Джек Лондон

Gesammelte Werke


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      »Tom, seit wann bist du So­zia­list?«

      »Seit acht Jah­ren.«

      »Und du hast nichts da­mit er­reicht?«

      »Nein, aber es wird schon kom­men – mit der Zeit.«

      »Wenn es wei­ter so geht, kannst du ja vor der Zeit tot sein.«

      Tom seufz­te.

      »Das fürch­te ich. Die­se Din­ge ge­hen so lang­sam.«

      Wie­der seufz­te er. Sie be­merk­te den ge­dul­di­gen, mü­den Aus­druck in sei­nem Ge­sicht, die ge­beug­ten Schul­tern, die ab­ge­ar­bei­te­ten Hän­de, und ihr er­schi­en das al­les als ein Sym­bol der Sinn­lo­sig­keit sei­nes so­zia­len Glau­bens­be­kennt­nis­ses.

      *

      Es be­gann ganz ru­hig, wie ver­häng­nis­vol­le un­er­war­te­te Er­eig­nis­se so oft be­gin­nen. Kin­der je­den Al­ters und je­der Grö­ße spiel­ten auf der Stra­ße, und Sa­xon stand am of­fe­nen Fens­ter und sah ih­rem Spiel zu, wäh­rend sie von dem Kind träum­te, das bald kom­men soll­te. Der Son­nen­schein wich fried­lich dem Abend, und eine leich­te Bri­se von der Bucht kühl­te die Luft und ver­lieh ihr einen sal­zi­gen Ge­schmack. Da zeig­te ei­nes der Kin­der die Stra­ße hin­auf. Alle Kin­der hör­ten auf zu spie­len. Es sam­mel­ten sich Grup­pen, die grö­ße­ren Kna­ben von zehn bis zwölf für sich, wäh­rend die äl­te­ren Mäd­chen be­sorgt die klei­nen Kin­der an die Hand oder auf den Arm nah­men.

      Sa­xon konn­te die Ur­sa­che all die­ser Auf­re­gung nicht se­hen, aber sie konn­te sie er­ra­ten, da sie die grö­ße­ren Kna­ben zu den Rinn­stei­nen ei­len und Stei­ne auf­le­sen sah, wor­auf sie sich in die Gän­ge zwi­schen den Häu­sern schli­chen. Die klei­ne­ren Kna­ben ver­such­ten, es ih­nen nach­zu­ma­chen. Die Mäd­chen, die eif­rig die ganz Klei­nen fort­schlepp­ten, ris­sen Gar­ten­pfor­ten auf und eil­ten die Stu­fen zu den klei­nen Häu­sern hin­auf. Die Tü­ren schlu­gen hin­ter ih­nen zu, und bald war die Stra­ße öde und ver­las­sen, wenn auch hier und da eine Gar­di­ne sich hob, um be­sorg­te Frau­en hin­aus­se­hen zu las­sen. Sa­xon hör­te den Zug, der schnau­fend und rau­chend zum Zen­tre-Street-Bahn­hof hin­aus­fuhr. Dann er­tön­te aus der Sieb­ten Stra­ße das hei­se­re Ge­brüll vie­ler tiefer Män­ner­stim­men. Sie konn­te im­mer noch nichts se­hen, und sie dach­te an Mer­ce­des Higg­ins’ Wor­te: »Sie sind wie Hun­de, die sich um einen Kno­chen schla­gen. Nur dass ihr Kno­chen Ar­beit heißt.«

      Das Ge­brüll nä­her­te sich, und als Sa­xon sich aus dem Fens­ter lehn­te, sah sie ein Dut­zend Streik­bre­cher, die von eben­so vie­len De­tek­ti­ven und Schutz­leu­ten es­kor­tiert wur­den, auf dem ge­gen­über­lie­gen­den Bür­ger­steig an­ge­wan­dert kom­men. Sie gin­gen in ge­schlos­se­nem Trupp wie eine dis­zi­pli­nier­te Streit­macht, wäh­rend hin­ter ih­nen, heu­lend und durch­ein­an­der, neun­zig bis hun­dert strei­ken­de Ei­sen­bah­ner gin­gen, die sich hin und wie­der bück­ten und Stei­ne auf­ho­ben. Sa­xon fühl­te, dass sie vor Angst zit­ter­te, aber sie zwang sich, ru­hig zu sein. Es half ihr auch et­was, als sie Mer­ce­des Higg­ins sah. Die alte Frau öff­ne­te die Haus­tür, zog einen Stuhl her­aus und setz­te sich ru­hig auf den klei­nen Trep­pen­ab­satz.

