Джек Лондон

Gesammelte Werke


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Bil­ly noch Mary ver­ste­hen konn­ten – lau­te­te:

      »Ist der klei­ne Emil Ol­sen ge­ret­tet?«

      Und als sie dann er­zähl­te, wie er ganz al­lein die vier­und­zwan­zig kampf­be­rei­ten Män­ner an­ge­grif­fen, da hat­te Bil­lys Ge­sicht di­rekt ge­strahlt vor Be­geis­te­rung.

      »Der klei­ne Strolch!« sag­te er. »Ja, auf solch einen Ben­gel kann man stolz sein.«

      Er hielt ver­le­gen inne, so of­fen­sicht­lich be­sorgt, dass er Sa­xon weh ge­tan hät­te, dass sie ganz ge­rührt war. Sie reich­te ihm die Hand.

      »Bil­ly«, be­gann sie, war­te­te dann aber, bis Mary die Stu­be ver­las­sen hat­te. »Ich habe noch nie ge­fragt – und es ist ja auch ei­ner­lei – jetzt. Aber ich hat­te ge­dacht, dass du es mir sa­gen wür­dest. War es …?«

      Er schüt­tel­te den Kopf.

      »Nein, es war ein Mäd­chen. Ein kräf­ti­ges klei­nes Mäd­chen. Aber … es war zu früh.«

      Sie drück­te ihm die Hand, und es war fast, als trös­te­te sie ihn in sei­nem Kum­mer.

      »Ich habe es dir nie ge­sagt, Bil­ly – du warst so dar­auf ver­ses­sen, dass es ein Jun­ge sein soll­te. Aber ich hat­te doch dar­an ge­dacht, wenn es ein Mäd­chen wäre, es Dai­sy zu nen­nen. Du weißt, so hieß mei­ne Mut­ter.«

      Er nick­te bei­fäl­lig.

      »Weißt du, Sa­xon, dass ich ver­flucht gern einen Jun­gen ge­habt hät­te – aber jetzt ist es mir gleich­gül­tig. Ich bin eben­so ver­ses­sen auf ein Mä­del, und, nun ja, das nächs­te … ja, du hast wohl nichts da­ge­gen?«

      »Wo­ge­gen?«

      »Dass es eben­so hei­ßen wird: Dai­sy?«

      »Ach, Bil­ly, ich dach­te ge­ra­de dar­an.«

      Aber dann wur­de sein Ge­sicht plötz­lich hart und streng, und er fuhr fort:

      »Aber es gibt kein ›nächs­tes‹. Ich wuss­te nicht, dass das Kin­der­krie­gen so war. Das darfst du nicht noch ein­mal durch­ma­chen.«

      »Hör nur, wie der große, star­ke Mann re­det!« neck­te sie ihn mit ei­nem schwa­chen, mü­den Lä­cheln. »Da­von ver­stehst du nichts. Wie soll­test du auch? Du bist ja nur ein Mann. Es wäre aus­ge­zeich­net ge­gan­gen, wenn … wenn der Kampf nicht ge­we­sen wäre. Wo ha­ben sie Bert be­gra­ben?«

      »Du wuss­test es also?«

      »Ja, ich hab es die gan­ze Zeit ge­wusst. Und wo ist Mer­ce­des? Sie ist zwei Tage nicht hier ge­we­sen.«

      »Der alte Bar­ry ist krank. Sie ist bei ihm.«

      Er er­zähl­te ihr nicht, dass der alte Nacht­wäch­ter we­ni­ge Me­ter ent­fernt im Ster­ben lag.

      Sa­x­ons Lip­pen beb­ten, und sie be­gann zu wei­nen, wäh­rend sie in ih­rer Schwä­che Bil­lys Hand mit ih­ren bei­den um­klam­mer­te.

      »Ich – ich kann nichts da­für«, schluchz­te sie. »Es ist gleich wie­der vor­bei … Un­ser klei­nes Mä­del­chen, Bil­ly! Denk – dass ich es nie ge­se­hen habe!«

      *

      Als Sa­xon wie­der zu Kräf­ten kam, woll­te sie mehr über die Tra­gö­die wis­sen, die sich vor ih­rer Tür ab­ge­spielt hat­te. Bil­ly er­zähl­te ihr, dass gleich Mi­li­tär ge­ru­fen wor­den war und jetzt am Ende der Pine Street auf dem un­be­bau­ten Grund­stück ne­ben den Ei­sen­bahn­werk­stät­ten la­ger­te. Von den Strei­ken­den sa­ßen fünf­zehn im Ge­fäng­nis. Die Po­li­zei hat­te die gan­ze Nach­bar­schaft Haus für Haus durch­sucht und da­bei die fünf­zehn, die alle ver­wun­det wa­ren, ge­fan­gen­ge­nom­men. Es wür­de ih­nen schlimm er­ge­hen, sag­te Bil­ly fins­ter. Die Zei­tun­gen for­der­ten Blut für Blut, und alle Geist­li­chen in Oa­k­land hat­ten er­bit­ter­te Pre­dig­ten ge­gen die Strei­ken­den ge­hal­ten. Die Ei­sen­bahn­ge­sell­schaft hat­te alle Stel­len be­setzt, und es war all­ge­mein be­kannt, dass die Strei­ken­den nicht nur ihre Stel­lun­gen nicht wie­der­be­ka­men, son­dern bei al­len Ei­sen­bahn­ge­sell­schaf­ten in den Ve­rei­nig­ten Staa­ten auf dem Schwar­zen Brett stan­den. Sie hat­ten schon an­ge­fan­gen, sich in alle Win­de zu zer­streu­en.

