Osho

DAS HERZ-SUTRA


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die Liebe jeglicher Definition.

      Bald tritt der Verstand auf den Plan, fängt an, alles in die Hand zu nehmen, Besitz von dir zu ergreifen. Du fängst an, von dem Mädchen als ‚deiner Freundin‘ zu denken, du fängst an, ans Heiraten zu denken, du fängst an, von der Frau als ‚deiner Frau‘ zu denken. Nun, das alles sind Dinge: die Freundin, die Ehefrau – das alles sind Dinge. Die Wahrheit ist nicht mehr da, hat sich zurückgezogen. Jetzt werden Dinge wichtiger. Das Definierbare ist sicherer, das Undefinierbare ist unsicher. Du hast angefangen, die Wahrheit zu töten, zu vergiften. Früher oder später wird eine Ehefrau und ein Ehemann da sein – zwei Dinge. Aber die Schönheit ist weg, die Freude ist verschwunden, die Flitterwochen sind vorbei.

      Die Flitterwochen sind exakt in demjenigen Moment vorbei, wo die Liebe zur Beziehung wird. Die Flitterwochen sind sehr kurz, leider; wobei ich nicht von den Flitterwochen spreche, die ihr macht. Die Flitterwochen sind sehr kurz. Vielleicht gab es sie nur für einen einzigen Moment – aber welch eine Reinheit, welch eine kristallklare Reinheit, welch eine Göttlichkeit, welch eine Jenseitigkeit … das kommt aus dem Jenseits, das kommt nicht aus der Zeit. Das gehört nicht dieser profanen Welt an, es ist so etwas wie ein Lichtstrahl, der in ein dunkles Loch fällt. Es kommt aus der transzendentalen Welt. Es ist absolut zutreffend, die Liebe ‚Gott‘ zu nennen. Nirgendwo im gewöhnlichen Leben kommt ihr der Wahrheit näher als in der Liebe.

      Du fragst: „Was ist Wahrheit?“

      Das Fragen muss verschwinden; erst dann erkennst du. Wenn du fragst: „Was ist Wahrheit?“ – was fragst du damit? Wenn ich sage: „A ist die Wahrheit, B ist die Wahrheit, C ist die Wahrheit“, wird das dann die Antwort sein? Wenn ich sage: „A ist die Wahrheit“, dann kann A mit Sicherheit nicht die Wahrheit sein, sondern ist etwas anderes, das ich als Synonym für die Wahrheit gebrauche. Wenn es absolut synonym ist, dann wird es eine Tautologie sein. Dann kann ich auch sagen: „Wahrheit ist Wahrheit“, aber das ist albern, sinnlos. Nichts ist damit gelöst. Wenn es exakt das gleiche ist, wenn A die Wahrheit ist, dann heißt das, dass die Wahrheit die Wahrheit ist. Wenn A etwas anderes ist, nicht exakt die Wahrheit ist, dann verfälsche ich. Dann trifft die Aussage: „A ist die Wahrheit“ nur ungefähr. Und vergiss nicht, da kann es nichts Ungefähres geben. Entweder die Wahrheit ist oder sie ist nicht. Also kann ich nicht sagen: „A ist die Wahrheit.“

      Ich kann nicht einmal sagen: „Gott ist die Wahrheit“, denn wenn Gott die Wahrheit ist, dann ist es wieder eine Tautologie: „Wahrheit ist Wahrheit“. Dann ist damit überhaupt nichts gesagt.

      Wenn Gott etwas anderes ist als die Wahrheit, dann mag zwar etwas damit gesagt sein, aber dann sage ich etwas Unwirkliches. Dann ist Gott eben etwas anderes, wie kann er also die Wahrheit sein? Wenn ich sage, es ist ungefähr, klingt es linguistisch richtig, aber es ist nicht richtig. „Ungefähr“ heißt, da ist eine Lüge, da stimmt etwas nicht. Denn warum sonst ist es nicht hundert Prozent die Wahrheit? Wenn es neunundneunzig Prozent die Wahrheit ist, dann ist etwas da, das nicht die Wahrheit ist. Und Wahrheit und Unwahrheit können nicht zusammen existieren, genausowenig wie Dunkel und Licht zusammen existieren können – denn Dunkelheit ist nichts als Abwesenheit. Abwesenheit und Anwesenheit können nicht koexistieren, Wahrheit und Unwahrheit können nicht koexistieren. Unwahrheit ist nichts als die Abwesenheit von Wahrheit. Es ist also keine Antwort möglich; darum blieb Jesus still.

      Aber wenn ihr es euch mit tiefer Einfühlung anschaut, wenn ihr in die Stille von Jesus hineinschaut, werdet ihr eine Antwort bekommen. Stille ist die Antwort. Jesus sagt damit: „Sei still, so wie ich still bin, und du wirst erkennen“ – ohne es mit Worten zu sagen. Es ist eine Geste, es ist sehr, sehr zenmäßig. In jenem Moment, da Jesus still blieb, kommt er dem Weg des Zen, dem buddhistischen Ansatz, sehr nahe. Er ist ein Buddha in jenem Moment.

