an.
»Sehen Sie die Backe des Mannes«, donnerte er. »Wenn Sie ihm keinen Schlag gegeben haben, wie kommt es dann, dass er so zugerichtet ist?«
»Wie ich unter Eid ausgesagt habe –«
»Nehmen Sie sich in acht!« warnte der Richter.
»Ich werde mich schon in acht nehmen. Ich gedenke nichts zu sagen als die reine Wahrheit. Er hat sich selbst mit einem Stein geschlagen. Er hat sich mit zwei verschiedenen Steinen geschlagen.«
»Ist es wahrscheinlich, dass irgendein Mensch, der nicht wahnsinnig ist, sich selber so zurichten soll, indem er die weichen, empfindlichen Teile seines Gesichts mit einem Stein zerschrammt?« fragte Carter Watson.
»Es klingt wie ein Märchen«, meinte der Richter. »Herr Witberg, hatten Sie getrunken?« – »Nein.«
»Trinken Sie nie?« »Gelegentlich.«
Der Richter dachte mit schlauer, tiefsinniger Miene über diese Antwort nach.
Watson benutzte die Gelegenheit, um Sol Witberg gemütlich anzublinzeln, aber dieser arg missbrauchte Herr sah nichts Humoristisches in der Situation.
»Sehr merkwürdig, sehr merkwürdig«, erklärte der Richter und ging daran, sein Urteil zu fällen.
»Die Aussagen der beiden Parteien widersprechen einander vollkommen. Außer den beiden Hauptpersonen sind keine Zeugen vorhanden. Jeder behauptet, dass der andere ihn überfallen hat, und ich bin außerstande, rechtsgültig zu entscheiden, wer von Ihnen die Wahrheit spricht. Aber ich habe meine persönliche Ansicht, Herr Witberg, und ich möchte Ihnen raten, sich in Zukunft von Herrn Watsons Grund und Boden und überhaupt aus dieser Gegend fernzuhalten –«
»Das ist eine Beleidigung!« brauste Witberg auf.
»Setzen Sie sich«, donnerte der Richter ihn an. »Wenn Sie das Gericht noch einmal auf diese Weise unterbrechen, nehme ich Sie in Strafe wegen achtungswidrigen Benehmens, und ich sage Ihnen jetzt schon, dass ich Sie streng bestrafen werde! Sie sind selbst Richter und müssten die Achtung kennen, die die Würde des Gerichts fordert. Und jetzt fälle ich mein Urteil: Es ist ein Grundsatz des Gesetzes, dass der Zweifel dem Angeklagten zugute kommt. Wie schon gesagt, bin ich nicht imstande, rechtsgültig zu entscheiden, wer zuerst geschlagen hat. Deshalb bin ich zu meinem größten Bedauern –« hier machte er eine Pause und starrte Sol Witberg an – »genötigt, in beiden Fällen dem Angeklagten den herrschenden Zweifel zugute kommen lassen zu müssen. Meine Herren; Sie sind freigesprochen.«
»Lassen Sie uns darauf einen genehmigen«, sagte Watson zu Witberg, als sie den Gerichtssaal verließen. Der bestürzte Mann aber weigerte sich, Arm in Arm mit ihm in die nächste Gastwirtschaft zu gehen.
Das Ende vom Lied
Der Tisch war aus ungehobelten Brettern verfertigt, und es wurde daher den Männern, die an ihm saßen und spielten, oft schwer genug, ihre Stiche auf der rauen Fläche einzuheimsen. Obgleich alle in Hemdsärmeln dasaßen, perlte doch der Schweiß auf ihren Gesichtern, was indessen nicht verhinderte, dass ihre Füße, die in Mokassins und dicke, wollene Strümpfe gehüllt waren, vor Kälte schmerzten. So groß war der Temperaturunterschied zwischen der Luft am Fußboden und der höher im Raum, obwohl die Decke niedrig war. Der gusseiserne Yukonofen glühte und summte, aber auf dem Fleischgerüst, das nur acht Fuß von ihm unten am Fußboden neben der Tür angebracht war, lagen große Stücke Elchfleisch und Bacon, die völlig gefroren waren. Das unterste Drittel der Tür war mit einer dicken Eiskruste bedeckt. Durch die Ritzen zwischen den Planken hinter den Betten sah man den weißglitzernden Schnee draußen. Ein Fenster aus Ölpapier ließ das Licht herein. Den unteren Teil des Papiers hatte der Atem der Männer auf der Innenseite einen Zoll dick mit gefrorener Feuchtigkeit beschlagen.
