hast es ja selbst gehört. Wir müssen los!« Lilli winkte Felix und zog ihre Mutter mit sich. »Vielleicht sehen wir uns mal wieder. Ist aber unwahrscheinlich bei knapp zweitausend Leuten an Bord!« Sie lächelte noch einmal und verschwand dann in einer Traube Jugendlicher, die sich zum Ablegemanöver an der Reling einfanden.
Verwirrt blieb Felix zurück. Selten zuvor hatte er ein so seltsames Mädchen getroffen. Ihre Lügen reizten ihn, und er wollte unbedingt herausfinden, ob sich Lilli nur einen Spaß mit ihm erlaubt hatte oder ob mehr dahinter steckte. Es wäre doch gelacht, wenn er sie auf diesem Schiff nicht früher oder später wiederfinden würde.
*
»Solche Overalls gab es früher schon mal.« Fee tauchte in der Badezimmertür auf, Unsicherheit im Blick. Sie trug den neuen Jumpsuit, den ihre Tochter Dési ihr ohne mit der Wimper zu zucken abgenommen hätte. »Man muss die alten Sachen nur lange genug aufheben. Irgendwann kann man sie schon wieder anziehen«, erklärte sie und sah an sich herab.
Der olivgrüne Stoff umspielte ihre schlanke Figur. Eine goldene Kette mit großen Holzornamenten, ein goldfarbener Gürtel und Riemchensandalen komplettierten das Outfit. Gegen die Kühle des Abends hatte sie einen passenden Schal um die Schultern gelegt. »Kann ich so gehen?«
Daniel saß am Schreibtisch. Er drehte sich um und musterte seine Frau aus halb geschlossenen Augen.
»Nein.«
Fee erschrak.
»Wie, nein?«
»So lasse ich dich auf keinen Fall unter die Leute gehen.« Ohne sie aus den Augen zu lassen, schüttelte er den Kopf. »Du bist viel zu attraktiv. Außerdem siehst du unverschämt jung aus in diesem Hosenanzug. Am Ende fragt mich noch so ein junger Schnösel, ob er meine Tochter an die Bar entführen darf.«
Diese Vorstellung ließ Fee laut auflachen.
»Du übertreibst wie immer schamlos. Aber vielen Dank für die Blumen. Deine Komplimente sind die besten.« Sie trat zu ihm und sah ihm über die Schulter. »Was machst du da überhaupt?«
»Ich studiere gerade den Bordplan. Eigentlich lohnt es sich gar nicht, die Restaurants zu verlassen. Wenn wir zurück sind, haben wir sicher wieder Hunger«, stellte er fest und deutete auf die grafische Darstellung der Decks. »Die Hauptspeisesäle befinden sich zu beiden Enden des Schiffes und reichen über drei Stockwerke.« Er zeigte ihr die entsprechenden Bereiche.
Doch Fee hatte etwas anderes entdeckt.
»Es gibt sogar eine Eislaufbahn«, stellte sie erstaunt fest.
»Und ein Kino und ein zweistöckiges Theater. Neben solchen Selbstverständlichkeiten wie Bibliothek, Fitness-Studio, Klettergarten, Volleyballplatz und Minigolfanlage.« Auch Daniel konnte seine Überraschung kaum verbergen. Er hatte genug gesehen und erhob sich. Genau wie seine Frau hatte er sich umgezogen und stand Fee in nichts nach. Der dunkle Anzug, den er mit einem sportlichen Polohemd kombiniert hatte, kleidete ihn hervorragend. »Um nur ein paar der Beschäftigungsmöglichkeiten aufzuzählen, die wir hier geboten bekommen. Wahrscheinlich reichen zwei Wochen gar nicht aus, um alles auszuprobieren.«
Fee lachte auf.
»Ich bin ja gespannt, ob wir überhaupt zu den Restaurants vordringen, wenn es so viele andere Dinge zu erleben gibt.«
»Du würdest doch hoffentlich nicht leichtfertig meinen Hungertod in Kauf nehmen?«, fragte Daniel skeptisch.
Fee nahm ihn an der Hand und zog ihn zur Tür.
»Natürlich nicht. Wir setzen jetzt Scheuklappen auf und gehen direkt, ohne nach links und rechts zu schauen, in das erstbeste Restaurant, das wir finden«, versprach sie und setzte ihre Worte sofort in die Tat um. »Sollen wir Felix fragen, ob er mitkommen will?«
»Hab ich schon. Aber er hat sich den Magen schon in einem Burger-Restaurant vollgeschlagen. Wir treffen uns später in der Mondschein-Bar.«
»Einverstanden.« Hand in Hand schlenderte das Ehepaar Norden durch die mit Teppich ausgelegten Flure. Die Blicke der anderen Passagiere folgten dem außergewöhnlich harmonischen Paar. Und auch, als sie das ›Schöne-Welt-Restaurant‹ betraten, zogen die beiden die Aufmerksamkeit auf sich.
