Джек Лондон

Gesammelte Werke


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wäh­rend die Leu­te im Takt des stamp­fen­den Schif­fes schwank­ten.

      »Ich er­in­ne­re mich nur ei­nes Teils des Ri­tuals«, sag­te er, »näm­lich: ›Und der Leich­nam soll ins Meer ge­wor­fen wer­den.‹ – Also hin­ein da­mit.«

      Er schwieg. Die Leu­te, die den Lu­ken­de­ckel hiel­ten, wa­ren ver­dutzt, ver­wirrt durch die Kür­ze der Ze­re­mo­nie. Wü­tend fuhr er auf sie los:

      »Hoch das Ende, zum Don­ner­wet­ter! Was ist in euch ge­fah­ren, zum Teu­fel?«

      Sie ho­ben schleu­nigst den Lu­ken­de­ckel am obe­ren Ende. Und wie ein über Bord ge­wor­fe­ner Hund flog der Tote, die Füße vor­an, ins Meer. Der Koh­len­sack an sei­nen Fü­ßen zog ihn hin­un­ter. Er war fort.

      »Jo­han­sen«, sag­te Wolf Lar­sen kurz zu dem neu­en Steu­er­mann, »las­sen Sie alle Mann, da sie ge­ra­de hier sind, an Deck blei­ben. Ho­len Sie die Top­se­gel und den Klü­ver ein, aber ein biss­chen schnell. Wir be­kom­men einen tüch­ti­gen Süd­west. Ref­fen Sie lie­ber auch das Groß­se­gel, wenn Sie schon mal da­bei sind.« In ei­nem Au­gen­blick war das gan­ze Deck in Be­we­gung. Jo­han­sen brüll­te sei­ne Be­feh­le, und die Leu­te hahl­ten und fier­ten an al­len mög­li­chen Stri­cken und Tau­en – für mich als Lan­drat­te na­tür­lich ein wir­res Cha­os. Was mich aber be­son­ders pack­te, war die Herz­lo­sig­keit, die in sei­nem Tun lag. Der Tote war ver­ges­sen. Er war mit ei­nem Koh­len­sack an den Fü­ßen ver­senkt wor­den, das Schiff setz­te sei­ne Rei­se fort, und die Ar­beit ging ih­ren Gang. Kei­ner war auch nur im ge­rings­ten er­grif­fen. Die Jä­ger lach­ten über eine neue Ge­schich­te, die ›S­mo­ke‹ er­zähl­te, die Leu­te hahl­ten und fier­ten, und zwei von ih­nen klet­ter­ten nach oben. Wolf Lar­sen mus­ter­te den sich über­zie­hen­den Him­mel in Luv. Und der Tote, der so elend ge­stor­ben und so jäm­mer­lich be­gra­ben war, sank im­mer tiefer – – – Da über­wäl­tig­te mich die Grau­sam­keit des Mee­res, sei­ne Un­barm­her­zig­keit und Ge­walt. Das Le­ben war bil­lig, et­was Sinn­lo­ses und Tie­ri­sches, eine see­len­lo­se Be­we­gung von Schlamm und Schleim. Ich stell­te mich an die Re­ling in Luv, ne­ben den Wan­ten, und starr­te über die trost­lo­sen, schäu­men­den Wo­gen hin­weg auf die nied­ri­gen Ne­bel­bän­ke. Hin und wie­der trieb eine Re­gen­bö da­zwi­schen und ent­zog den Ne­bel mei­nen Bli­cken. Und die­ses selt­sa­me Schiff zog mit sei­ner schreck­li­chen Be­sat­zung vor pral­len Se­geln nach Süd­west, über die wei­te Flä­che des Stil­len Ozeans.

      4

      Mei­ne ers­ten Er­leb­nis­se auf dem Rob­ben­scho­ner ›Ghost‹ in der Zeit, wäh­rend der ich mich mei­ner neu­en Um­ge­bung an­zu­pas­sen such­te, wa­ren eine Ket­te von De­mü­ti­gun­gen und Lei­den. Der Koch, von der Be­sat­zung ›Dok­tor‹, von den Jä­gern ›Tom­my‹ und von Wolf Lar­sen ›Köch­lein‹ ge­nannt, war wie aus­ge­wech­selt. Die Ver­än­de­rung in mei­ner Stel­lung zog eine ent­spre­chen­de Ver­än­de­rung in sei­ner Art, mich zu be­han­deln, nach sich. So skla­visch und un­ter­wür­fig er vor­her ge­we­sen, so her­risch und streit­süch­tig war er jetzt. War ich doch nicht mehr der fei­ne Herr mit ei­ner Haut wie der ei­ner Dame, son­dern ein ganz ge­wöhn­li­cher und sehr un­brauch­ba­rer Ka­jüts­jun­ge.

      In sei­ner Dumm­heit be­stand er dar­auf, dass ich ihn Herr Mu­gridge nen­nen soll­te, und als er mich in mei­nen Pf­lich­ten un­ter­wies, wa­ren sein Be­neh­men und sein gan­zes Ge­tue un­er­träg­lich. Au­ßer mei­ner Ar­beit in der Ka­jü­te mit den vier klei­nen Ko­jen soll­te ich ihm in der Kom­bü­se hel­fen, und mei­ne un­ge­heu­re Un­wis­sen­heit in Be­zug auf Kar­tof­fel­schä­len und das Aus­wa­schen fet­ti­ger Kochtöp­fe bil­de­te für ihn eine Quel­le un­auf­hör­li­cher spöt­ti­scher Ver­wun­de­rung. Er nahm nicht die ge­rings­te Rück­sicht auf mei­ne Lage oder viel­mehr auf mei­ne bis­he­ri­gen Ge­wohn­hei­ten. Ich ge­ste­he, dass ich ihn, ehe der Tag zu Ende war, mehr hass­te, als ich je im Le­ben einen Men­schen ge­hasst hat­te.