      Buddha beantwortete Fragen dieser Art nie. Er hatte eine Liste von elf Fragen. Wo immer er hinkam, machten seine Jünger die Runde und erklärten den Leuten: „Stellt Buddha nie folgende elf Fragen …“ – lauter Fragen, die grundsätzlich sind, Fragen, die wirklich bedeutsam sind. Man konnte alles andere fragen, und Buddha war immer bereit zu antworten. Aber fragt nicht nach dem Grundsätzlichen, weil das Grundsätzliche nur erfahren werden kann. Und die Wahrheit ist das Grundsätzlichste überhaupt; die eigentliche Substanz der Existenz – das ist die Wahrheit. Geh in die Frage hinein. Die Frage ist sinnvoll, sie kommt dir aus dem Herzen: „Was ist Wahrheit?“ – ein Verlangen steigt auf zu erkennen, was ist. Schieb es nicht beiseite, geh da hinein. Wann immer es wieder passiert, Chidvilas, dann schließe die Augen, geh hinein in die Frage. Lass den Fokus der Frage ganz, ganz scharf werden – „Was … ist … Wahrheit?“

      Lass eine große Konzentration aufsteigen. Vergiss alles andere, als hinge dein ganzes Leben von dieser einfachen Frage ab: „Was ist Wahrheit?“ Lass es zu einer Sache von Leben und Tod werden. Und versuche nicht, sie zu beantworten, denn du weißt die Antwort nicht. Zwar mögen Antworten kommen. Der Verstand versucht immer, Antworten zu liefern. Aber sieh die Tatsache, dass du es nicht weißt; deswegen fragst du ja. Wie kann dein Verstand dir also eine Antwort liefern? Der Verstand weiß keine, also sag dem Verstand: „Halt den Mund! Wenn du es wüsstest, wäre die Frage nicht nötig.“ Du weißt es nicht, daher die Frage.

      Lass dich also nicht von den Spielsachen des Verstandes täuschen. Er kommt dir mit Spielsachen. Er sagt: „Sieh doch, in der Bibel steht … Sieh doch, in den Upanishaden steht … hier ist die Antwort! Sieh doch, das hier hat Laotse gesagt, hier ist die Antwort.“ Der Verstand kann dir alle möglichen Schriften hinwerfen. Der Verstand kann zitieren, der Verstand kann dich aus dem Gedächtnis beliefern. Du hast vieles gehört, du hast vieles gelesen, der Verstand schleppt all diese Erinnerungen mit. Er kann mechanisch nachplappern. Aber sieh in dieses Phänomen hinein, dass der Verstand es nicht weiß. Und alles, was der Verstand nachplappert, ist geborgt, und das Geborgte kann nicht helfen.

      An einem Bahnübergang passierte folgendes: Die Schranken waren geschlossen, ein Zug sollte durchkommen, und ein Mann saß in seinem Auto, wartete auf den Zug und las dabei ein Buch. Ein Betrunkener, der zufällig neben den Schranken saß, näherte sich, klopfte an das Fenster des klimatisierten Wagens. Der Mann öffnete das Fenster und sagte: „Was kann ich für dich tun? Brauchst du Hilfe?“

      Der Penner sagte: „Ja, seit zwei Tagen habe ich keinen Bissen gegessen. Können Sie mir zwei Rupien geben? Das wird mir reichen, nur zwei Rupien.“

      Der Mann lachte und sagte: „Verleihe nichts und borg nie Geld!“, zeigte dabei auf sein Buch und sagte: „Shakespeare – Shakespeare sagt nein. Da, sieh!“

      Der Penner zog ein schmuddeliges Paperback aus der Tasche, zeigte auf eine Stelle darin und sagte zu dem Mann: „Verdammtes Arschloch – D.H. Lawrence.“

      Hüte dich vor dem Verstand. Der Verstand zitiert immer nur, der Verstand weiß alles, ohne das geringste zu wissen. Der Verstand ist ein Hochstapler. Sieh in dies Phänomen hinein – das nenne ich Einsicht! Es ist nicht eine Frage des Denkens. Wenn du darüber nachdenkst, ist es wieder nur der Verstand. Du musst ihn bis auf den Grund durchschauen. Du musst tief in das Phänomen selbst hineinschauen – die Funktionsweise des Verstandes, wie der Verstand funktioniert. Er borgt sich hier was und da was, er borgt immer nur und hamstert. Er ist ein Hamsterer, ein Horter von Wissen. Der Verstand wird sehr neunmalklug. Und dann, wenn du irgendwann eine Frage stellst, die wirklich wichtig ist, gibt der Verstand dir eine völlig belanglose Antwort darauf – sinnlos, oberflächlich, Schrott.

      Ein Mann besorgt sich einen Papagei aus dem Zoo-Geschäft. Der Ladenbesitzer versichert ihm, der Vogel werde binnen einer halben Stunde lernen, „Hallo“ zu sagen.

      Zu Hause angekommen, macht er eine Stunde lang dem Papagei „Hallo!“ vor, aber kein Wort von dem Vogel.

      Als er sich in schierer Verzweiflung abwendet, sagt der Vogel: „Kein Anschluss unter dieser Nummer!“

      Ein Papagei ist ein Papagei. Er muss es im Zoo-Geschäft gehört haben. Und dieser Mann war ihm mit seinem ewigen „Hallo! Hallo! Hallo!“ gekommen, und der Vogel hatte zugehört und wollte nur, dass er endlich damit aufhörte. Da fiel ihm ein, dass er „Kein Anschluss unter dieser Nummer“ sagen konnte.

      Du kannst den Verstand immerzu fragen: „Was ist Wahrheit, was ist