Auch Lars Forberg, der mit seiner Frau am Tisch saß, hob den Kopf.
»Sag mal, den Mann da drüben kenne ich doch.« Nele saß mit dem Rücken zum Eingang und musste sich umdrehen.
»Keine Ahnung. Ich glaube nicht, dass ich ihn schon einmal gesehen hab.«
»Das war mir halbwegs klar«, entfuhr es Lars wenig freundlich. Ohne das Ehepaar aus den Augen zu lassen, legte er das Besteck zur Seite und betupfte sich den Mund mit der Stoffserviette. Inzwischen kümmerte sich ein Ober um Fee und Daniel und führte sie an einen Tisch ganz in der Nähe. »Ich glaub, ich weiß, wer das ist. Komm, wir sagen guten Tag«, forderte Lars seine Frau auf.
Nele sah auf ihren Teller.
»Aber ich bin doch noch gar nicht fertig.«
»Was kann ich denn dafür, wenn du immer so langsam essen musst?« Lars hatte kein Einsehen. »Außerdem kannst du dir ja noch mal was bestellen. Kostet ja nichts.« Er warf den Kopf in den Nacken und lachte so dröhnend, dass Daniel Norden aufmerksam wurde.
Ein kurzer Blick genügte.
»Da ist wieder das Ehepaar von gestern … Du weißt schon, vom Empire State Building«, raunte er seiner Frau über den Tisch hinweg zu.
»Und den Mann kennst du irgendwoher«, wiederholte Fee das, was ihr Mann ein paar Stunden vorher schon einmal erwähnt hatte. Sie saß mit dem Rücken zu dem Ehepaar.
»Und er mich auch. Er kommt gerade zu uns an den Tisch«, erklärte Daniel seiner Frau das, was sie nicht sehen konnte.
Gleichzeitig setzte er ein Lächeln auf, und nur ein paar Augenblicke später trat Lars an den Tisch.
»Bitte entschuldigen Sie die Störung, aber ich denke schon seit gestern darüber nach, woher ich Sie kenne«, kam er nach einer kurzen Begrüßung sofort auf den Punkt.
Daniel musterte ihn lächelnd. Sein Kopf arbeitete auf Hochtouren. Inzwischen hatte Nele ihr Essen im Stich gelassen und war ihrem Mann gefolgt. Schüchtern ließ sie sich vorstellen. Sie war es schließlich auch, die den entscheidenden Hinweis gab.
»Norden?«, fragte sie, als sie den Namen des Ehepaares hörte. »Sind Sie die Eltern von Felix Norden?«
Verdutzt sah Lars von einem zum anderen.
»Lilli und Felix haben sich heute kurz vorm Ablegen in der Poolbar kennengelernt. Ein sehr netter, junger Mann«, erklärte Nele in die Runde.
»Auf den ersten Blick mit Sicherheit«, erwiderte Fee und schmunzelte zum Zeichen, dass ihre Bemerkung nicht ernst gemeint war. »Aber Sie sollten Ihre Tochter warnen. Er hat es faustdick hinter den Ohren.«
»Welcher Teenie nicht?« Nele lachte und Fee mit ihr. Die beiden Frauen waren sich auf Anhieb sympathisch. »Manchmal denke ich, dass Arztkinder besonders durchtrieben sind.«
Das war das Stichwort für Lars. Seine Miene leuchtete auf.
»Arzt? Natürlich … Dr. Norden, Daniel Norden … die Medizinmesse in Düsseldorf. Wir haben uns bei einer Diskussionsrunde kennengelernt. Sie haben einen fantastischen Vortrag über das Steven-Johnson-Syndrom gehalten.«
»Der war leider geklaut«, gestand Daniel offen. »Nach Fees Erkrankung hat mein Sohn seine Doktorarbeit über dieses Thema geschrieben.
»Der Sohn hat das Talent mit Sicherheit vom Vater geerbt«, lobte Dr. Forberg großzügig. »Ich wäre ja froh, wenn sich unsere Tochter auch für Medizin interessieren würde. Aber Lilli hat sich in den Kopf gesetzt, Anwältin zu werden und sich für die Rechte der Enterbten und Unterdrückten einzusetzen.« Der Spott in seiner Stimme war nicht zu überhören.
»Ein ehrgeiziges Ziel«, schlug sich Fee auf Lillis Seite. »Meines Wissens ist Jura ein sehr trockenes Studium. Man