der Männer, die ich bediente. Ich spürte durch die Kleidung hindurch, wie mein Knie immer mehr anschwoll, und ich war schwach und krank. Im Kajütenspiegel sah ich flüchtig mein Gesicht, das weiß, geisterhaft und vom Schmerz verzerrt war. Alle müssen meinen Zustand bemerkt haben, aber keiner verlor ein Wort darüber oder nahm auch nur die geringste Notiz von mir. Ich fühlte beinahe etwas wie Dankbarkeit, als Wolf Larsen später, als ich die Teller abwusch, zu mir sagte:
»Machen Sie sich nichts aus solcher Kleinigkeit. An so etwas werden sie sich schnell gewöhnen. Sie werden vielleicht ein bisschen weniger leichtfüßig sein, dafür aber auch gehen lernen. Das nennt man ja wohl ein Paradox, nicht wahr?« fügte er hinzu.
Er schien sich zu freuen, als ich mit einem mir schon zur Gewohnheit gewordenen »Jawohl, Käptn« nickte. »Ich nehme an, dass Sie ein bisschen Bescheid wissen über literarische Dinge. Was? Na, wir werden gelegentlich mal drüber reden.«
Und dann kehrte er mir, ohne weiter Notiz von mir zu nehmen, den Rücken und ging an Deck.
Als ich spät abends ein tüchtiges Stück Arbeit hinter mir hatte, wurde ich zum Schlafen ins Zwischendeck geschickt, wo ich eine einfache Koje erhielt. Ich war froh, von der verhassten Gegenwart des Kochs befreit zu sein und mich endlich niederlegen zu können. Zu meiner Überraschung waren mir die Kleider am Körper getrocknet, ohne dass ich Anzeichen einer Erkältung von dem letzten Sturzbad oder dem langen Schwimmbad nach dem Sinken der ›Martinez‹ gespürt hätte. Unter gewöhnlichen Umständen wäre ich nach allem, was ich durchgemacht hatte, reif fürs Bett und eine Krankenschwester gewesen.
Aber mein Knie schmerzte furchtbar. Soweit ich feststellen konnte, hatte ich mir die Kniescheibe ausgesetzt. Als ich auf dem Rand meiner Koje saß und das Bein untersuchte (die Jäger befanden sich alle im Zwischendeck, rauchten und schwatzten), warf Henderson einen Blick auf mein Knie.
»Sieht bös aus«, bemerkte er. »Bind dir ’n Lappen rum, dann wird’s besser.«
Das war alles. An Land würde ich schön auf dem Rücken gelegen haben unter der Pflege eines Arztes und mit der strengen Weisung, mich vollkommen ruhig zu verhalten. Aber ich muss diesen Männern Gerechtigkeit widerfahren lassen: ebenso gefühllos wie meinen Leiden waren sie auch ihren eigenen gegenüber; wenn ihnen einmal etwas zustieß. Erstens machte das die Gewohnheit, und zweitens waren sie von Natur aus weniger empfindlich. Ich glaube wirklich, dass ein feiner organisierter Mensch, wie ich, doppelt und dreifach soviel Schmerzen fühlte wie sie.
Bei aller Müdigkeit – ich war wirklich erschöpft – hinderte mich der Schmerz am Knie am Schlafen. Alles, was ich tun konnte, war, dass ich mich mit aller Gewalt beherrschte, um nicht laut zu stöhnen. Daheim würde ich zweifellos meinen Qualen Luft gemacht haben, aber diese mir neue, primitive Umgebung schien die Abhärtung eines Wilden von mir zu fordern. Diese Männer benahmen sich wie Naturvölker: stoisch in großen, kindlich reizbar in kleinen Dingen. Ich weiß noch, wie Kerfoot, einem der Jäger, später auf der Fahrt ein Finger zu Mus zerquetscht wurde, ohne dass er auch nur einen Laut von sich gab oder eine Miene verzog. Und derselbe Mann konnte bei der geringsten Kleinigkeit in zügellose Wut geraten.