      Mit heim­li­cher Angst ver­such­te Sa­xon, Bil­lys Mei­nung über das Ge­sche­he­ne zu er­for­schen.

      »Da sieht man, was bei so ge­walt­sa­men Metho­den wie de­nen Berts her­aus­kommt«, sag­te sie.

      Er schüt­tel­te be­son­nen und ernst den Kopf.

      »Che­s­ter John­son wird je­den­falls ge­hängt«, ant­wor­te­te er, ohne nä­her auf die Sa­che ein­zu­ge­hen. »Du kennst ihn doch. Du hast mir selbst er­zählt, dass du oft mit ihm ge­tanzt hast. Er wur­de auf fri­scher Tat er­tappt, über der Lei­che des Streik­bre­chers, den er tot­ge­prü­gelt hat­te. ›Dick­bauch‹ hat­te selbst drei Re­vol­ver­ku­geln im Lei­be. Aber er stirbt dies­mal nicht, und er hat sich Che­s­ter ge­merkt. Sie hän­gen ihn si­cher auf das Zeug­nis Dick­bauchs hin. Das stand in al­len Zei­tun­gen.«

      Sa­xon schau­der­te. Dick­bauch war der Mann mit der Glat­ze und dem von Ta­bak be­fleck­ten Bart ge­we­sen.

      »Ja«, sag­te sie, »ich sah al­les. Mir schi­en, dass er meh­re­re Stun­den dort ge­han­gen hät­te.«

      »Und doch dau­er­te die gan­ze Ge­schich­te nur fünf Mi­nu­ten.«

      »Mir kam es wie eine Ewig­keit vor.«

      »Dick­bauch si­cher auch, als er am Git­ter hing.« Bil­ly lä­chel­te barsch. »Aber er ist zäh. Er ist Dut­zen­de von Ma­len an­ge­schos­sen und ge­sto­chen wor­den. Aber jetzt sa­gen sie, dass er für Le­bens­zeit Krüp­pel ist – dass er an Krücken ge­hen oder in ei­nem Roll­stuhl sit­zen muss. Da kann er kei­ne Dreck­ar­beit mehr für die Ei­sen­bahn tun. Er war ei­ner von den bes­ten Rauf­brü­dern – im­mer Feu­er und Flam­me, wenn auf der Stra­ße was los war. Er hat sich nie vor et­was auf zwei Bei­nen ge­fürch­tet – das muss man ihm las­sen.«

      »Ist er ver­hei­ra­tet?«

      »Sei­ne Frau habe ich nie ge­se­hen, aber er hat einen Sohn, Jack, der Lo­ko­mo­tiv­füh­rer ist. Ich habe ihn ein­mal ken­nen­ge­lernt – er ist ein tüch­ti­ger Bo­xer. Und er hat noch einen Sohn, der Leh­rer an der Hoch­schu­le ist. Er heißt Paul. Ich kann­te ihn, als wir bei­de klei­ne Bur­schen wa­ren.«

      Sa­xon lehn­te sich in dem großen Ses­sel zu­rück, um sich aus­zu­ru­hen und nach­zu­den­ken. Das Pro­blem war ver­wi­ckel­ter als je. Der ält­li­che, dick­bäu­chi­ge, glatz­köp­fi­ge Mann hat­te also auch Frau und Kin­der. Und Frank Da­vis, der kaum ein Jahr ver­hei­ra­tet war, hat­te einen klei­nen Jun­gen. Vi­el­leicht hat­te der Streik­bre­cher, den er in den Bauch schoss, auch Frau und Kin­der. Es war, als wä­ren sie Mit­glie­der ei­ner großen Fa­mi­lie, und doch häm­mer­ten sie auf­ein­an­der los und tö­te­ten ein­an­der um ih­rer Fa­mi­li­en wil­len. Sie hat­te ge­se­hen, wie Che­s­ter John­son einen Streik­bre­cher er­schlug, und jetzt soll­te Che­s­ter John­son ge­hängt wer­den, Che­s­ter John­son, der Mann Kit­ty Bra­dys, mit der sie vor meh­re­ren Jah­ren zu­sam­men in der Kar­to­na­gen­fa­brik ge­ar­bei­tet hat­te.

      Sa­xon war­te­te ver­ge­bens, dass Bil­ly sei­ne Miss­bil­li­gung über die Er­mor­dung der Streik­bre­cher aus­spre­chen soll­te.

      »Es