Ereignisse die Begierden sind, worin der leiseste Gedanke zu einem Szenenwechsel führt. Wie könnte man nun wohl in dieser Herde von Zweihändern, die man ein Volk nennt, häufig einen Mann und eine Frau finden, die in gleichhohem Grade mit dem Geiste der Liebe begabt sind, da ja schon in den andern Wissenschaften, in denen zur Erreichung des Erfolges der Künstler nur mit sich selber im klaren zu sein braucht, die Talente so dünn gesät sind?
Bis jetzt haben wir uns damit begnügt, die gewissermaßen physischen Schwierigkeiten ahnen zu lassen, die zwei Gatten zu überwinden haben, um glücklich zu sein. Wie nun erst, wenn wir das erschreckende Gemälde der sittlichen Verpflichtungen enthüllen müßten, die aus der Verschiedenheit der Charaktere entstehen! Schweigen wir darüber! Der Mann, der geschickt genug ist, sein Temperament zu lenken, wird ganz gewiß auch Herrscher seiner Seele sein.
Wir wollen annehmen, unser Mustergatte erfülle diese Hauptbedingungen, die erforderlich sind, um seine Frau erfolgreich gegen den Ansturm der Feinde zu verteidigen. Wir wollen annehmen, er gehöre zu keiner der zahlreichen Klassen von Prädestinierten, über die wir Musterung gehalten haben. Endlich wollen wir annehmen, daß er sich alle Grundsätze zu eigen gemacht habe; daß er die wunderbare Wissenschaft beherrsche, von deren Lehren wir dem Leser einige enthüllt haben; daß er bei der Auswahl seiner Frau sehr verständig zu Werke gegangen sei; daß er seine Frau kenne; daß er von ihr geliebt werde. Und nun wollen wir in der Aufzählung aller allgemeinen Ursachen fortfahren, die die kritische Lage noch verschlimmern können, in die wir ihn zur Belehrung des Menschengeschlechtes zu bringen gedenken.
Die Pensionate
Wenn du ein Fräulein geheiratet hast, das seine Erziehung in einem Pensionat empfangen hat, so hast du gegen dein Glück außer allen bisher bereits aufgezählten schlechten Aussichten noch dreißig andere, und du gleichst genau einem Menschen, der mit der Hand in ein Wespennest gegriffen hat.
Laß dich von der unschuldigen Unwissenheit, der naiven Anmut, der schamhaften Zurückhaltung deiner Frau nicht fangen, sondern sobald eure Ehe den priesterlichen Segen empfangen hat, überlege dir und befolge flugs die Grundsätze und Lehren; die wir im zweiten Teil dieses Buches ausführlich behandeln werden! Wende sogar die strengen Maßnahmen des dritten Teiles an; übe auf der Stelle eine tätige Wachsamkeit, entfalte zu jeder Stunde eine väterliche Sorgfalt – denn schon am Tage nach deiner Hochzeit, ja vielleicht sogar am Tage vorher, war ›Gefahr im Verzuge‹.
Bitte erinnere dich nur einmal der ebenso tiefen wie geheimen Kenntnis, die die Schüler sich de natura rerum über die Natur der Dinge verschaffen! Sind jemals Lapeyrouse, Cook oder Kapitän Parry mit solchem Eifer auf ihre Entdeckungsreisen nach den Polen ausgesegelt, wie die Gymnasiasten nach den verbotenen Gestaden des Ozeans der Liebesfreuden?
Da die Mädchen listiger, geistreicher und neugieriger sind als die Knaben, so müssen ihre heimlichen Zusammenkünfte, ihre Gespräche, die keine Kunst züchtiger Matronen verhindern kann, von einem tausendmal höllischeren Geiste geleitet sein wie die der Gymnasiasten. Welcher Mann hat jemals die moralischen Betrachtungen und boshaften Bemerkungen dieser jungen Mädchen gehört? Sie allein kennen jene Spiele, in denen die Ehre zum voraus verloren ist, diese Proben der Liebeslust, diese tastenden Versuche in der Wollust, diese Nachahmungen des Glücks, die man mit den Diebstählen vergleichen kann, die von naschhaften Kindern verübt werden, um sich einer im verschlossenen Schrank aufbewahrten Leckerei zu bemächtigen. Ein Mädchen wird vielleicht ihre Pension als Jungfrau verlassen; aber keusch? – nein! Sie wird mehr als einmal in geheimen Plauderkränzchen die wichtige Frage der Liebhaber besprochen haben, und die Verderbnis muß ihr Herz oder muß ihren Geist ergriffen haben – womit ich übrigens keinen Gegensatz von Herz und Geist aufstellen möchte.
