kocht mit ganzer Macht, redet aber noch deutlich und verständlich. Sind bei ihm seine Söhne und etzliche Schulcollegen. Frage darauf, ob er auch in seinem Herzen behalten wolle Christum Jesum, und bei demselben bleiben. Antwortet er:
»Wo sollen wir dann fliehen hin,
Da wir mögen bleiben?
Zu Dir Herr Christ alleine.«
»Ich fragte, ob er auch in seinem Herzen vergeben hätte Allen, die ihn beleidiget? Antwortet er: er hätte gar keinen Feind und fing an: Remitte nobis debita nostra, sicut et nos dimittimus debitoribus nostris, vergieb uns unsre Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern. Ich fragte ihn auch, ob er es dafür halte, daß er einen gnädigen Gott und Vater im Himmel habe? Antwortet er: cor contritum et humiliatum Deus non despiciet, ein zerbrochen und zerschlagen Herz wirst du, Gott, nicht verachten. Ich fragte, ob er auch glaube eine Vergebung der Sünden und ein ewiges Leben? Antwortet er: Amen, cupio dissolvi, ich begehre aufgelößt zu werden. Fragte ich, ob er auch wolle ein geistlicher Ritter und Ringer bleiben? Antwortet er: Militavi et adhuc militabo!«
Und so kämpft der alte Rector durch lange Stunden mit dem Tode; bis es allmählig still wird, und der Magister Aaron sich über den Kranken beugt und leise spricht:
»Behüte seinen Ausgang aus diesem Leben und Hingang zum ewigen Leben!«
Und dann drückt man dem Rector die einst so klaren Augen zu, und groß Wehklagen und wilder Jammer erfüllt das Sterbegemach. Aber in der Ulrichskirche am Himmelfahrtstage ruft Aaron Burkhart mit dem Psalmisten:
»Er ist nun fröhlich, sein Mund ist voll Lachens und ist voll großer Freude wie ein Träumender. Er ist nun aus dieser Schularbeit in die himmlische Academiam, Freud und Freundschaft derselben versetzet. Nun kann er singen und jubiliren:
Streit ist entzwei und ich bin frei,
Der Nam des Herrn steh mir bei,
Des Gott’s Himmels und Erden.
Solche Freude wollen wir ihm nicht mißgönnen, dazu gratuliren und wünschen eine fröhliche Auferstehung mit dem Leibe zum ewigen Leben.
Bitten, Gott wolle uns allen auch in Gnaden helfen zu seiner Zeit zum seligen Ende, ja verhelfen zum ewigen Leben. Bitten, er wolle trösten die nachgelassene Wittwe und die Betrübten; denen er, ein Vater der Waisen und ein Richter der Wittwen, nimmt sich ihrer Noth an und schaffet ihnen Recht. –
Woll’ ihm lassen befohlen sein, das geistliche und weltliche Regiment sammt dem Hausstand; insonderheit unserer Schul wiederum zu seiner Zeit zeigen eine taugliche qualificirte Person zu solcher Schularbeit, damit also in unserer Schul mögen Leute erzogen werden, die dermal eins ihm in seiner großen Haushaltung wohl dienen können.
Gott woll’ ihm lassen befohlen sein die Noth der ganzen Christenheit; abwenden alles, was schädlich ist und geben, was uns sämmtlich an Leib und Seel zu diesem und jenem Leben, hie zeitlich und dort ewiglich, möge nöthig, dienlich und selig sein, um seines lieben Sohnes Jesu Christi willen.
Wer nun solches mit mir begehrt, sprech Amen und bete mit Andacht das heilige Vater Unser!«
Und sie beteten mit dem Leichenredner: die Verwandten, die Herren vom Rath, die Bürger, die Schüler, die Männer, die Frauen und die Kinder. Sie senkten den Leib des Dichters und Gelehrten hinab in die dunkle Erde; aber die lichte Frühlingssonne sah über die Schultern und Köpfe der sich drängenden Menge mit in die schwarze Gruft und lächelte, als wollte sie sagen: wie thöricht Ihr Euch doch härmt! Glaubt Ihr wirklich meinen Dichter zu begraben? wer hat jemals einen Dichter begraben? Laßt nur den schwarzen Stein fallen auf die Grube; Stein ist Stein, Asche ist Asche; aber Geist ist Geist und zersprengt und zerstört Stein, Erde und Asche!
Die Sonne wußte wohl, warum sie über die thörichten Menschen lächelte; – das Licht und die Geister verstehen einander, ganz nahe Verwandte sind sie und grüßen sich, wo sie einander begegnen. Die Sonne wußte wohl, daß der alte Rector Rollenhagen noch lange nicht todt sei, und »Doctor Sperling,« der »bunte Kirchsperling,« welchen Herr Georg Rollenhagen so trefflich besungen, hatte auch eine Ahnung davon. Ueber dem Grabe, zu Haupten des schwarzen Sarges sang er auf der ausgestreckten Hand des Apostel Paul’s an der hohen Säule und zwitscherte so freudig und lustig seinen Glauben an die Unsterblichkeit der Dichter, der Sänger und an seine eigene Unsterblichkeit aus, daß sich manch ein geneigt Haupt auf sein helles Rufen erhob.
Sie legten den wuchtigen Stein auf das Grab und verließen unter den Klängen der Orgel die Ulrichskirche. Sie suchten ihre Häuser mit allen ihren eignen Sorgen und Nöthen wieder auf. Auch die Wittwe, die Kinder und übrigen Verwandte gingen. Zuletzt blieb der Magister Aaron allein in dem leeren, weiten Gotteshause, neben dem Grabe des alten Freundes zurück. An die Kirche gränzte der Pfarrgarten von Sankt Ulrich, und eine Thür führte aus dem Garten in die Sakristei. Durch diese Thür lugte ein kleines Mädchen, das Töchterlein des Predigers Aaron Burkhart. Es hatte das Schürzchen aufgenommen und es mit Blüthen und Grün aller Art gefüllt. Leise schlich es und furchtsam durch die stille, feierliche Kirche zum regungslosen Vater. Leise zupfte es den Vater am Aermel des schwarzen Chorrocks, und der Magister schreckte zusammen und sah auf. Er hob das blondgelockte Kind mit allen seinen Blumen und grünen Ranken auf den Arm:
»Schütt aus Dein Schürzlein!« sagte er. »O liebes Herz, wir haben da einen guten, trefflichen Mann zur Ruhe gelegt; – gieb ihm Deine Blumen, denn er hat uns auch manche Blüthe vom Lebensbaum gebrochen und sie uns dargeboten auf güldener Schale.«
Mit Frühlingsblumen, buntfarbig und duftend bedeckte das Kind das Grab des Dichters, nachdem der Vater vor dem Volk über dem Sarge geredet hatte.
Das war das Begräbniß Domini M. Georgii Rollhagii an unsers Herrn Himmelfahrtstage, anno MDCIX.
Die Leute aus dem Walde
Ihre Sterne, Wege und Schicksale
Ein Messer wetzet das andere und ein Mann den andern.
Sprüche Salomonis, 27. Kap. 17.V