gut Wörtel hab’ ich dem Volk drinnen von Euch gesprochen. Spring vorauf, Annie, und bring’ die Hunde zur Ruhe: sie achten auf Dein Wort doch besser als auf meins.«
Ännchen sprang voran, und wir beiden Männer folgten ihr auf dem Fuße. Den Teich, in welchem sich der Mond spiegelte, ließen wir links liegen; die Landstraße, den »Heerweg«, welcher über das ganze Gebirge und am Trautenstein vorbei zieht, kreuzten wir, dann schritten wir über einen tiefen, doch wasserlosen, zugewachsenen Graben, über welchen ein Damm zu einem hohen Thor mit verwitterten zertrümmerten Bildhauerarbeiten führte. Auf dem einen Pfeiler lag die schmückende Steinkugel noch, von dem anderen war sie herab und in den Graben gerollt. Wir traten in einen von hohen Gebäuden umgebenen Hof, in dessen Mitte eine breitästige Linde stand; unter derselben saßen auf Steinbänken allerlei Leute, die sich erhebend und grüßend mir entgegentraten. Ein hoher Mann im kurzen grünen Jägerrock wurde mir vom Leutnant Bart als der Vetter Kaltenborn vorgestellt. Eine Viertelstunde später war ich vollständig heimisch auf dem Trautenstein.
Sonntagmorgen.
Zu einem Tagebuche werden meine Mitteilungen an Dich, Severus, von jetzt an werden, das merke ich schon. Wann Dich dieses Tagebuch erreichen wird, ist nicht abzusehen; zu tief ist der Trautenstein in den Wald hineingebaut, als daß seine Bewohner viel Verkehr mit der Welt hinter den Bergen haben könnten. Der wilde Herzog, welcher vor zweihundert Jahren dieses Versteck seiner adeligen, wunderschönen Geliebten baute, hat in seiner Liebe recht das Herz des Gebirges zu finden gewußt, die Traute, die Holde, welche er in diesem Jagdschloß verbergen wollte, dem Auge der Welt zu entziehen. Es läßt sich keine köstlichere Stelle, ein solches Geheimnis mit Waldgrün zuzudecken, vorstellen. Ich sehe im Geist, wie Du die Stirn runzelst und von gottverfluchter Korruption murmelst; aber ich kümmere mich drum, – nil assis! Wiederum drücke ich einmal die Augen zu und erschaue das bunte Bild der vergangenen Zeit klar vor mir.
Sonnenschein liegt auf dem Walde, auf den Bergen. Aus dem Erkerfenster im ersten Gestock des Schlosses leuchten zwei dunkle Augen und haften unablässig auf dem Wege, der sich in der blaugrünen Dämmerung zwischen den Stämmen verliert. Berauschend wogt der Harzduft aus dem Tannenforst herüber –
Er wird heut kommen! Er hat es versprochen! Der Page hat auf schnaubendem Roß die Botschaft gebracht.
Die schöne Herrin auf dem Trautenstein erwartet den wilden fürstlichen Geliebten. Alle Schloßleute erwarten ihn.
Horch, erklingt da nicht – tief, tief im Walde – ein Horn? Ja wohl; – es lockt und ruft. Horch, Rüdengebell und Rosseshuf!
Wie das Herz der Trauten im Erkerfenster des Nordturmes klopft! Wie die dunklen Augen Blitze schießen! – Es regt sich unter den Tannen, – ganz nahe erklingen die Jagdhörner. Auf den grünen Wiesenplan ergießt sich das bunte Getümmel der Nahenden. Voran dem Gefolge sprengt auf schwarzem Hengst der Herr, die »Fürstlichen Gnaden«, den Federhut hoch in die Luft schwingend, der weißen Gestalt im Erkerfenster zuwinkend. Vom Fenster verschwindet die schöne Buhle; bunte Diener stürzen aus dem Thor des Jagdschlosses über die Zugbrücke – die breiten Stiegen im Innern des Trautensteins hinab rauschen lange Frauengewänder – einen jubelnden Willkommen bläst das Gefolge des Herzogs auf seinen Waldhörnern –
Im Schloßhofe hält der wilde Fürst sein Lieb im Arme – es blitzen die Waffen, es wehen die Federn, es glänzen die bunten Gewänder. Die Falken kreischen auf den Fäusten der Träger, die Hunde zerren bellend an den Ketten, die Rosse stampfen, wiehern und schnauben – Licht, Glanz und lebendiges Leben ringsum; bis – der Wolkenjäger die Augen öffnet.
