Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe


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einem Verzauberten gehe ich um das süße Wunder herum. Du solltest sie reden hören; sie spricht nicht eine Sprache; – wie hätte sie eine Sprache reden lernen sollen? Spanische Wörter, englische Wörter und Wendungen mischen sich mit französischen und italienischen, und alles das wird auf die deutsche Sprache aufgezogen, wie man allerlei bunte Perlen, rot, blau, gelb, grün, auf einem Goldfaden aneinanderreiht.

      Sie denkt auch nicht in einer Sprache, aber aus einem Gold-Herzen kommen alle ihre Gedanken – und sie ist so krank! Aber sie wird zum Leben erwachen, das weiß ich. Sie wird sich die Augen reiben wie Dornröschen, jung und schön wird sie sich umblicken in der neuen Zeit, ich glaube sie schläft schon tausend Jahre; aber sie wird erwachen unter meinem Kuß.

      Runzle nicht die Stirn, Severus; ziehe nicht die Brauen grimmig zusammen; – ich lebe und ich liebe. Wie soll ich Worte finden, Dir Kunde zu geben von alle dem, was sich in meinem Herzen umtreibt, klagend und jauchzend wie Kinder auf ihrem Spielplatze?

      Und ich dachte, ich sei schon so alt, – so alt wie Du mich machen wolltest, Sever!

      Ja, Sever, daran bist Du schuld, daß ich glaubte, schon so alt zu sein. Aber nun weiß ich es auf einmal besser. Jung bin ich und fähig, mich meiner Jugend zu erfreuen!

      Evan, Evoe! Evan, Evoe! mit Epheu will ich mir die Stirn umkränzen, abschütteln will ich den Staub der Feldschlacht, abschütteln will ich den Schulstaub. Rosen will ich pflücken, rote Rosen für mich, weiße Rosen für die Geliebte, die ich retten will aus den Banden der bösen Geister, welche ihre Kinderseele gefangen halten.

      Mit weißen und roten Rosen bekränzt, wollen wir einst vor Dich hintreten, Sever, und – Du sollst Deine Freude an uns haben.

      Doch nun will ich Dir erst erzählen, wie ich die Anna tief im Walde wiedergefunden habe.

      Drei Tage lang war ich umhergezogen im Gebirge; – planlos, kaum irgend einmal nach dem Wege, nach dem Namen eines Dorfes, eines Baches, eines Felsens fragend. Was sollten mir die Namen, die Adam den Dingen gegeben hatte, die Dinge selbst genügten mir. Selbst der Sage ging ich gegen meine sonstige Gewohnheit aus dem Wege, – wenigstens im Anfange. Ich hatte mir ja vorgenommen, recht nach Deinem Wort zu leben und zu versuchen, ob ich da mit Bewußtsein genießen könne, wo ich sonst zu träumen pflegte.

      Ich sehe die Grimasse, die Du jetzt schneidest, Sever, das ungläubige, mitleidige Achselzucken sehe ich und gestehe Dir, daß ich in dem Augenblick, wo ich das Ännchen wiederfand, vollständig in mein altes Traumleben zurückgesunken war: – naturam expellas furca und so weiter.

      Ich schritt durch die Dämmerung munter vorwärts. Ein mattes Halblicht umhüllte den Wald. Kein Luftzug bewegte die Zweige und Blätter. Ein heißer Tag war vergangen; der Abend brachte keine Kühle. Die Tagesvögel waren zur Ruhe gegangen; das Leben der Nacht erwachte. Hie und da flimmerte ein Stern durch die Baumwipfel. Der Bergpfad senkte sich immer steiler herab. Ich hatte mich gründlich verirrt, und da ich noch frisch auf den Beinen war, so hatte ich mir vorgenommen, auf gut Glück die Nacht zu durchwandern. So lange ich den festen Weg unter den Füßen fühlte und ihn weißlich durch die Nacht schimmern sah, ging das auch recht gut; gegen elf Uhr aber war mir der betretene Pfad plötzlich unter den Füßen weggekommen, ohne daß ich hätte sagen können, wie es zugegangen war. Meine Füße raschelten im hohen, welken Laube, ich rannte gegen einen Stamm, wendete mich rechts, rannte abermals gegen einen Baum, stand still – horchte – besann mich – schritt wieder vorwärts gegen links, – ein Dornzweig zog mir einen brennenden Strich über die Nase. Wieder stand ich still und horchte dem Laubfrosch zu, der über mir von einem Zweige das verirrte Schulmeisterlein auszulachen schien. Ein Käuzlein stimmte in das Gelächter des grünen Burschen ein; – die Pfeife ging mir aus, ich schob sie in die Tasche, rückte die Mütze vom Vorderkopf auf den Hinterkopf, rückte das Ränzel zurecht, tastete ein wenig mit dem Knotenstock umher, fand aber im Bereiche der Zwinge desselben nichts, was einen Trost in solcher Lage gewähren konnte.

