Ecke, die Hände tief in den Hosentaschen.
Unterm nächsten Haustor griff Jeß hastig in die Tasche: »Zwanzig Emm! Nich mehr? Alter Schnorrer!« und entfernte sich mit geknickter Oberlippe.
In der Friedrichstraße wäre er beinahe Ursache einer schweren Verkehrsstörung geworden. Lola war ihm begegnet und derart von seinem Äußern hingerissen, daß sie eine Ode auf ihn kiekste.
Jeß entzog sich mit Lola den Huldigungen der Menge durch Benützung des Café Keck.
Hier gab Lola ihm zu trinken, tröstete Fritz, den Kellner, der sonst und überhaupt allerhand für sie übrig hatte, und nahm den um ein Erkleckliches heiterer gewordenen Jeß in das Nollendorf-Kasino mit: »Da is seit jestern abends noch immer nich heute.«
Lola landete ihn an einem weinbegossenen und in jeder Hinsicht schwer besetzten Tisch, allwo alsbald auf Empfehlung Lolas hin eine ältere Dame sich innig mit ihm beschäftigte und ihn nach einer Stunde in ihre Wohnung mitnahm …
Daselbst klingelte Lola nach einiger Zeit an.
Worauf die ältere Dame ein Auto kommen ließ und Jeß flehentlich bat, ein kleines halbes Stündchen zu warten.
Inzwischen erschien Lola, mußte aber ihren lieblichen Plan aufgeben, da Jeß transportunfähig war und überhaupt in einem Zustand …
Lola war bereits wütend unter der Tür, als Jeß ihr matt zurief, sie möchte doch sofort an Mannie Hobster Café Kaminke, Moltkestraße 18, eine Stadtdepesche aufgeben. Hobster solle nicht auf ihn warten, er sei verhindert …
Lola verlangte Geld, empfing zwanzig Mark und tramte, mißtrauisch und nicht faul, ins Café Kaminke.
Augenblicks war sie von Mannies Kopfhaltung begeistert und berichtete ihm alles.
Mannie holte sich unterdessen finster eine Zigarette vom linken Ohr, zuckte seine äußerst schadhafte Mütze kühner darauf und pfiff nachdenklich über den Tisch hinweg.
Lola schwieg ehrerbietig und hing träumerisch an seinen Zügen.
»Is jut!« ließ Mannie sich endlich vernehmen. »Du jehst mit, vaschteste! Mutter zahlen!«
Den Zwanzigmarkschein, den Mutter Kaminke von Lola erhielt, nahm Mannie plötzlich mit einem schnellen Griff an sich und hielt ihn gegen das Fenster: »Det hab ik jewußt. Det is meiner! Mir jibste raus!«
Auf der Straße lehnte sich Mannie sehr südlich an das Haus und senkte den Kopf unwahrscheinlich tief: »Jetzt kutschierste Volldampf zu Moses, Hallesches Tor 6, Moses Butterig Antiquitäten und …« Er nahm sich Lolas Handgelenk und beflüsterte sie mit dem Weiteren …
Während Lola Moses Butterig durch dick applizierte Zärtlichkeiten veranlaßte, die Ladentür abzuschließen und mit ihr in den Nebenraum sich zurückzuziehen, velozipedierte Mannie vor die Wohnung der älteren Dame.
Im Gesindeeingang versorgte er sein Fahrrad und wünschte, als ihm die Köchin öffnete, die Elemente im Abort zu kontrollieren.
Nachdem er dieses, sich anderweitig erfolgreich betätigend, markiert hatte, schlich er unbemerkt in die vorderen Räume, füllte den mitgebrachten Sack mit dem Wertvollsten und versteckte ihn im Vorraum.
Hierauf begab er sich in das grabesstille Schlafzimmer, weckte Jeß und zwang ihn durch die entsetzt gemachte Mitteilung, Moses sei auf den Schwindel gekommen und habe die Polizei verständigt, sich sofort anzukleiden und zu verschwinden.
Kaum war Jeß die Treppe hinunter, als die Dame des Hauses keuchend anlangte. Hinter einer Portiere verborgen, fing Mannie sie kunstgerecht ab, knebelte sie, legte sie, nach kurzem Kampf, ins Bett, an das er sie festband, und telephonierte Moses Butterig im Namen der Polizei, die vermißten Wertgegenstände hätten sich in der Wohnung von Frau Anna Heißwamme, Landshuter Straße 33, vorgefunden und müßten sofort abgeholt werden.