Das bunte Bild der Vergangenheit ist versunken; aber Glanz und Licht und Leben ist geblieben; berauschend ist der Tannenduft, wie vor hundert Jahren. Die Wirklichkeit ist fast noch poetischer als der Traum.
Freilich ist die einstige Pracht des Trautensteins verwittert; halbzertrümmert sind die meisten Bildsäulen in den Nischen. Grün angelaufen und erblindet sind die meisten Fensterscheiben, ja an manchen Stellen fehlen sie ganz. Nicht mehr ist der Graben, welcher das einsame Haus umgiebt, der Spielplatz vornehmer weißer Schwäne. Längst ausgetrocknet liegt er, voll breiter Klettenpflanzen, Schilf und Gesträuch. Nicht mehr sonnt sich der stolze Pfau auf der halbzertrümmerten Balustrade und läßt sein Gefieder in der Sonne schimmern.
Verhallt ist der Jagdhornklang, mit welchem der böse Herzog die Geliebte grüßte; – feierlicher tönt’s durch den Wald. Wie kommt die Kirchenorgel in den Saal, wo in alter Zeit die Üppigkeit und Wollust ihre Feste feierten?
Ja, leiser Orgelklang hallt von dem alten Lustort verbotener Liebe herüber. Nicht mehr jagen tolle jauchzende Reiter mit Hunden und Falken über die Wiese auf das Schloß zu – – vorbei, vorbei ist das alles! Einzeln oder in Trupps treten die Waldarbeiter, die Köhler, die Holzhauer, die Hirten aus dem Schatten hervor und schreiten über den Wiesenplan gegen den Trautenstein. Mütter kommen, ihre Kinder auf den Armen tragend, oder sie an den Händen führend. Junge Mädchen kommen mit Sträußen von künstlichen Blumen und abgegriffenen Gesangbüchern.
Kirche wird heute dem Volke des Forstes auf dem Trautenstein gehalten; gepredigt wird ihm hier, und wir folgen den Orgeltönen, Sever, und den Holzhauern, den Köhlern, den Wildhütern und ihren Frauen und Kindern in den Saal. Da mag man wohl verwundert stehen ob des seltsamen Anblicks.
Durch die altersdunkeln, kleinen, runden, in Blei gefaßten Scheiben fällt das Tageslicht und umspielt die Versammlung auf den rohen Bänken, die in dem weiten Raum aufgestellt sind.
Die kleine Orgel ertönt aus einem Winkel, ein ganz junger Küster spielt sie, und ein einziger Köhlerjunge, stolz über dieses wichtige Geschäft, setzt die Bälge in Bewegung. Und auf die kleine Kanzel, gerade der Eingangsthür gegenüber tritt der Pastor, ein vortrefflicher Mann aus dem fernen Dorfe Dornhagen. Die Orgel schweigt, die Predigt beginnt; – eine Predigt tief, tief im Walde; eine Predigt über den Text:
»Wo sollen wir Brot nehmen hier in dieser Wüsten?«
In einen Winkel des Saales drücke ich mich und lausche den schlichten, herzergreifenden Worten, die um so gewaltiger wirken hier an dieser Stelle – so tief, tief im Walde.
O mein deutsches Volk, wie oft, wie oft hast Du gefragt in Not und Elend, in Jammer und Schmach, zertreten, verhöhnt und verspottet: »Wo sollen wir Brot nehmen in dieser Wüsten?«
Mein teures deutsches Volk, ist nicht immer zur rechten Zeit einer dagewesen, der Dich errettet hat und Dir zu essen gab? Ist nicht der Martin Luther gekommen und der Lessing und jüngst noch der Sänger der Freiheit Friedrich Schiller? – –
»Wo kaufen wir Brot, daß diese essen?«
Sorget Euch nicht, der Heiland wird zur rechten Zeit seine Frage schon selbst lösen.
Da ist hinter einem der braunen