Gerade jetzt war das der Fall. Er schrie und brüllte, schwenkte die Arme und fluchte wie der Teufel, und nur, weil er sich mit einem anderen Jäger nicht über die Frage einigen konnte, ob ein Robbenjunges instinktiv schwimmen könne oder nicht. Seiner Ansicht nach schwamm es gleich nach der Geburt. Der andere Jäger, Latimer, ein magerer Bursche mit boshaften Schlitzaugen, der wie ein Yankee aussah, glaubte wiederum, die Robbenjungen würden lediglich auf dem Lande geboren, weil sie nicht schwimmen könnten, und ihre Mütter müssten es ihnen beibringen wie die Vögel ihren Nestlingen das Fliegen.
Unterdessen lagen die anderen vier Jäger über dem Tisch oder saßen in ihren Kojen und überließen die beiden Widersacher ihrem Streit. Aber die Sache interessierte sie doch stark, hin und wieder ergriff einer von ihnen stürmisch Partei, und manchmal redeten sie alle durcheinander, bis die Worte wie Donnergrollen durch den Raum hallten. War der Gegenstand ihres Streits kindisch und lächerlich, so war es die Art ihrer Beweisführung noch mehr. Von Vernunftgründen war nicht die Rede, es gab nur Behauptungen und Schimpfen. Dass ein Robbenjunges bei der Geburt schwimmen konnte oder nicht, bewiesen sie durch kriegerische Behauptungen und Angriffe auf Urteilskraft, Verstand, Nationalität oder Vorleben des Gegners. Die Widerlegung war entsprechend. Ich erzähle dies nur, um die geistige Beschaffenheit der Männer zu zeigen, auf deren Umgang ich jetzt angewiesen war. In geistiger Beziehung waren sie Kinder, in körperlicher ausgewachsene Männer.
Und sie rauchten, rauchten unaufhörlich, und noch dazu einen billigen, stinkenden Tabak. Die Luft war dick und trübe vor Rauch. Das und die heftigen Bewegungen des Schiffes im Sturm würden mich sicher seekrank gemacht haben, wenn ich dazu geneigt hätte. So hatte ich nur eine Art Schwindelgefühl, das aber vielleicht auch von dem Schmerz in meinem Knie und meiner Erschöpfung herrührte.
Wie ich so dalag, machte ich mir natürlich Gedanken über meine Lage. Es war sicher einzig in seiner Art, kaum im Traum auszudenken, dass ich, Humphrey van Weyden, ein Mann von akademischer Bildung, ein Dilettant, wenn ich so sagen darf, in künstlerischen und literarischen Dingen, mich hier auf der Fahrt mit einem Robbenfänger zur Beringsee befand. Mein ganzes Leben lang hatte ich keine schwere körperliche Arbeit getan. Ich hatte ein ruhiges, ereignisloses Leben, das Dasein eines Einsiedlers geführt, mich mit Büchern beschäftigt und mein sicheres, behagliches Auskommen gehabt. Sport und Athletik hatten mich nie gereizt. Ich war stets ein Bücherwurm gewesen, so hatten Vater und Geschwister mich schon in meiner Kindheit genannt. Nur ein einziges Mal in meinem Leben hatte ich unter freiem Himmel kampiert, und da hätte ich beinahe die Gesellschaft zu Beginn des Ausfluges verlassen, um zu der Gemütlichkeit und Behaglichkeit eines Daches zurückzukehren. Und nun hatte ich die trostlose Aussicht auf endloses Tischdecken, Kartoffelschälen und Geschirraufwaschen. Und dabei war ich nicht sehr kräftig. Zwar hatten die Ärzte gesagt, dass ich eine vorzügliche Konstitution besäße, aber ich hatte sie nie durch Übung entwickelt. Meine Muskeln waren schlaff wie die eines Weibes, das hatten mir wenigstens die Ärzte immer wieder versichert bei dem Versuch, mich zur Ausübung eines Sports zu überreden. Aber ich hatte es vorgezogen, lieber den Kopf als den Körper zu gebrauchen, und nun saß ich hier in einer keineswegs geeigneten Verfassung für das raue Leben, das jetzt meiner harrte. Das waren einige der Gedanken, die mir durch den Kopf schossen und die ich hier gleich erzähle, um die Rolle von Schwäche und Hilflosigkeit, die