Er ist kein Substantiv, er ist ein Verb. Er entwickelt sich immerzu. Darum sprechen die Hindus vom tausendblättrigen Lotus – tausend steht einfach für unaufhörlich. Es ist symbolisch für Unaufhörlichkeit. Blütenblätter über Blütenblätter über Blütenblätter öffnen sich, immerzu, ohne Ende.
Die Reise beginnt, aber endet nie. Es ist eine ewige Pilgerreise.
Avalokita, der heilige Herr und Bodhisattva,
zog auf der tiefsinnigen Bahn
der transzendenten Weisheit dahin.
Er strömt wie ein Fluss in die Welt des Jenseitigen ein. Er wird „der Heilige Herr und Bodhisattva“ genannt. Wieder muss man an das Sanskrit-Wort erinnern. Das Sanskrit-Wort ist Iswara, was hier als ‚Heiliger Herr‘ übersetzt wird. Iswara bedeutet: der, der absolut reich geworden ist, aber aus eigenem Reichtum heraus, dessen Reichtümer seiner eigenen Natur entstammen; niemand kann sie ihm wegnehmen, niemand kann sie stehlen, sie können nicht verloren gehen. All die Reichtümer, die ihr habt, können verloren werden, können gestohlen werden, werden verloren gehen – eines Tages wird der Tod kommen und wird alles wegnehmen. Wer zu jenem inneren Diamanten vorgedrungen ist, der das eigene Sein ist, dem kann der Tod ihn nicht wegnehmen. Der Tod ist für ihn irrelevant. Er kann nicht gestohlen werden, er kann nicht verloren gehen. Dann ist man zu einem Iswara geworden, dann ist man ein ‚heiliger Herr‘ geworden. Dann ist man Bhagavan geworden.
Das Wort Bhagavan bedeutet einfach ‚der Gesegnete‘. Dann ist man zum Gesegneten geworden. Jetzt gehört ihm seine Gesegnetheit auf Ewigkeit; sie hängt von nichts ab, sie ist unabhängig. Sie ist durch nichts verursacht, also kann sie nicht fortgenommen werden. Sie ist unverursacht, sie ist das eigene, unveräußerliche Wesen.
Und er wird Bodhisattva genannt. Bodhisattva ist ein sehr schöner Begriff im Buddhismus. Bodhisattva bedeutet: einer, der zum Buddha geworden ist, sich aber noch in der Welt von Zeit und Raum aufhält, um anderen zu helfen. Bodhisattva bedeutet: im Grunde ein Buddha – jederzeit bereit, sich aufzugeben und zu verschwinden, bereit, ins Nirvana einzugehen. Nichts bleibt mehr zu lösen, all seine Probleme sind gelöst. Es besteht keine Notwendigkeit mehr für ihn, hier zu sein, aber er ist immer noch hier. Es gibt hier nichts mehr zu lernen, aber er ist immer noch hier. Und er hält sich in der Körperform, in der Verstandesform – er behält die ganze Leiter. Er ist ins Jenseits gegangen, aber er behält die ganze Leiter – um zu helfen, aus Mitgefühl.
Es geht die Geschichte, als Buddha die Tore zum Höchsten erreichte – Nirvana … Die Tore wurden ihm aufgetan, die Engel tanzten und sangen, um ihn zu empfangen, denn es kommt selten vor, nur alle Jahrmillionen, dass einmal ein Mensch zum Buddha wird. Die Tore öffnen sich, und dieser Tag ist natürlich ein großer Tag des Feierns. All die alten Buddhas hatten sich versammelt, und es gab großen Jubel, und es regnete Blumen, und es spielte Musik, und alles war geschmückt – es war ein Tag der Festlichkeit.
Aber Buddha trat nicht ein. Und die alten Buddhas, alle mit gefalteten Händen, baten ihn, ermunterten ihn einzutreten: „Was steht er da draußen?“ Und Buddha soll gesagt haben: „Bis nicht auch alle anderen, die nach mir kommen werden, eingetreten sind, werde ich nicht eintreten. Ich werde mich draußen halten, denn wenn ich erst einmal reingekommen bin, werde ich verschwinden. Dann werde ich diesen Menschen keine Hilfe mehr sein. Ich sehe Millionen von Menschen im Dunkeln tappen und stolpern. Ich bin auf die gleiche Weise herumgetappt, Millionen von Leben lang. Ich möchte ihnen meine Hand geben. Ihr aber schließt jetzt bitte das Tor. Wenn alle da sind, will ich selbst anklopfen, dann mögt ihr mich in Empfang nehmen.“
Eine sehr schöne Geschichte …
Genau das nennt man den Zustand des Bodhisattvas – einer, der auf dem Sprung ist zu verschwinden, sich aber noch zurückhält – im Körper, im Verstand, in der Welt, in Zeit und Raum –um anderen zu helfen. Buddha sagt: Meditation ist alles, was du brauchst, um deine Probleme zu lösen, aber eines fehlt ihr: Mitgefühl. Wenn auch das Mitgefühl da ist, dann kannst du anderen helfen, ihre Probleme zu lösen.