Bald darauf hielt Mannie vor dem Laden Moses Butterigs, aus dem ihm ein zarter Frauenarm ein prall gefülltes Tischtuch reichte. Er schulterte es schwungvoll und raste davon, taumelnd unter der doppelten Last …
Abends klopfte Jeß, sehr veränderten Aussehens, an Mannies Klappe.
Augenblicklich verstummten gewisse, Jeß sehr bekannte Geräusche.
»Vaflucht!« machte Mannie.
»Mann, det jibt ‘n Unjlück!« hauchte Lola, die Bettdecke über den Kopf ziehend.
»Laß jut sin. Der wird noch danke sajen!«
Mannie öffnete halbnackt.
Jeß besah sich schweigend das Interieur. Dann ließ er sich langsam auf einen klappernden Stuhl nieder.
»Du kannst von Jlück sajen,« begann Mannie frech, »det sie dir noch nich jeklemmt haben.«
Jeß fuhr auf.
»Halt die Fresse, Kaffer! Wat biste nich zu Moses? Aba ik habe die Tüte schon jeölt. Moses kann nich mehr muh machen, sonst haut ihn seine Olle krumm, von wejen die Lola, vaschteste?«
Jeß schwieg verächtlich und zuckte wild die Brauen.
Lola nestelte in ihren arg mitgenommenen Haaren.
»Ik habe jar nich jewußt, dette so jut führen kannst, Lola.« Jeß holte sich eine Zigarre aus dem Hut. »Wie ne Lokomotive rangschierste.«
»Kaffer! Ohne die Lola wärste längst jeklemmt.«
»Ohne die Lola, is Obst! Bei Moses ham se jekratzt und bei die Heißwamme ham se ooch jekratzt.«
»Wer: ham se, he?« Mannie ließ einen schweren Blick los.
»Wer?« höhnte Jeß unbekümmert weiter. »Is jut! Ihr zwee beede. Wat die Lola mit mir nich machen konnte, weil ik zu bedusselt war und so, det hat se mit dir jemacht, und wenn ik nich so bedusselt jewesen wäre, hätt ik mir ooch von dir nich so jlatt aus die Bude setzen lassen. Aba unten bloß man an die Luft, roch mir det allens schon obafaul, und ik bin umjekehrt und habe dir jesehn, wie de ans Fenster jetanzt bist mit die olle Heißwamme und wie de mits Rad abjewackelt bist, und denn habe ik ooch schon jehört, dette bei Moses vorjefahren bist, jawoll, det habe ik! Und nu jib mich mal wat zu trinken, Freundchen!«
»Laß jut sin!« Lola quirlte ihre Hand aus dem Bett hinüber auf die Jeßens. »Wärste jleich zu Moses, war allens jut jewesen und häste mit die olle Anna nich so jesoffen und so war ooch allens jut jewesen.«
Jeß schmiß ihr die eigene Hand aufs Gesicht.
Mannie, der seine ohnedies spärliche Kleidung inzwischen komplettiert hatte, verschwand und kam nicht wieder.
Nach zehn Minuten eines prasselnden Gesprächs bespien sich Jeß und Lola, nach weiteren zehn Minuten küßten sie einander, und als Mannie, der unterdessen seinen endgültigen Abgang geordnet hatte, vorsichtig sich an die Tür schlich, um sich seiner Sache zu vergewissern, hörte er gewisse, ihm sehr bekannte Geräusche …
›Gleich wird er danke sajen! Und morjen jibts de Hochzeitsreise ins Loch, vaschteste!‹ Mannie entfernte sich lautlos.
Peinliche Betriebsstörung
»Ist Lusi epileptisch?« Bovier saß plötzlich wie seit einer Stunde am Tisch. Er hatte traumhafte Übung darin. Es fand stets so rasch und geräuschlos statt, daß Rey immer wieder lächeln mußte.
»Nicht daß ich wüßte.« Rey zuckte neugierig sein Pincenez herunter.
»Du exhibitionierst mit deiner Nase.« Boviers haarige Hände wanderten weich über seine fettig glitzernde Glatze.
»Seit wann Komplimente?« Rey gähnte. »Aber bei Bedarf macht Lusi auch Epileptisches. Entre nous: wenn du von ihr Derartiges serviert bekommen hast, bieg diese klinischen Beziehungen ab. Das sind semitische Chichis. Oder kannst du mit dieser Dame bezahlen?«