muss ich mir genauer ansehen«, urteilte er. »Hast du noch mehr Prellungen?«
Nele wagte es kaum, ihm in die Augen zu sehen, und nickte.
»Auf dem Bauch und dem Oberkörper«, gestand sie so leise, dass Daniel sie kaum verstand.
»Gut. Gehen wir rüber ins Ultraschallzimmer. Ich möchte mir das genauer ansehen.« Er nahm sie sanft am Arm.
Nele biss die Zähne zusammen und ließ sich über den Flur in einen anderen Raum führen. Er war genauso behaglich eingerichtet wie das Sprechzimmer. Der Boden aus Holzimitat passte perfekt zu den in Weiß und Holz gehaltenen Möbeln. Kunstdrucke an den Wänden ließen sie an ein Wohnzimmer denken.
Die Atmosphäre verfehlte ihre Wirkung nicht, und Neles aufgeregt schlagendes Herz beruhigte sich ein wenig. Hier, bei Daniel und ganz in der Nähe ihrer Freundin Fee war sie in Sicherheit. Mit diesem Gedanken legte sie sich auf die Liege und zog das Spaghettishirt hoch.
Daniel hielt die Luft an.
»Du meine Güte, da hat La … da hast du ja ganze Arbeit geleistet«, konnte er sich gerade noch zurückhalten. »Hoffentlich hast du keine inneren Verletzungen.« Er griff nach einer Plastikflasche, die neben dem Ultraschallgerät in einer Halterung stand. »Vorsicht, jetzt wird es kalt.«
»Keine Angst. Ich spring dir schon nicht von der Liege. Das ist ja nicht das erste Mal, dass ich Ultraschall bekomme«, versuchte Nele, die Stimmung aufzulockern.
Es gelang ihr nicht, die Falte zwischen den Augen des Arztes zu glätten. Ganz im Gegenteil, sie wurde nur noch tiefer, während Dr. Norden – den konzentrierten Blick auf den Monitor gerichtet – mit dem Schallkopf über ihren malträtierten Leib fuhr. Er sah so ernst aus, dass sie es wieder mit der Angst zu tun bekam.
»Was ist? Fehlt mir was Schlimmes?« Ihre Stimme zitterte.
»Kommt drauf an.« Im Normalfall war eine Schwangerschaft für Daniel Norden etwas Erfreuliches. Ob das in Neles Fall auch so war, wagte er zu bezweifeln. Um auch wirklich ganz sicher zu gehen, kontrollierte er seinen Befund noch einmal. Aber es gab keinen Zweifel. »Ist dir in letzter Zeit nichts aufgefallen?«, versuchte er herauszufinden, ob sie wirklich ahnungslos war. »Bist du müder als sonst? Ist dir öfter mal übel oder schwindlig?«
Nele sah den Arzt aus großen Augen an. Dann lachte sie unsicher.
»Das klingt ja ganz so, als ob ich schwanger …« Mitten im Satz hielt sie inne. Daniels Miene sprach Bände, und Nele spürte, wie ihr alle Farbe aus dem Gesicht wich. Sie war so schockiert, dass sie die aufgeregten Stimmen überhörte, die vom Tresen bis ins Ultraschallzimmer drangen. »Du meinst, ich bin … ich bin …«
Daniel nickte.
»Du bekommst ein Kind.« Als er sah, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, wurde sein Herz schwer wie Blei. »Das ist keine gute Nachricht, was?«
»Ich hab mir immer ein eigenes Kind gewünscht«, stammelte sie.
Die aufgebrachten Stimmen kamen näher.
Endlich nahm auch Nele sie wahr und packte Daniels Handgelenk.
»Daniel, Lars darf das auf keinen Fall erfahren. Sonst bin ich tot!«
Ehe er es versprechen konnte, wurde die Tür aufgerissen, und Lars tauchte auf, dicht gefolgt von Fee. Sie hatte noch versucht, ihn zurückzuhalten. Sein Blick flog von Daniel zu seiner Frau auf der Liege.
»Was machst du hier? Was soll das überhaupt werden?«, schnaubte er mit vor Wut verzerrtem Gesicht.
»Ich hab deine Frau untersucht«, erklärte Daniel in aller Ruhe und stellte sich schützend vor Nele. »Sie hat Schmerzen. Das weißt du doch.«
Doch Lars achtete gar nicht auf ihn. Mit dem Gipsarm schob er den Kollegen kurzerhand beiseite.
»Zieh dich an!«, herrschte er seine Frau an.
Als Fee sah, dass Nele ihrem Mann gehorchte, schlug sie die Hand vor den Mund.