      Die­ser ers­te Tag wur­de mir noch da­durch er­schwert, dass die ›Ghost‹ un­ter gereff­ten Se­geln durch einen ›brül­len­den Süd­ost‹ stampf­te, wie Herr Mu­gridge sich aus­drück­te. Um halb fünf deck­te ich un­ter sei­ner An­lei­tung den Tisch in der Ka­jü­te. Ich be­fes­tig­te das Sch­lin­ger­brett und hol­te dann Es­sen und Tee aus der Kom­bü­se. Ich kann bei die­ser Ge­le­gen­heit nicht um­hin, mein ers­tes Aben­teu­er bei ho­hem See­gang zu be­rich­ten.

      »Sieh dich vor, sonst kriegst du einen Guß ab«, schärf­te Herr Mu­gridge mir ein, als ich die Kom­bü­se ver­ließ, in der Hand einen un­ge­heu­ren Tee­kes­sel und un­ter dem an­de­ren Arm meh­re­re frisch ge­ba­cke­ne Bro­te. Ei­ner der Jä­ger, ein großer ge­len­ki­ger Bur­sche na­mens Hen­der­son, kam ge­ra­de in die­sem Au­gen­blick aus dem ›Zwi­schen­deck‹ (mit die­sem Na­men be­zeich­ne­ten die Jä­ger wit­zig ihre mitt­schiffs ge­le­ge­nen Schlaf­quar­tie­re). Wolf Lar­sen stand auf der Hüt­te und rauch­te sei­ne ewi­ge Zi­gar­re.

      »Siehst du! Futsch ist er«, schrie der Koch.

      Ich blieb ste­hen, denn ich wuss­te nicht, was ge­sch­ah. Ich sah nur, wie die Kom­bü­sen­tür mit ei­nem Knall zu­flog. Dann sah ich Hen­der­son wie einen Ver­rück­ten zum Groß­mast sprin­gen und hoch über mei­nen Kopf in die Ta­ke­lung klet­tern. Ich sah auch noch eine rie­si­ge Woge, die schäu­mend hoch über der Re­ling stand. Ich be­fand mich di­rekt un­ter ihr. Mei­ne Ge­dan­ken ar­bei­te­ten nur lang­sam; al­les war so neu und fremd für mich. Ich wuss­te nichts, als dass Ge­fahr droh­te. Be­stürzt stand ich still. Da schrie Wolf Lar­sen von der Hüt­te: »Fest­hal­ten, Sie – Hump!«

      Aber es war zu spät. Ehe ich mich an die Ta­ke­lung an­ge­klam­mert hat­te, wur­de ich von dem stür­zen­den Was­ser­schwall ge­trof­fen. Was dann ge­sch­ah, weiß ich nicht recht. Ich be­fand mich un­ter Was­ser, er­stick­te, er­trank. Die Füße glit­ten un­ter mir fort, ich wur­de her­um­ge­wir­belt und Gott weiß wo­hin ge­fegt. Ich schlug ge­gen ver­schie­de­ne har­te Ge­gen­stän­de, und ein­mal stieß ich mir mein rech­tes Knie schreck­lich. Dann schi­en das Was­ser plötz­lich zu ver­schwin­den, und ich at­me­te wie­der fri­sche Luft. Ich war ge­gen die Kom­bü­se ge­schleu­dert und dann rings um die Ruff bis ge­gen die Spei­gat­ten in Lee ge­schwemmt wor­den. Der Schmerz in mei­nem Knie war furcht­bar. Ich glaub­te nicht auf­tre­ten zu kön­nen und war si­cher, das Bein ge­bro­chen zu ha­ben. Aber der Koch hielt Um­schau nach mir und schrie durch die Kom­bü­sen­tür:

      »Na du! Bleib nicht die gan­ze Nacht un­ter­wegs! Wo ist der Tee­topf? Über Bord? Dir wäre recht ge­sche­hen, wenn du dir den Hals ge­bro­chen hät­test!«

      Ich ver­such­te auf die Füße zu kom­men. Den großen Tee­topf hielt ich noch in der Hand. Ich hum­pel­te zur Kom­bü­se und reich­te ihn ihm. Aber er schäum­te vor wirk­li­cher und vor­geb­li­cher Wut.

      »Gott straf’ mich, wenn du nicht ein elen­der Wasch­lap­pen bist. Wozu bist du über­haupt nüt­ze? Wie? Wozu taugst du? Kannst nicht mal ein biss­chen Tee tra­gen, ohne ihn zu ver­schüt­ten. Nun kann ich noch mal auf­gie­ßen.

      Und was greinst du?« fuhr er mich mit er­neu­ter Wut an. »Hat sei­nem ar­men Bein­chen weh­ge­tan, Ma­mas ar­mer Lieb­ling.«

      Ich grein­te gar nicht, wenn mein Ge­sicht auch vor Schmerz zu­cken moch­te. Aber ich bot mei­ne gan­ze Ener­gie auf, biss die Zäh­ne zu­sam­men und hin­k­te ohne wei­te­ren Zwi­schen­fall von der Kom­bü­se nach der