Джек Лондон

Gesammelte Werke


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      Die alte Frau rich­te­te sich fast zor­nig auf.

      »Ich? Der Ar­bei­ter­klas­se? Mein Kind, wenn ich auch mein Geld durch Spe­ku­la­tio­nen ver­lo­ren habe, wenn ich auch zu alt bin, um die stol­zen jun­gen Män­ner zu ge­win­nen, wenn ich auch die Män­ner über­lebt habe, die ich in mei­ner Ju­gend kann­te, und wenn ich auch mit Bar­ry Higg­ins hier im Ghet­to woh­ne und mich auf den Tod vor­be­rei­te – so bin ich doch un­ter den Herr­schern ge­bo­ren, mein Kind, und habe all mei­ne Tage den Fuß auf den Na­cken der Dum­men ge­setzt. Ich habe sel­te­ne Wei­ne ge­trun­ken und an Gast­mäh­lern teil­ge­nom­men, die un­se­re Nach­bar­schaft ein gan­zes Men­schen­al­ter hät­ten er­näh­ren kön­nen. Dick Gol­den und ich – es war Dicks Geld, aber es hät­te mei­nes sein kön­nen – Dick Gol­den und ich ver­lo­ren vier­hun­dert­tau­send Frank in ei­ner Wo­che an den Spiel­ti­schen von Mon­te Car­lo. Er war Jude, aber er ver­stand, Geld aus­zu­ge­ben. In In­di­en habe ich Ju­we­len ge­tra­gen, die Tau­sen­de von Fa­mi­li­en vom Hun­ger­to­de hät­ten er­ret­ten kön­nen –, die Tau­sen­de, die vor mei­nen Au­gen star­ben.«

      »Sie sa­hen sie ster­ben? Und ta­ten nichts für sie?« frag­te Sa­xon ent­setzt.

      »Ich be­hielt mei­ne Ju­we­len – la la, und ehe das Jahr um war, wur­den sie mir von ei­nem rus­si­schen Of­fi­zier ge­stoh­len.«

      »Und Sie lie­ßen sie ster­ben?« wie­der­hol­te Sa­xon.

      »Es war elen­des Ge­würm. Sie wim­meln und ver­meh­ren sich wie die Ma­den. Sie sind nichts wert – nichts, mein Kind. Sie wa­ren nicht mehr wert als die Ar­bei­ter hier, de­ren größ­te Dumm­heit ist, dass sie wei­ter Nach­kom­men­schaft in die Welt set­zen, da­mit auch die für die Her­ren schuf­ten kann.«

      So kam es, dass Sa­xon, die, wenn sie an­de­re hör­te, hin und wie­der ein we­nig Sinn ins Da­sein brin­gen konn­te, kei­nen Sinn in dem fin­den konn­te, was die furcht­ba­re alte Frau sag­te. Mit den Wo­chen wur­den die strei­ken­den Ei­sen­bah­ner im­mer wü­ten­der und er­bit­ter­ter, und Bil­ly schüt­tel­te den Kopf und gab zu, dass es ihm nicht mög­lich war, einen Sinn in dem Un­glück zu fin­den, das den Ho­ri­zont des gan­zen Ar­bei­ter­stan­des ver­fins­ter­te.

      »Ich kann es nicht be­grei­fen«, sag­te er zu Sa­xon. »Es ist al­les so ver­wirrt. Es ist wie eine Prü­ge­lei im Dun­keln. Zum Bei­spiel die Fuhr­leu­te! Die fan­gen jetzt an, da­von zu re­den, dass wir einen Sym­pa­thie­streik für die Ma­schi­nen­ar­bei­ter ma­chen sol­len. Die sind jetzt seit ei­ner Wo­che ar­beits­los. Die meis­ten ih­rer Stel­lun­gen sind von an­de­ren be­setzt, und wenn wir Fuhr­leu­te den Fa­bri­ken die Wa­ren wei­ter zu­füh­ren, dann ist der Streik ver­lo­ren.«

      »Aber als man euch den Lohn kürz­te, dach­tet ihr doch nicht an einen Streik«, sag­te Sa­xon stirn­run­zelnd.

      »Ach, da­mals ging es uns nicht so, dass wir es uns leis­ten konn­ten. Aber jetzt sind die Fuhr­leu­te und die ver­ei­nig­ten Ha­fen­ar­bei­ter in San Fran­zis­ko be­reit, uns zu stüt­zen. Das sagt man je­den­falls au­gen­blick­lich. Und wenn wir an­fan­gen, kön­nen wir selbst­ver­ständ­lich se­hen, dass sie uns den Lohn die zehn Pro­zent wie­der her­auf­set­zen.« –

      »Es ist eine fau­le Po­li­tik«, sag­te er ein an­der­mal. »Al­les ist faul, auch die Men­schen. Wenn wir nur so klug wä­ren, dass wir uns auf einen ehr­li­chen Mann ei­nig­ten –«

      »Aber wenn du und Bert und Tom euch nicht ei­ni­gen könnt, wie kannst du dann er­war­ten, dass alle an­de­ren sich ei­ni­gen sol­len?« frag­te Sa­xon.