      Die Po­li­zei war mit Knüp­peln be­waff­net. Die De­tek­ti­ve lie­ßen kei­ne Waf­fen se­hen. Die Strei­ken­den, die von hin­ten nach­dräng­ten, schie­nen sich da­mit be­gnü­gen zu wol­len, ih­rer Wut in lau­tem Ge­heul und in Dro­hun­gen Luft zu ma­chen, und es wa­ren die Kin­der, die den ei­gent­li­chen An­stoß zu der Schlä­ge­rei ga­ben. Aus dem Gang zwi­schen den bei­den ge­gen­über­lie­gen­den Häu­sern, wo die Fa­mi­li­en Ol­sen und Is­ham wohn­ten, kam plötz­lich ein Re­gen von Stei­nen. Die meis­ten Stei­ne flo­gen vor­bei, aber ei­ner traf einen Streik­bre­cher am Kopf. Der Mann be­fand sich nicht mehr als zwan­zig Fuß von Sa­xon ent­fernt. Er tau­mel­te ge­gen ih­ren Zaun und zog einen Re­vol­ver. Mit der einen Hand strich er sich über die Au­gen, die von Blut halb ge­blen­det wa­ren, und mit der an­de­ren feu­er­te er sei­ne Waf­fe ge­gen das Is­ham­sche Haus ab. Ei­ner der De­tek­ti­ve pack­te ihn am Arm, um ihn zu ver­hin­dern, den Re­vol­ver wie­der ab­zu­feu­ern, und schlepp­te ihn mit sich fort. Im sel­ben Au­gen­blick aber er­tön­te ein noch wil­de­res Ge­brüll von den Strei­ken­den, wäh­rend ein Schau­er von Stei­nen aus dem Gang zwi­schen Sa­x­ons und Mag­gie Do­na­hues Haus kam. Die Streik­bre­cher und ihre Be­schüt­zer mach­ten halt und ent­si­cher­ten ihre Re­vol­ver. An dem har­ten, wil­lens­star­ken Aus­druck in ih­ren Ge­sich­tern konn­te Sa­xon se­hen, dass Blut­ver­gie­ßen und Tod be­vor­stan­den. Ein äl­te­rer Mann, of­fen­bar ihr An­füh­rer, nahm sei­nen wei­chen schwar­zen Hut ab und wisch­te sich den Schweiß von der Glat­ze. Er war ein großer dick­bäu­chi­ger Mann, der merk­wür­dig hilf­los aus­sah. Er ließ die Schul­tern hän­gen, und Sa­xon be­merk­te die Schup­pen auf sei­nem Rock­kra­gen.

      Ei­ner der Män­ner zeig­te auf die Stra­ße, und meh­re­re von sei­nen Ka­me­ra­den lach­ten. Es war der klei­ne, kaum vier­jäh­ri­ge Ol­sen, der der Mut­ter weg­ge­lau­fen war und jetzt zu den Män­nern kam, die die Fein­de sei­ner wirt­schaft­li­chen Exis­tenz wa­ren. In sei­ner rech­ten Hand hielt er einen Stein, so schwer, dass er ihn kaum he­ben konn­te. Die schwa­che Kin­der­hand droh­te ih­nen mit die­sem Stein; das klei­ne rot­wan­gi­ge Ge­sicht war von Wut ver­zerrt, und er schrie im­mer wie­der: »Ver­fluch­te Streik­bre­cher! Ver­fluch­te Streik­bre­cher!« Das La­chen, mit dem die Män­ner ihn be­grüß­ten, mach­te ihn noch wü­ten­der. Er wank­te auf sie zu und warf mit ei­ner mäch­ti­gen Kraft­an­span­nung den Stein, der kaum sechs Fuß von ihm zu Bo­den fiel.

      So viel sah Sa­xon, und sie sah auch, wie die Mut­ter des Kna­ben auf die Stra­ße eil­te, um ihr Kind zu ho­len. Da er­tön­te eine Sal­ve von Pis­to­len­schüs­sen der Strei­ken­den, und Sa­x­ons Auf­merk­sam­keit wand­te sich den Män­nern vor ih­rem Fens­ter zu. Ei­ner von ih­nen stieß einen mäch­ti­gen Fluch aus und un­ter­such­te sei­nen lin­ken Arm, der kraft­los her­ab­hing. Sie sah, wie das Blut über sei­ne Hand tropf­te. Sie wuss­te, dass sie nicht ste­hen­blei­ben durf­te, aber die Erin­ne­rung an ihre kämp­fen­den Vor­fah­ren er­wach­te in ihr, und sie fürch­te­te sich nicht mehr, als je­der nor­ma­le Mensch sich un­ter sol­chen Ver­hält­nis­sen ge­fürch­tet hät­te – eher we­ni­ger. Sie ver­gaß über die­sem Kampf, der so plötz­lich in ih­rer stil­len Stra­ße los­ge­bro­chen war, ihr Kind. Sie ver­gaß die Strei­ken­den und al­les an­de­re über ih­rem Er­stau­nen dar­über, wie es dem dick­bäu­chi­gen, zi­gar­ren­rau­chen­den An­füh­rer er­gan­gen war. Auf ir­gend­ei­ne merk­wür­di­ge Wei­se war sein Kopf in ih­rem Zaun ein­ge­klemmt. Sein Kör­per hing drau­ßen, und die Knie be­rühr­ten den Bo­den nicht ganz. Der Hut war ihm ab­ge­fal­len, und die Son­ne schi­en auf sei­ne Glat­ze und er­zeug­te eine kräf­ti­ge Licht­wir­kung. Die Zi­gar­re war auch ver­schwun­den. Sie sah, dass sein Blick auf sie ge­rich­tet war. Es war, als wink­te er ihr mit der Hand, die durch den Zaun stak, und es sah fast aus, als blin­zel­te er ihr ge­müt­lich zu, ob­wohl sie wuss­te, dass es der furcht­bars­te Schmerz war, der sein Ge­sicht zu ei­nem Grin­sen ver­zerr­te.

      Eine Se­kun­de, viel­leicht zwei, starr­te sie ihn an, dann aber wur­de sie durch den Klang von Berts Stim­me aus ih­ren Be­trach­tun­gen ge­ris­sen. Er kam, ge­folgt von meh­re­ren an­de­ren Strei­ken­den, auf dem Bür­ger­steig vor ih­rem Hau­se ge­lau­fen, und rief aus vol­ler Keh­le: »Vor­wärts, Mo­hi­ka­ner! Jetzt ha­ben wir sie an den