während die Leute im Takt des stampfenden Schiffes schwankten.
»Ich erinnere mich nur eines Teils des Rituals«, sagte er, »nämlich: ›Und der Leichnam soll ins Meer geworfen werden.‹ – Also hinein damit.«
Er schwieg. Die Leute, die den Lukendeckel hielten, waren verdutzt, verwirrt durch die Kürze der Zeremonie. Wütend fuhr er auf sie los:
»Hoch das Ende, zum Donnerwetter! Was ist in euch gefahren, zum Teufel?«
Sie hoben schleunigst den Lukendeckel am oberen Ende. Und wie ein über Bord geworfener Hund flog der Tote, die Füße voran, ins Meer. Der Kohlensack an seinen Füßen zog ihn hinunter. Er war fort.
»Johansen«, sagte Wolf Larsen kurz zu dem neuen Steuermann, »lassen Sie alle Mann, da sie gerade hier sind, an Deck bleiben. Holen Sie die Topsegel und den Klüver ein, aber ein bisschen schnell. Wir bekommen einen tüchtigen Südwest. Reffen Sie lieber auch das Großsegel, wenn Sie schon mal dabei sind.« In einem Augenblick war das ganze Deck in Bewegung. Johansen brüllte seine Befehle, und die Leute hahlten und fierten an allen möglichen Stricken und Tauen – für mich als Landratte natürlich ein wirres Chaos. Was mich aber besonders packte, war die Herzlosigkeit, die in seinem Tun lag. Der Tote war vergessen. Er war mit einem Kohlensack an den Füßen versenkt worden, das Schiff setzte seine Reise fort, und die Arbeit ging ihren Gang. Keiner war auch nur im geringsten ergriffen. Die Jäger lachten über eine neue Geschichte, die ›Smoke‹ erzählte, die Leute hahlten und fierten, und zwei von ihnen kletterten nach oben. Wolf Larsen musterte den sich überziehenden Himmel in Luv. Und der Tote, der so elend gestorben und so jämmerlich begraben war, sank immer tiefer – – – Da überwältigte mich die Grausamkeit des Meeres, seine Unbarmherzigkeit und Gewalt. Das Leben war billig, etwas Sinnloses und Tierisches, eine seelenlose Bewegung von Schlamm und Schleim. Ich stellte mich an die Reling in Luv, neben den Wanten, und starrte über die trostlosen, schäumenden Wogen hinweg auf die niedrigen Nebelbänke. Hin und wieder trieb eine Regenbö dazwischen und entzog den Nebel meinen Blicken. Und dieses seltsame Schiff zog mit seiner schrecklichen Besatzung vor prallen Segeln nach Südwest, über die weite Fläche des Stillen Ozeans.
4
Meine ersten Erlebnisse auf dem Robbenschoner ›Ghost‹ in der Zeit, während der ich mich meiner neuen Umgebung anzupassen suchte, waren eine Kette von Demütigungen und Leiden. Der Koch, von der Besatzung ›Doktor‹, von den Jägern ›Tommy‹ und von Wolf Larsen ›Köchlein‹ genannt, war wie ausgewechselt. Die Veränderung in meiner Stellung zog eine entsprechende Veränderung in seiner Art, mich zu behandeln, nach sich. So sklavisch und unterwürfig er vorher gewesen, so herrisch und streitsüchtig war er jetzt. War ich doch nicht mehr der feine Herr mit einer Haut wie der einer Dame, sondern ein ganz gewöhnlicher und sehr unbrauchbarer Kajütsjunge.
In seiner Dummheit bestand er darauf, dass ich ihn Herr Mugridge nennen sollte, und als er mich in meinen Pflichten unterwies, waren sein Benehmen und sein ganzes Getue unerträglich. Außer meiner Arbeit in der Kajüte mit den vier kleinen Kojen sollte ich ihm in der Kombüse helfen, und meine ungeheure Unwissenheit in Bezug auf Kartoffelschälen und das Auswaschen fettiger Kochtöpfe bildete für ihn eine Quelle unaufhörlicher spöttischer Verwunderung. Er nahm nicht die geringste Rücksicht auf meine Lage oder vielmehr auf meine bisherigen Gewohnheiten. Ich gestehe, dass ich ihn, ehe der Tag zu Ende war, mehr hasste, als ich je im Leben einen Menschen gehasst hatte.