»Du musst nicht mit ihm gehen. Er kann dich zu nichts zwingen«, rief sie Nele zu.
Lars fuhr zu ihr herum.
»Du hältst den Mund!«, verlangte er scharf.
Sein gut geschnittenes Gesicht war eine hässliche Fratze.
Während Nele ihr Oberteil herunter zerrte, liefen ihr Tränen über die Wangen. Hilflos mussten Daniel und Fee mitansehen, wie der Kollege seine Frau an der Hand nahm und aus dem Zimmer zerrte. Nele stolperte hinter ihm her. Krachend fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss.
Wie versteinert stand das Ehepaar Norden da und lauschte auf die Schritte, die langsam verhallten. Erst als es still war, erwachte Fee zu neuem Leben.
»Bitte, Dan, sag mir, dass das ein Albtraum war«, verlangte sie von ihrem Mann.
Doch diesen Gefallen konnte Daniel ihr beim besten Willen nicht tun.
»Ich fürchte, das kann ich nicht«, musste er zugeben und zog seine Frau an sich, als wollte er sich an ihrer Wärme und Liebe trösten.
*
»Schau mal, da ist eine Seilbahn!« Aufgeregt wie ein kleines Kind rutschte Lilli auf der Rückbank des Taxis herum, die sie sich mit Felix teilte. Sie waren auf dem Weg vom Flughafen von Puerto Plata zum Hafen, um auf die ›Carribean Pearl‹ zurückzukehren. »Haben wir noch Zeit, damit zu fahren?« Sie packte ihren Begleiter am Arm und deutete auf die bunte Gondel, die an unsichtbaren Seilen in die Höhe schwebte.
Felix konnte nur staunen über die wundersame Wandlung seiner Begleiterin. Hatte Lilli ihn zu Beginn ihrer Bekanntschaft kaum beachtet und entweder in spöttischem Tonfall oder gar nicht mit ihm gesprochen, sprudelte sie jetzt förmlich über vor Mitteilungsbedürfnis.
»Tut mir leid.« Ein Blick auf sein Handy hatte ihm gezeigt, dass er ihr diesen Wunsch aber abschlagen musste. Selbst wenn er damit riskierte, ihrem Übermut einen Dämpfer zu verpassen. »Aber wir sollten lieber kein weiteres Risiko eingehen und das Schiff noch mal verpassen.«
»Iiiiihhh!«, kreischte Lilli auf und sah ihn an. »Seit wann ist der Weltmeister im Kirschkernwettspucken denn so vernünftig?«, machte sie sich über ihn lustig.
»Es war nur der erste Platz in der dritten Klasse, nicht die Weltmeisterschaft«, korrigierte Felix sie und grinste schief. »Ich hoffe, du magst mich jetzt noch.«
»Nicht, wenn du so pragmatisch bist.« Lilli zog eine Schnute und verschränkte die Arme vor dem Oberkörper.
Nur mit Mühe konnte Felix der Versuchung widerstehen, sie an sich zu ziehen und einfach zu küssen. Da er damit aber Gefahr lief, sie für immer und ewig zu vertreiben, ließ er es notgedrungen bleiben. Dieses Risiko wollte er nicht eingehen und lieber weiter hartnäckig, aber behutsam seine Eroberungsstrategie vorantreiben. Fieberhaft dachte er über eine Alternative nach, mit der er sie versöhnen konnte.
»Wie wär’s mit einer Runde Klettergarten an Bord? Wenn ich mich nicht irre, gibt es da auch so eine kleine Seilbahn, mit der man sich über einen Abgrund schwingen muss.«
Nachdenklich kaute Lilli auf der Unterlippe.
»Also gut. Aber nur, weil du es bist.« Schon lachte sie wieder und umarmte ihn kurz, um dann wieder aus dem Fenster zu sehen.
Inzwischen näherten sie sich dem Hafen. Als das Taxi nur wenige Minuten später um eine Ecke bog, kam die ›Carribean Pearl‹ in Sicht.
»Da wären wir wieder!« Ganz Gentleman, wie er es von seinem Vater abgeschaut hatte, hielt Felix seiner Begleiterin die Tür auf. Er bezahlte den Fahrer und schulterte die Strandtasche, um an Bord zurückzukehren.
»Schade eigentlich, dass unser kleines Abenteuer so schnell zu Ende ist«, sprach Lilli das aus, was ihm durch den Kopf ging. Auf der Gangway drehte sie sich zu ihm um. »Wir müssen unbedingt noch mal zusammen zurückkommen und die Stadt anschauen.«
Vor Freude machte Felix’ Herz einen Satz.