Sie spielten einen höchst spannenden Rubber-Whist,1 denn das Paar, das ihn verlor, hatte durch die sieben Fuß dicke Eis- und Schneekruste des Yukons ein Loch zum Fischen zu bohren.
»Es ist auch verflucht selten, dass wir im März solche Kälte haben«, bemerkte der Mann, der gerade mischte. »Wie viel meinst du, sind es heute, Bob?«
»Na, fünfundfünfzig bis sechzig Grad unter Null, denke ich. Mehr nicht. Was meinen Sie, Doktor?«
Der Doktor wandte den Kopf und betrachtete den unteren Teil der Tür mit einem prüfenden Blick.
»Nicht um ein Tüttelchen mehr als fünfzig Grad. Wenn das nicht genau stimmen sollte, so ist es eher ein bisschen wärmer – neunundvierzig vielleicht! Guckt euch das Eis an der Tür an. Es ist gerade bei der Marke für fünfzig Grad angelangt, aber der obere Rand ist, wie ihr seht, nicht ganz regelmäßig. Als es seinerzeit siebzig Grad waren, stieg das Eis um vier Zoll höher.« Er nahm seine Karten, und während er sie sortierte, rief er, als an die Tür geklopft wurde, laut »Herein!«
Der Mann, der jetzt eintrat, war ein großer, breitschultriger Schwede. Freilich erkannte man seine Nationalität erst, als er seine Mütze mit den Ohrenklappen abgenommen und das Eis aufgetaut hatte, das sich in seinem Bart gebildet und sein Gesicht unkenntlich gemacht hatte. Unterdessen spielten die Männer ruhig weiter.
»Ich hab’ gehört, dass es einen Doktor hier in diesem Lager gibt«, sagte der Schwede fragend und sah ängstlich von einem zum anderen. Sein Gesicht war abgemagert und durch andauernde starke Schmerzen verzerrt. »Ich habe einen weiten Weg hinter mir. Ich komme aus der Gegend nördlich von Whyo.«
»Ich bin der Doktor! Was ist denn mit Ihnen los?«
Als Antwort hob der Mann seine linke Hand, deren Zeigefinger furchtbar angeschwollen war. Gleichzeitig begann er eine weitschweifige, ziemlich unzusammenhängende Geschichte über Zeit und Art seines Unfalls zu erzählen.
»Zeigen Sie mal her«, unterbrach ihn der Doktor ungeduldig. »Legen Sie den Finger auf den Tisch. Hier, so!«
Vorsichtig gehorchte der Mann, als sei es ein gefährliches Geschwür.
»Hm«, knurrte der Doktor. »Eine Sehnenzerrung. Und dreihundert Meilen sind Sie gereist, um den Dreck in Ordnung zu kriegen. Ich werde Sie im Handumdrehen kurieren. Passen Sie gut auf, wie ich es mache, dann können Sie es das nächste Mal selber.«
Ohne den Mann gewarnt zu haben, schlug der Arzt mit der Handkante auf den geschwollenen Finger. Der Schwede stieß einen Ruf der Verblüffung und des Schmerzes aus. Es klang eher wie der Schrei eines wilden Tieres, und sein Gesichtsausdruck war so erregt und wütend, als wollte er sich auf den Mann stürzen, der sich diesen Spaß