Dieser erste Tag wurde mir noch dadurch erschwert, dass die ›Ghost‹ unter gerefften Segeln durch einen ›brüllenden Südost‹ stampfte, wie Herr Mugridge sich ausdrückte. Um halb fünf deckte ich unter seiner Anleitung den Tisch in der Kajüte. Ich befestigte das Schlingerbrett und holte dann Essen und Tee aus der Kombüse. Ich kann bei dieser Gelegenheit nicht umhin, mein erstes Abenteuer bei hohem Seegang zu berichten.
»Sieh dich vor, sonst kriegst du einen Guß ab«, schärfte Herr Mugridge mir ein, als ich die Kombüse verließ, in der Hand einen ungeheuren Teekessel und unter dem anderen Arm mehrere frisch gebackene Brote. Einer der Jäger, ein großer gelenkiger Bursche namens Henderson, kam gerade in diesem Augenblick aus dem ›Zwischendeck‹ (mit diesem Namen bezeichneten die Jäger witzig ihre mittschiffs gelegenen Schlafquartiere). Wolf Larsen stand auf der Hütte und rauchte seine ewige Zigarre.
»Siehst du! Futsch ist er«, schrie der Koch.
Ich blieb stehen, denn ich wusste nicht, was geschah. Ich sah nur, wie die Kombüsentür mit einem Knall zuflog. Dann sah ich Henderson wie einen Verrückten zum Großmast springen und hoch über meinen Kopf in die Takelung klettern. Ich sah auch noch eine riesige Woge, die schäumend hoch über der Reling stand. Ich befand mich direkt unter ihr. Meine Gedanken arbeiteten nur langsam; alles war so neu und fremd für mich. Ich wusste nichts, als dass Gefahr drohte. Bestürzt stand ich still. Da schrie Wolf Larsen von der Hütte: »Festhalten, Sie – Hump!«
Aber es war zu spät. Ehe ich mich an die Takelung angeklammert hatte, wurde ich von dem stürzenden Wasserschwall getroffen. Was dann geschah, weiß ich nicht recht. Ich befand mich unter Wasser, erstickte, ertrank. Die Füße glitten unter mir fort, ich wurde herumgewirbelt und Gott weiß wohin gefegt. Ich schlug gegen verschiedene harte Gegenstände, und einmal stieß ich mir mein rechtes Knie schrecklich. Dann schien das Wasser plötzlich zu verschwinden, und ich atmete wieder frische Luft. Ich war gegen die Kombüse geschleudert und dann rings um die Ruff bis gegen die Speigatten in Lee geschwemmt worden. Der Schmerz in meinem Knie war furchtbar. Ich glaubte nicht auftreten zu können und war sicher, das Bein gebrochen zu haben. Aber der Koch hielt Umschau nach mir und schrie durch die Kombüsentür:
»Na du! Bleib nicht die ganze Nacht unterwegs! Wo ist der Teetopf? Über Bord? Dir wäre recht geschehen, wenn du dir den Hals gebrochen hättest!«
Ich versuchte auf die Füße zu kommen. Den großen Teetopf hielt ich noch in der Hand. Ich humpelte zur Kombüse und reichte ihn ihm. Aber er schäumte vor wirklicher und vorgeblicher Wut.
»Gott straf’ mich, wenn du nicht ein elender Waschlappen bist. Wozu bist du überhaupt nütze? Wie? Wozu taugst du? Kannst nicht mal ein bisschen Tee tragen, ohne ihn zu verschütten. Nun kann ich noch mal aufgießen.
Und was greinst du?« fuhr er mich mit erneuter Wut an. »Hat seinem armen Beinchen wehgetan, Mamas armer Liebling.«
Ich greinte gar nicht, wenn mein Gesicht auch vor Schmerz zucken mochte. Aber ich bot meine ganze Energie auf, biss die Zähne zusammen und hinkte ohne weiteren Zwischenfall von der Kombüse nach der