Patricia Vandenberg

Dr. Norden Staffel 7 – Arztroman


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sie ihm schon wieder entwischt. Leichtfüßig eilte Lilli auf das Sicherheitspersonal zu, das die Landgänger oben auf der Gangway zurück an Bord begrüßte und die Papiere prüfte. Die Rückkehr der beiden jungen Leute sorgte für einiges Aufsehen.

      »Da sind Sie ja wieder!« Der Beamte sah sie tadelnd an. »Hoffentlich haben Sie aus dieser Erfahrung eine Lehre gezogen«, fühlte er sich bemüßigt, die beiden jungen Leute zu maßregeln.

      »O ja!«, konnte sich Felix eine freche Antwort nicht verkneifen. »Wir haben gelernt, dass es toll ist, mal aus dem Programm auszubrechen.«

      Vor Empörung schnappte der Beamte nach Luft. Diese Gelegenheit ergriff Felix. Hand in Hand und ausgelassen lachend lief er mit Lilli davon.

      Im Aufzug fuhren die beiden jungen Leute nach oben.

      »Ich brauch jetzt unbedingt eine Dusche und frische Klamotten«, seufzte Lilli.

      Nach und nach wich die Aufregung und machte einer angenehmen Müdigkeit Platz.

      Felix betrachtete seine Begleiterin kritisch.

      »Du siehst aus wie der junge Morgen.«

      »Schleimer!«, entfuhr es ihr. Dabei lachte sie. »Um mich zu beeindrucken, musst du dir schon was Originelleres einfallen lassen«, verlangte sie. »So was wie gestern zum Beispiel.« Der Aufzug hielt. Während sich die Türen öffneten, stellte Lilli sich auf die Zehenspitzen und drückte Felix einen schnellen Kuss auf die Wange. »Danke für dieses tolle Abenteuer! Wir sehen uns heute Nachmittag im Kletterpark.«

      Verdutzt stand Felix da und versuchte noch zu verstehen, ob er wachte oder träumte, als Lilli leichtfüßig über den Gang in Richtung ihrer Juniorsuite davon lief. Erst als sich die Türen wieder vor ihm schließen wollten, erwachte er aus seiner Versteinerung und stieg ebenfalls aus. Inzwischen hatte er seine Meinung geändert und wollte genau wie Lilli eine Dusche nehmen, beschloss aber, vorher einen Abstecher zu seinen Eltern zu machen.

      »Mum? Bist du da?« Er klopfte an die Kabinentür, bekam aber keine Antwort. »Typisch«, murmelte er kopfschüttelnd. »Kaum lässt man sie mal aus den Augen, schon machen sie, was sie wollen.« Da Felix keine Ahnung hatte, wo er seine Mutter suchen sollte, und seinen Vater nicht bei der Arbeit stören wollte, blieb ihm nichts anderes übrig, als Fee eine Nachricht auf dem Handy zu schreiben. Als das erledigt war, ging er in seine Suite.

      Während er auf dem Bett lag und auf eine Antwort wartete, legte sich die Müdigkeit wie eine Decke auf seine Augen. In seinen Traum mischten sich dumpfe Geräusche und aufgeregte Stimmen, zu weit entfernt, um sie einordnen zu können, aber nah genug, um sie dennoch wahr zu nehmen. Oder waren sie doch nur Teil eines merkwürdigen Traums? Ehe sich Felix diese Frage stellen konnte, war er auch schon eingeschlafen und träumte sich zurück zu Lilli.

      *

      Nachdem Lars Forberg seine Frau aus dem Hospital gezerrt hatte, war Felicitas Norden noch eine Weile bei ihrem Mann geblieben. Ehe sie aber Gelegenheit gehabt hatten, die Situation zu reflektieren, war ein neuer Patient ins Hospital gekommen, um die Hilfe des Arztes zu suchen. So war Fee schließlich nichts anderes übrig geblieben, als den Rückzug anzutreten.

      In Gedanken versunken fuhr sie mit dem Aufzug ganz hinauf auf Deck 14. Dort erhoffte sie sich Ablenkung und Zerstreuung. Noch immer lag das Schiff am Hafen von Puerto Plata. Einen Augenblick erwog die Ärztin, ein paar Stunden an Land zu gehen, um sich auf der Insel umzusehen, doch allein hatte sie keine Lust dazu. Andererseits wollte sie auch nicht mit ihren Gedanken an Nele allein sein, der sie ohnehin nicht helfen konnte. Sie haderte noch mit sich, als sie auf eine Gestalt aufmerksam wurde, die allein an der Reling lehnte.

      »Herr Hartung!« Sofort erkannte Felicitas den Mann, mit dem sie sich kurz in der Ambulanz unterhalten hatte. »Wollten Sie nicht einen Landgang machen?«

      Als Jakob die Arztfrau erkannte, erhellte sich seine Miene.

