an den Saiten, ohne ihnen etwas anderes entlocken zu können als grelle Mißtöne. Jetzt wurde er ärgerlich, legte die Geige auf die Fensterbrüstung, packte den Bogen und begann ihn heftig hin und her zu stoßen, wie ein Steinmetz, der einen Stein sägt. Da auch dieser neue Versuch seine verständnisvollen Ohren nur noch mehr belästigte, so packte er den Bogen mit beiden Händen und schlug aus Leibeskräften auf das unschuldige Instrument, die Quelle von so viel Lust und Wohllaut. Er kam mir vor wie ein Schüler, der einen Kameraden unter sich hat, dem er zur Strafe für eine Niederträchtigkeit schnell, aber wohlgezielt, eine gehörige Tracht Prügel verabfolgt. Nachdem die Geige gerichtet und verurteilt war, setzte sich der Affe auf ihre Trümmer und ergötzte mit einer stumpfsinnigen Freude sich daran, mit dem zerbrochenen Bogen sich durch den blonden Pelz zu fahren.
Seit diesem Tage habe ich das Ehewesen der Prädestinierten niemals mit ansehen können, ohne die meisten Ehemänner mit diesem Orang-Utan zu vergleichen, der die Geige spielen wollte.
Die Liebe ist die melodiöseste aller Harmonien, und eine Ahnung davon ist uns allen angeboren. Die Frau ist ein köstliches Instrument der Lust, aber man muß die erzitternden Saiten kennen, muß lernen, wie es anzusetzen ist, wie mit wechselndem Fingersatz die Töne zu meistern sind.
Wie viele Orangs ... Menschen wollte ich sagen ... verheiraten sich, ohne zu wissen, was eine Frau ist! Wie viele Prädestinierte haben sie behandelt, wie der Affe von Cassan seine Geige! Sie brachen das Herz, das sie nicht verstanden, wie sie das Kleinod, dessen Geheimnis ihnen unbekannt war, schändeten und verachteten. Kinder ihr ganzes Leben lang, scheiden sie aus dem Leben mit leeren Händen – sie haben vegetiert, haben von Liebe und Lust gesprochen, von Ausschweifung und Tugend, wie die Sklaven von der Freiheit sprechen. Fast alle haben sich verheiratet, ohne von der Frau und von der Liebe auch nur die allergeringste Kenntnis zu haben. Sie haben in einem fremden Hause die Tür eingeschlagen und haben verlangt, im Salon eine gute Aufnahme zu finden! Aber der gewöhnlichste Künstler weiß, daß zwischen ihm und seinem Instrument – das doch nur aus Holz oder Elfenbein ist! – eine Art von unerklärbarer Freundschaft besteht. Er weiß aus Erfahrung, daß er Jahre gebraucht hat, um diese geheimnisvolle Beziehung zwischen einem unbelebten Stoff und ihm herzustellen. Er hat nicht beim ersten Versuch alle Freudenquellen und bösen Launen, alle Mängel und Tugenden seines Instruments geahnt. Erst nach langen Studien wird dieses für ihn eine Seele und eine unerschöpfliche Quelle des Wohllauts; wie zwei Freunde lernen sie sich erst nach den tiefsinnigsten Zwiegesprächen kennen.
Kann ein Mensch, der im Leben hockt, wie ein Seminarist in seiner Zelle, die Frau verstehen und dieses wunderbare Noten-Abc lesen lernen? Kann das ein Mann, dessen Beruf es ist, für andere zu denken, über andere zu richten, andere zu regieren, andere zu bestehlen, andere zu ernähren, zu heilen, zu verwunden? Mit einem Wort, können alle unsere Prädestinierten ihre Zeit darauf verwenden, eine Frau zu studieren? Sie verkaufen ihre Zeit – wie sollten sie sie denn aufs Glück verwenden? Das Geld ist ihr Gott. Man kann nicht zwei Herren zugleich dienen. Daher ist denn auch die Welt voll von jungen Frauen, die blaß und schwach, krank und leidend sich durchs Leben schleppen. Die einen leiden an mehr oder minder gefährlichen Erhitzungen, andern ist das grausame Los beschieden, von mehr oder minder heftigen Nervenzufällen heimgesucht zu werden. Die Ehemänner aller dieser Frauen sind Dummköpfe und Prädestinierte. Sie haben sich ihr Unglück selber bereitet und haben darauf eine Sorgfalt verwandt, womit ein Ehekünstler die köstlichen und lange blühenden Blumen der Wonne zur Entfaltung gebracht hätte. Die Zeit, die ein Dummkopf darauf verwendet, sein eignes Glück zu vernichten, weiß ein Gescheiter dazu zu benutzen, sein Glück heranzubilden.
Format XXVI. Beginne niemals die Ehe mit einer Notzucht!