      Was fangen wir nun an, Herr Kollega? fragte ich mich und ahmte dabei die etwas knatternde, knurrende Stimme des Kollegen Tertius nach. – Wir müssen das von einem höheren Standpunkt aus betrachten, Herr Kollega! antwortete ich als Wolkenjäger. – Herr Kollega, meinte ich wieder im Ton des Tertius, es ist ein altes Wort: wer sich alle Büsche besieht, kommt nicht zu Holze. Solches möchte wohl bei Ihnen nicht zutreffen, Herr Kollega; Sie kommen nicht aus dem Holze, weil Sie sich alle Büsche besehen! – Herr Kollega, erwiderte ich im Ton des Quintus, daß die Menschen in die Irre gehen, wird wohl nicht aufhören und hat auch nicht jetzt erst angefangen, sagt die Weisheit der Hellenen.

      Ich ließ den Tertius keine weitere Antwort schnarren. Eule und Laubfrosch lachten zu toll. Ich verließ mich auf mein Glück und drang aufs Geratewohl in das Gebüsch ein. Der Mond kam über einen Berg zur Linken in die Höhe, und ich sah, daß ich »tief drin« steckte. Durch mußte ich jedoch und ich kam durch! Nach einem viertelstündigen Kampfe mit dem verwachsenen Gezweig und den groben Stämmen gelangte ich auf eine Waldwiese. Diese lag magisch im bleichen Mondnebel – – zweifelnd an meinen Sinnen stand ich plötzlich – war das Wirklichkeit? war Täuschung? Gedicht?

      Selbst der Sever, wäre er so wie der Wolkenjäger aus dem Dunkel des Waldes in den hellen Mondenschein getreten, hätte er gesehen, was ich sah; er würde in Zweifel, in wonniger Verwunderung stehend, in diesem Augenblick nicht – über Romantik geschimpft haben.

      Da tanzten in dem weißen Nebel, welcher über der Waldwiese lag, gerade in der Mitte des stillen, vom hohen Forst umschlossenen Fleckchens drei oder vier Irrlichter – der lachendende Laubfrosch verkündete ja die Nähe feuchten, sumpfigen Bodens – und eine weiße zarte Gestalt umkreiste den Tanzplatz der launenhaft hin und her hüpfenden Lichterscheinungen, als sei ein Märchen von Novalis oder Ludwig Tieck hier in die Wirklichkeit getreten.

      Ich wagte kaum zu atmen, aus Furcht, das magische Bild zu stören, aus Furcht, die elfenhafte Erscheinung möge sich in Mondenschein nach Elfenart auflösen. Dabei zog mich aber doch ein unabweisbares Etwas immer mehr heraus aus dem Schatten des Waldes. Tanze mit! tanze mit!

      Und wenn nach der Griechen Meinung der, welcher eine Nymphe erblickte, mit unheilbarem Wahnsinn geschlagen wurde, was sollte mir geschehen, als ich in der tanzenden Elfe das Ännchen aus der Schmiede von Sachsenhagen erkannte?

      Tief, tief im Walde ist mir klar geworden, daß ich das Ännchen liebe, und daß es nichts helfe, wenn ich es dem Sever verhehle! – – –

      »Annie!« rief ich, und die Elfe stand und stieß einen leisen Schrei aus und wollte scheu entfliehen. Ich war aber sogleich an ihrer Seite und faßte die zarte Hand:

      »Erschrecken Sie nicht, Fräulein Ännchen. Ich bin’s. Der Kollaborator Wolkenjäger aus Sachsenhagen.«

      Das klang recht prosaisch in solchem Augenblick, und die Irrlichter schienen das auch recht gut einzusehen. Immer toller wurden ihre Kapriolen. Ich aber hielt noch immer das zitternde Händchen, – mir war durchaus nicht prosaisch zu Mute.

      »O wie freu’ ich mich, Sie auf solche Art wiederzufinden!« rief ich; aber das holde Kind schaute mir starr und geisterhaft in die Augen, und jetzt zuckte mir wieder der alte Schmerz um ihre kranke Seele durch das Herz.

      »Wo kommst Du her?« fragte sie. »Ich habe Dich schon so lange erwartet, mein Freund. Sei nicht böse, daß ich verstecken mit Dir gespielt habe; ich wußte ja, daß Du mich finden würdest; – nun komm mit mir; – bist Du lange irre gegangen im Walde? O madre de dios, ist Euer deutscher Wald schön!«

      Und nun fing sie an zu singen:

      » All in the downs the fleet lay moored,

       When blackeyed Susan came on board –«

      Über die mondbeglänzte Waldwiese fort, zog sie mich von neuem in den Waldschatten hinein, und ich folgte ihr in Wonne und Wehmut. Einen engen, steil abfallenden Pfad eilte sie leichtfüßig vor mir herab in ein dunkles Tannenthal, in welchem ein Wasser rauschte. Wieder bergauf und wieder hinab. Wieder lag eine Waldwiese vor uns im glänzenden Nebel und Mondenschein. Die stille Wasserfläche eines Teiches funkelte mir entgegen, und drüber weg stiegen Türme und Giebel phantastisch in die Höhe, und es leuchtete rotes Lampenlicht