      »Ach, wissen Sie, allein macht das keinen Spaß.«

      Felicitas Norden musterte den unglücklichen jungen Mann und dachte kurz nach. Daniel würde bis abends im Hospital beschäftigt sein. Ihr Sohn Felix trieb sich weiß Gott wo herum. Und an die Forbergs wollte sie erst gar nicht denken.

      »Ich bin auch allein«, hörte sie sich sagen, bevor sie ihre Überlegungen zu Ende gebracht hatte. »Warum sehen wir uns nicht zusammen ein bisschen um?«

      Über diesen Vorschlag dachte Jakob nicht lange nach.

      »Einverstanden. Ich hol nur schnell meine Sachen.«

      Fee, die ihre Handtasche dabei hatte, versprach zu warten und nutzte die Zeit, um die Assistentin der Ambulanz von ihrem Vorhaben zu unterrichten und zu bitten, diese Nachricht an Daniel weiterzuleiten.

      Nur eine Viertelstunde später fand sie sich gemeinsam mit Jakob in einem Taxi wieder, das sie in die Innenstadt brachte.

      Nach und nach taute ihr Begleiter auf und zeigte sich von seiner geselligen Seite. Wenn Fee Zweifel gehabt hatte, ob ihre Spontaneität richtig gewesen war, vergaß sie sie spätestens, als sie neben Jakob durch den Stadtkern mit seiner schönen viktorianischen Architektur schlenderte. Er war unterhaltsam und witzig und offenbar viel lebenslustiger, als seine meist deprimierte Miene verriet.

      »Wie schön! Sehen Sie nur die Häuser!« Begeistert zeigte sie auf die Holzhäuser mit ihren großen, teils überdachten Terrassen. Sie präsentierten sich in einer farbigen Vielfalt von gelb über rot und grün bis hin zu intensivem Blau. »Diese Farben! Und die Holzschnitzereien sind fantastisch.« Sie wusste gar nicht, was sie zuerst bewundern sollte.

      Jakob lachte.

      »Wie wär’s mit einem Tänzchen?«, ließ sich der verschmähte Liebhaber von ihrer Begeisterung anstecken und streckte die Arme nach Fee aus, um mitten auf der Straße zu den allgegenwärtigen Merengue-Klängen das Tanzbein zu schwingen. Nur zu gern ließ sich die Ärztin mitreißen und beendete die Tanzeinlage schließlich mit einer geschickten Drehung. »Erbarmen mit einer alten Frau!«, lachte sie atemlos.

      Jakob lachte mit ihr und schüttelte den Kopf. In seinem Gesicht stand offene Bewunderung.

      »Von wegen alte Frau. Sie sind keinen Tag älter als 25. Da kann sich manche Junge eine Scheibe abschneiden«, lobte er überschwänglich.

      Ehe sie weitergingen, kaufte er eine Flasche Wasser, die er Fee mit großer Geste überreichte. Lachend und plaudernd setzten sie ihren Weg fort. Je länger Felicitas mit dem charmanten Besitzer einer Schreinerei unterwegs war, umso weniger verstand sie Valerie, die seinem Werben so hartnäckig widerstand. Zwar kannte sie die Geschichte aus dem Munde ihres Mannes, wollte sie aber unbedingt noch einmal von Jakob selbst hören, um sich ein möglichst objektives Urteil bilden zu können.

      »Valerie scheint ein sehr entschlossener Mensch zu sein«, schnitt sie das Thema an, als sie sich in einem Straßencafé ausruhten. »So hartnäckig, wie sie Ihnen widersteht …« Sie sah zu Jakob hinüber und versuchte, seine Gedanken zu ergründen.

      Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, stimmte ihn der Gedanke an Valerie traurig.

      »Eigentlich kann ich es ihr nicht verdenken, dass sie nichts mehr mit mir zu tun haben will. Umgekehrt würde es mir vielleicht genauso gehen.«

      Diese Selbsterkenntnis kam so überraschend, dass sich Fee an ihrem Kaffee verschluckte.

      »Wie bitte? Warum sind Sie dann hier? Immerhin kostet Sie diese Reise ein Vermögen«, krächzte sie, als sie sich von ihrem Hustenanfall erholt hatte.

      »Mein ganzes Erspartes ist draufgegangen«, gestand Jakob und drehte sein Glas in den Händen. Die Eiswürfel klirrten leise.

      »Warum haben Sie das getan?« Fees Frage war berechtigt.

      »Weil sie hier nicht davon laufen kann. Und weil ich immer noch hoffe, dass sie mir endlich zuhört. Dass ich ihr erklären kann, was wirklich passiert ist.«

      Allmählich wurde die Geschichte interessant.

      »Ich kenne die Version, die Valerie meinem Mann erzählt hat. Dass Sie kurz vor der Hochzeit kalte