Mit der unehrerbietigen Kühnheit der Chirurgen, die mit rücksichtslosem Schnitt das trügerische Muskelgewebe auftrennen, unter welchem eine ekelhafte Wunde sich birgt, haben wir in den vorhergehenden Betrachtungen die Ausdehnung des Geschwürs festgestellt. Die Tugend unserer Gesellschaft, auf den Seziertisch unseres anatomischen Theaters gelegt, hat nicht einmal einen Leichnam unter dem Skalpell gelassen. Liebhaber oder Gatte – ihr habt über die Krankheit gelächelt oder vor ihr geschaudert? Nun, mit einer boshaften Freude wälzen wir die Verantwortung für die ungeheuer schwere Last, unter der die Gesellschaft stöhnt, auf das Gewissen der Prädestinierten. Wenn Harlekin den Versuch macht, ob nicht sein Pferd sich dran gewöhnen könnte, ohne Fressen zu leben, so ist er nicht lächerlicher als die Männer, die in ihrer Ehe das Glück finden wollen, aber sie nicht mit aller erforderlichen Sorgfalt pflegen. Die Fehltritte der Frauen sind ebenso viele Anklagen gegen die Selbstsucht, Gleichgültigkeit und Nichtigkeit der Ehemänner.
Und nun, Leser, mußt du, der du oft dein Verbrechen an einem andern verdammt hast, die Wage halten! Die eine Schale ist ziemlich schwer beladen – sieh zu, was du in die andere legen willst! Mache einen Überschlag über die Zahl der Prädestinierten, die sich etwa unter der Gesamtzahl der Verheirateten befinden, und wäge: dann wirst du wissen, wo das Leiden seinen Sitz hat!
Wir wollen versuchen, in die Ursachen dieser ehelichen Krankheit noch etwas tiefer einzudringen.
Das Wort ›Liebe‹ auf die Fortpflanzung der Rasse angewandt, ist die schändlichste Lästerung, die unser moderner Sittenbegriff jemals ausgesprochen hat. Indem uns die Natur durch das göttliche Geschenk des Denkens über das Tier erhob, hat sie uns die Fähigkeit verliehen, Eindrücke und Gefühle, Bedürfnisse und Leidenschaften zu empfinden. Diese Doppelnatur schafft im Menschen das Tier und den Liebenden, und diese Unterscheidung wird das gesellschaftliche Problem aufklären, das uns hier beschäftigt.
Die Ehe kann je nach dem politischen, bürgerlichen und sittlichen Standpunkt als ein Gesetz, als ein Vertrag, als eine Einrichtung betrachtet werden – als ein Gesetz, indem sie für die Fortpflanzung des Geschlechts sorgt; als ein Vertrag, indem sie die Übertragung des Eigentums regelt; als eine Einrichtung, indem sie Interessen verbürgt, die für alle Menschen wichtig sind! Sie haben einen Vater und eine Mutter, sie werden Kinder haben. Die Ehe muß also der Gegenstand allgemeiner Ehrfurcht sein. Für die Gesellschaft haben nur diese höchsten Begriffe in Betracht kommen können, in denen für sie die Frage der Ehe gipfelt.
Die meisten Menschen haben bei ihrer Heirat nur Fortpflanzung, Eigentum oder Kind im Auge; aber weder Fortpflanzung, noch Eigentum, noch Kind machen das Glück aus. Das ›Seid fruchtbar und mehret euch!‹ hat mit der Liebe nichts zu tun. Von einem Mädchen, das man in vierzehn Tagen vierzehnmal gesehen, im Namen des Gesetzes, des Königs und der Gerechtigkeit Liebe zu verlangen – ist eine Abgeschmacktheit, die der meisten Prädestinierten würdig ist!
Liebe ist der Einklang von Bedürfnis und Gefühl; das Glück der Ehe erwächst aus einem vollkommenen Seeleneinverständnis der beiden Gatten. Daraus folgt, daß ein Mann, um glücklich zu sein, sich an gewisse Vorschriften der Ehre und des Zartgefühls gebunden halten muß. Nachdem er den Vorteil genossen hat, daß das soziale Gesetz dem Bedürfnis sein Recht zuspricht, muß er den geheimen Gesetzen der Natur gehorchen, die die Gefühle sprießen lassen. Wenn er sein Glück darin sucht, geliebt zu werden, so muß er aufrichtig lieben: nichts widersteht einer wahren Leidenschaft.
Aber Leidenschaft empfinden heißt ewig begehren.
Kann man immer seine Frau begehren?
Ja.
Die Behauptung, es sei unmöglich, immer dieselbe Frau zu lieben, ist so abgeschmackt, wie wenn man sagen wollte, ein berühmter Künstler brauche mehrere Violinen, um ein Musikstück zu spielen und eine Zaubermelodie zu schaffen.
Die Liebe ist die Poesie der Sinne. Sie teilt das Los alles dessen, was beim Menschen groß ist und aus seinem Gedanken entspringt. Sie ist entweder erhaben, oder sie ist nicht vorhanden. Wenn sie da ist, ist sie für ewig da und nimmt stets zu. Dies ist die Liebe, deren Gott, Eros, die Alten zu einem Sohne des Himmels und der Erde machten.
Die Literatur hat im ganzen nur sieben Gegenstände; die Musik drückt alles mit sieben Noten aus; die Malerei hat nur sieben Farben. Wie diese drei Künste beruht vielleicht auch die Liebe auf sieben Grundgesetzen; wir überlassen deren Feststellung dem kommenden Jahrhundert.
Wenn die Poesie, die Tonkunst und die Malerei unendlich viele Ausdrucksmöglichkeiten