      »Nein, das ist es eben«, gab er zu. »Man kann ganz ver­rückt wer­den, wenn man über all das nach­denkt. Und da­bei ist es so ein­fach, wie nur et­was sein kann. Ein paar ehr­li­che Leu­te im po­li­ti­schen Le­ben, dann geht al­les von sel­ber. Ehr­li­che Leu­te wer­den ehr­li­che Ge­set­ze ma­chen. Und dann be­kämen an­de­re ehr­li­che Leu­te, was ih­nen zu­kommt. Aber Bert will al­les zer­schla­gen, und Tom raucht sei­ne Pfei­fe und träumt von ei­ner Zu­kunft, in der alle Men­schen ihr Los selbst be­stim­men.«

      »Was ist los?« frag­te er, und sei­ne Stim­me wur­de ganz hei­ser vor Angst. »Du bist doch nicht krank – oder – oder so et­was?«

      Sie hat­te die eine Hand ge­gen ihr Herz ge­presst, aber der er­schro­cke­ne Aus­druck ih­rer Au­gen wich schnell ei­ner tie­fen, in­ni­gen Freu­de, und ein ge­heim­nis­vol­les lei­ses Lä­cheln um­spiel­te ih­ren Mund. Es war, als hät­te sie die An­we­sen­heit ih­res Man­nes ganz ver­ges­sen und lausch­te auf eine Bot­schaft aus wei­ter Fer­ne, die nicht für sei­ne Ohren be­stimmt war. Dann trat ein Aus­druck in­ni­ger Freu­de und Ver­wun­de­rung in ihr Ge­sicht. Sie streck­te Bil­ly die Hand ent­ge­gen.

      »Es lebt«, flüs­ter­te sie. »Ich füh­le, dass es lebt. Ich bin so froh, so froh.«

      Als Bil­ly am nächs­ten Abend von der Ar­beit heim­kam, brach­te Sa­xon einen Ge­gen­stand zur Spra­che, der ihm gleich ein stär­ke­res Ge­fühl von der Verant­wor­tung gab, die mit der Va­ter­schaft ver­bun­den war.

      »Ich habe dar­über nach­ge­dacht, Bil­ly«, be­gann sie, »und ich bin so ge­sund und stark, dass es nicht teu­er zu wer­den braucht. Da ist zum Bei­spiel Mar­tha Skel­ton – sie ist eine tüch­ti­ge Heb­am­me.«

      Aber Bil­ly schüt­tel­te den Kopf.

      »Nicht zu ma­chen, Sa­xon. Du wirst Dok­tor Hent­ley neh­men. Er ist Bill Mur­phys Arzt, und Bill schwört auf ihn. Er ist ein al­tes Ekel, aber er ver­steht sei­ne Sa­che.«

      »Aber sie hat doch Mag­gie Do­na­hue ge­hol­fen«, wand­te Sa­xon ein. »Und sieh nur sie und ihr Kind.«

      »Nun ja, aber dir wird sie nicht hel­fen – nie.«

      »Aber der Arzt nimmt fünf­und­zwan­zig Dol­lar«, fuhr Sa­xon fort, »und er wird ver­lan­gen, dass ich eine Kran­ken­schwes­ter neh­me, weil ich kei­ne weib­li­chen Ver­wand­ten zur Hil­fe habe. Mar­tha Skel­ton wür­de al­les tun, und es wäre viel bil­li­ger.«

      Aber Bil­ly schloss sie zärt­lich in die Arme und sag­te:

      »Hör mich jetzt an, Frau­chen. Die Fa­mi­lie Ro­berts ge­hört nicht zu de­nen, die auf den Pfen­nig se­hen. Das darfst du nie ver­ges­sen. Du sollst das Kind be­kom­men. Da­ran hast du zu den­ken, und das ist ge­nug für dich. Mei­ne Sa­che ist es, da­für zu sor­gen, dass das Geld da ist, und auf dich zu ach­ten. Das Bes­te ist nicht zu gut für dich. Ich will mich nicht der Ge­fahr aus­set­zen, dass dir auch nur das All­er­ge­rings­te zu­stie­ße – nein, nicht um eine Mil­li­on. Du bist es, die hier auf dem Spie­le steht. Und Dol­lars sind ein Dreck. Du meinst viel­leicht, dass ich mich mör­de­risch auf das Kind freue. Ja, das tue ich. Ich den­ke im­mer dar­an – den gan­zen Tag. Ich bin ganz wild nach ihm. Und doch, Sa­xon, das schwö­re ich dir, eher möch­te ich es tot und be­gra­ben se­hen, als dass dir das Ge­rings­te zu­stie­ße. Und du brauchst kei­ne Kran­ken­schwes­ter. Dok­tor Hent­ley wird je­den Tag kom­men, und Mary kann das Haus und dich ver­sor­gen, wie du es für sie tä­test, wenn es nö­tig wäre.«

      Die Tage und Wo­chen ver­gin­gen, und Sa­xon wur­de sich be­wusst, dass ihre Brüs­te sich in stol­zem Mut­ter­ge­fühl spann­ten. Der Ge­dan­ke, dass sie Mut­ter wer­den soll­te, er­füll­te sie mit ei­ner tie­fen, lei­den­schaft­li­chen Freu­de. Al­ler­dings hat­te sie auch ihre Stun­den der Angst, aber sie wa­ren so vor­über­ge­hend und zähl­ten so we­nig im Ver­hält­nis zu dem üb­ri­gen,