Er sagt: Meditation ist pures Gold; sie hat ihre eigene Vollkommenheit. Aber wenn Mitgefühl da ist, dann bekommt das Gold auch noch einen Duft, dann … eine höhere Art Vollkommenheit, eine neue Art Vollkommenheit, duftendes Gold! Gold ist an sich genug – sehr wertvoll; aber mit Mitgefühl bekommt Meditation einen Duft.
Mitgefühl ist es, was einen Buddha hält, als Bodhisattva da zu bleiben, genau auf der Grenzlinie. Ja, ein paar Tage, ein paar Jahre lang kann man sich halten, aber nicht allzu lange – weil alles sich nach und nach von allein auflöst. Wenn du nicht an deinen Körper gebunden bist, wirst du aus ihm entwurzelt. Du kannst manchmal hineingehen, mit Mühe, du kannst den Körper benutzen, mit Mühe, aber du bist nicht länger dort zu Hause. Wenn du nicht länger im Verstand bist, kannst du ihn noch manchmal benutzen, aber er funktioniert nicht mehr so gut, wie er früher funktioniert hat. Du fließt nicht mehr in ihm. Wenn du ihn nicht gerade benutzt, liegt er brach. Er ist eine Maschine, er fängt an zu rosten.
Wenn ein Mensch auf der siebten Sprosse angelangt ist, kann er ein paar Tage, ein paar Jahre lang noch die sechs anderen Sprossen benutzen. Er kann zurückgehen und sie benutzen, aber nach und nach fangen sie an zu brechen. Nach und nach fangen sie an zu sterben. Ein Bodhisattva kann nur noch ein einziges Leben hier sein – höchstens. Danach muss er sich auflösen, weil die Maschine sich auflöst.
Aber alle, die je angelangt sind, haben, so gut sie konnten, versucht, die Körper-Verstand-Maschine einzusetzen, um denjenigen zu helfen, die im Körper und im Verstand sind, um denen zu helfen, die nur die Sprache des Körpers und des Verstandes verstehen, um den Jüngern zu helfen.
Avalokita, der heilige Herr und Bodhisattva,
zog auf der tiefsinnigen Bahn
der transzendenten Weisheit dahin.
Von der Höhe herabschauend
erkannte er nichts als fünf Haufen,
und er sah,
dass sie in ihrem So-sein leer waren.
Wenn man von dieser Warte aus schaut … Zum Beispiel sagte ich euch eben schon, dass ich den Buddha in euch grüße. Das ist das eine, was man von der Warte des Jenseitigen her sieht: Ich sehe euch als potenzielle Buddhas. Und das andere ist genau dieses: dass ich euch als leere Hülsen sehe. Das, was ihr zu sein glaubt, ist nichts als eine leere Hülse. Der eine glaubt, ein Mann zu sein; das ist eine leere Vorstellung.
Das Bewusstsein ist weder männlich noch weiblich. Jemand glaubt, ein sehr schöner Körper zu sein – dass er schön, stark, dies und jenes ist; das ist eine leere Vorstellung, nur ein Täuschungsmanöver des Egos. Jemand glaubt, sehr viel zu wissen; das ist einfach irrelevant. Sein Hirnmechanismus hat Erinnerungen gespeichert, und er wird von diesen Erinnerungen genarrt. Das sind alles leere Dinge.
Von der Warte des Transzendenten aus sehe ich euch also einerseits als knospende Buddhas, und andererseits sehe ich euch nur als leere Hülsen.
Buddha hat gesagt, dass der Mensch aus fünf Elementen besteht, fünf Skandhas – die alle leer sind. Und durch Mischung dieser fünf entsteht ein Nebenprodukt, das man das Ego, das Selbst nennt. Es ist genau wie die Funktionsweise einer Uhr: Sie tickt immerzu, ihr könnt hinhören, und das Ticken ist da. Ihr könnt die Uhr aufmachen, ihr könnt alle Teile auseinandernehmen, um herauszufinden, woher das Ticken kommt. Wo ist das Ticken? Ihr werdet es nirgendwo finden. Das Ticken ist ein Nebenprodukt. Es ist nur eine Verknüpfung verschiedener Dinge. Verschiedene Dinge haben, solange sie zusammenwirken, ein Ticken zur Folge.
Genau das ist euer Ich – fünf Elemente, die zusammenwirken und dabei das Ticken namens Ich zur Folge haben. Aber es ist leer, es enthält nichts. Wenn ihr hingeht und nach irgendetwas Substanziellem in euch sucht, werdet ihr es nicht finden. Dies ist eine von den tiefsten Intuitionen, Einsichten des Buddha: dass das Leben leer ist, dass das Leben, so wie wir es kennen, leer ist. Und dass das Leben auch voll ist – aber wir nichts darüber wissen. Ausgehend von dieser Leere müsst ihr zu einer Fülle weitergehen, aber diese Fülle ist im Moment unvorstellbar – weil diese Fülle von der jetzigen Warte aus nur