Billy noch Mary verstehen konnten – lautete:
»Ist der kleine Emil Olsen gerettet?«
Und als sie dann erzählte, wie er ganz allein die vierundzwanzig kampfbereiten Männer angegriffen, da hatte Billys Gesicht direkt gestrahlt vor Begeisterung.
»Der kleine Strolch!« sagte er. »Ja, auf solch einen Bengel kann man stolz sein.«
Er hielt verlegen inne, so offensichtlich besorgt, dass er Saxon weh getan hätte, dass sie ganz gerührt war. Sie reichte ihm die Hand.
»Billy«, begann sie, wartete dann aber, bis Mary die Stube verlassen hatte. »Ich habe noch nie gefragt – und es ist ja auch einerlei – jetzt. Aber ich hatte gedacht, dass du es mir sagen würdest. War es …?«
Er schüttelte den Kopf.
»Nein, es war ein Mädchen. Ein kräftiges kleines Mädchen. Aber … es war zu früh.«
Sie drückte ihm die Hand, und es war fast, als tröstete sie ihn in seinem Kummer.
»Ich habe es dir nie gesagt, Billy – du warst so darauf versessen, dass es ein Junge sein sollte. Aber ich hatte doch daran gedacht, wenn es ein Mädchen wäre, es Daisy zu nennen. Du weißt, so hieß meine Mutter.«
Er nickte beifällig.
»Weißt du, Saxon, dass ich verflucht gern einen Jungen gehabt hätte – aber jetzt ist es mir gleichgültig. Ich bin ebenso versessen auf ein Mädel, und, nun ja, das nächste … ja, du hast wohl nichts dagegen?«
»Wogegen?«
»Dass es ebenso heißen wird: Daisy?«
»Ach, Billy, ich dachte gerade daran.«
Aber dann wurde sein Gesicht plötzlich hart und streng, und er fuhr fort:
»Aber es gibt kein ›nächstes‹. Ich wusste nicht, dass das Kinderkriegen so war. Das darfst du nicht noch einmal durchmachen.«
»Hör nur, wie der große, starke Mann redet!« neckte sie ihn mit einem schwachen, müden Lächeln. »Davon verstehst du nichts. Wie solltest du auch? Du bist ja nur ein Mann. Es wäre ausgezeichnet gegangen, wenn … wenn der Kampf nicht gewesen wäre. Wo haben sie Bert begraben?«
»Du wusstest es also?«
»Ja, ich hab es die ganze Zeit gewusst. Und wo ist Mercedes? Sie ist zwei Tage nicht hier gewesen.«
»Der alte Barry ist krank. Sie ist bei ihm.«
Er erzählte ihr nicht, dass der alte Nachtwächter wenige Meter entfernt im Sterben lag.
Saxons Lippen bebten, und sie begann zu weinen, während sie in ihrer Schwäche Billys Hand mit ihren beiden umklammerte.
»Ich – ich kann nichts dafür«, schluchzte sie. »Es ist gleich wieder vorbei … Unser kleines Mädelchen, Billy! Denk – dass ich es nie gesehen habe!«
*
Als Saxon wieder zu Kräften kam, wollte sie mehr über die Tragödie wissen, die sich vor ihrer Tür abgespielt hatte. Billy erzählte ihr, dass gleich Militär gerufen worden war und jetzt am Ende der Pine Street auf dem unbebauten Grundstück neben den Eisenbahnwerkstätten lagerte. Von den Streikenden saßen fünfzehn im Gefängnis. Die Polizei hatte die ganze Nachbarschaft Haus für Haus durchsucht und dabei die fünfzehn, die alle verwundet waren, gefangengenommen. Es würde ihnen schlimm ergehen, sagte Billy finster. Die Zeitungen forderten Blut für Blut, und alle Geistlichen in Oakland hatten erbitterte Predigten gegen die Streikenden gehalten. Die Eisenbahngesellschaft hatte alle Stellen besetzt, und es war allgemein bekannt, dass die Streikenden nicht nur ihre Stellungen nicht wiederbekamen, sondern bei allen Eisenbahngesellschaften in den Vereinigten Staaten auf dem Schwarzen Brett standen. Sie hatten schon angefangen, sich in alle Winde zu zerstreuen.
Mit heimlicher Angst versuchte Saxon, Billys Meinung über das Geschehene zu erforschen.
»Da sieht man, was bei so gewaltsamen Methoden wie denen Berts herauskommt«, sagte sie.
Er schüttelte besonnen und ernst den Kopf.
»Chester Johnson wird jedenfalls gehängt«, antwortete er, ohne näher auf die Sache einzugehen. »Du kennst ihn doch. Du hast mir selbst erzählt, dass du oft mit ihm getanzt hast. Er wurde auf frischer Tat ertappt, über der Leiche des Streikbrechers, den er totgeprügelt hatte. ›Dickbauch‹ hatte selbst drei Revolverkugeln im Leibe. Aber er stirbt diesmal nicht, und er hat sich Chester gemerkt. Sie hängen ihn sicher auf das Zeugnis Dickbauchs hin. Das stand in allen Zeitungen.«
Saxon schauderte. Dickbauch war der Mann mit der Glatze und dem von Tabak befleckten Bart gewesen.
»Ja«, sagte sie, »ich sah alles. Mir schien, dass er mehrere Stunden dort gehangen hätte.«
»Und doch dauerte die ganze Geschichte nur fünf Minuten.«
»Mir kam es wie eine Ewigkeit vor.«
»Dickbauch sicher auch, als er am Gitter hing.« Billy lächelte barsch. »Aber er ist zäh. Er ist Dutzende von Malen angeschossen und gestochen worden. Aber jetzt sagen sie, dass er für Lebenszeit Krüppel ist – dass er an Krücken gehen oder in einem Rollstuhl sitzen muss. Da kann er keine Dreckarbeit mehr für die Eisenbahn tun. Er war einer von den besten Raufbrüdern – immer Feuer und Flamme, wenn auf der Straße was los war. Er hat sich nie vor etwas auf zwei Beinen gefürchtet – das muss man ihm lassen.«
»Ist er verheiratet?«
»Seine Frau habe ich nie gesehen, aber er hat einen Sohn, Jack, der Lokomotivführer ist. Ich habe ihn einmal kennengelernt – er ist ein tüchtiger Boxer. Und er hat noch einen Sohn, der Lehrer an der Hochschule ist. Er heißt Paul. Ich kannte ihn, als wir beide kleine Burschen waren.«
Saxon lehnte sich in dem großen Sessel zurück, um sich auszuruhen und nachzudenken. Das Problem war verwickelter als je. Der ältliche, dickbäuchige, glatzköpfige Mann hatte also auch Frau und Kinder. Und Frank Davis, der kaum ein Jahr verheiratet war, hatte einen kleinen Jungen. Vielleicht hatte der Streikbrecher, den er in den Bauch schoss, auch Frau und Kinder. Es war, als wären sie Mitglieder einer großen Familie, und doch hämmerten sie aufeinander los und töteten einander um ihrer Familien willen. Sie hatte gesehen, wie Chester Johnson einen Streikbrecher erschlug, und jetzt sollte Chester Johnson gehängt werden, Chester Johnson, der Mann Kitty Bradys, mit der sie vor mehreren Jahren zusammen in der Kartonagenfabrik gearbeitet hatte.
Saxon wartete vergebens, dass Billy seine Missbilligung über die Ermordung der Streikbrecher aussprechen sollte.
»Es