Wir wollen indessen annehmen, deine Frau habe an diesen Leckerhaftigkeiten ausgelassener Jüngferchen, an diesen verfrühten Liebesscherzen keinen Anteil gehabt. Wenn sie also im geheimen Rat der ›Großen‹ keine beratende Stimme gehabt hat – wird sie darum besser sein? Nein. Sie wird dort Freundschaft mit andern jungen Mädchen geschlossen haben, und wir sind gewiß bescheiden, wenn wir ihr nur zwei oder drei intime Freundinnen zubilligen. Bist du sicher, daß nach dem Fortgang deiner Frau aus der Pension ihre jungen Freundinnen nicht zu diesen Zusammenkünften zugelassen worden sind, in denen man vor der Zeit die Spiele der Tauben kennen zu lernen oder sich wenigstens von ihnen einen Begriff zu machen sucht? Endlich werden ihre Freundinnen sich verheiraten; dann hast du vier Frauen zu überwachen anstatt einer, hast vier Charaktere zu erraten und bist auf Gnade und Ungnade vier Ehemännern und einem Dutzend Junggesellen preisgegeben, deren Lebenswandel, Grundsätze und Gewohnheiten dir völlig unbekannt sind. Wir nehmen nämlich an, daß unsere Betrachtungen dich von der Notwendigkeit überzeugen werden, dich eines Tages mit den Leuten zu beschäftigen, die du bei der Ehe mit deiner Frau ahnungslos mitgeheiratet hast. Nur Satan selber hat auf den Gedanken kommen können, mitten in einer großen Stadt eine Pension für junge Damen zu errichten! Madame Campan hatte doch wenigstens den Sitz ihres berühmten Instituts nach Écouen gelegt. Diese kluge Vorsicht beweist, daß sie keine gewöhnliche Frau war. Dort sahen ihre jungen Damen nicht das Straßenmuseum: jene grotesken Riesenbilder und schmutzigen Worte, die der böse Geist mit Kreide und Rotstift an die Wände malt. Sie hatten nicht unaufhörlich das Schauspiel menschlicher Gebrechen vor Augen, das in Frankreich auf jedem Prellstein sich breitmacht; keine niederträchtigen Leihbibliotheken träufelten im geheimen das Gift allzu lehrreicher und die Phantasie entflammender Bücher in ihre Adern. Daher konnte diese kluge Institutsvorsteherin wohl nur in Écouen ein junges Mädchen unberührt und rein erhalten – wenn dies überhaupt möglich ist. Vielleicht hoffst du, es leicht verhindern zu können, daß deine Frau ihre Pensionsfreundinnen wiedersieht? Torheit! Sie wird sie auf dem Ball treffen, im Theater, auf der Promenade, in den Gesellschaften; und wie viele Dienste können nicht zwei Frauen sich erweisen! Aber diesen neuen Gegenstand des Schreckens werden wir an seinem Ort und Platz gebührend betrachten.
Und dies ist noch nicht alles: wenn deine Schwiegermutter ihre Tochter in eine Pension gegeben hat – meinst du, dies sei aus Interesse für ihre Tochter geschehen? Ein kleines Fräulein von zwölf bis fünfzehn Jahren ist ein schrecklicher Argus; und wenn die Schwiegermutter keinen Argus im Hause haben wollte, so beginne ich zu argwöhnen, daß deine Frau Schwiegermutter unbedingt zum allerzweifelhaftesten Teil unserer anständigen Frauen gehört. Auf alle Fälle wird sie also für ihre Tochter entweder ein verhängnisvolles Beispiel oder eine gefährliche Beraterin sein.
Aber halt! ... die Schwiegermutter verlangt eine ganze Betrachtung für sich.
Auf welche Seite du dich also auch legen magst, in dieser Beziehung ist das Ehebett überall gleich dornig.
Vor der Revolution schickten etliche aristokratische Familien ihre Töchter ins Kloster. Diesem Beispiel folgten zahlreiche Leute, die sich einbildeten, wenn sie ihre Töchter an Orte brächten, wo sich die Töchter der vornehmsten Herrschaften befänden, so würden sie deren Ton und Manieren annehmen. Dieser Irrtum eitlen Stolzes war von vornherein ein schwerer Schaden für das häusliche Glück; denn die Klöster besaßen alle Nachteile der Pensionate. Der Müßiggang übt in ihnen einen noch schrecklicheren Einfluß. Die Absperrungsgitter entflammen die Einbildungskraft. Die Einsamkeit ist eine der Lieblingsprovinzen des Teufels; und man glaubt es kaum, welche Verwüstungen die gewöhnlichsten Lebenserscheinungen in der Seele dieser träumerischen, unwissenden und unbeschäftigten jungen Mädchen anrichten können!
Einige beschäftigen sich so inbrünstig mit ihren Schimären, daß sie auf mehr oder weniger sonderbare Quidproquos verfallen. Andere, die sich von ehelichem Glück eine übertriebene Vorstellung gemacht haben, sagen, wenn sie einem Gatten angehören, zu sich selber: »Wie? das ist alles?« Jedenfalls bringt die unvollkommene Bildung, die diese gemeinschaftlich erzogenen Mädchen sich erwerben, die ganze Gefahr der Unwissenheit und das ganze Unglück des Wissens mit sich.
Ein junges Mädchen, das durch eine Mutter oder durch eine tugendhafte, bigotte, liebenswürdige oder zänkische alte Tante zu Hause erzogen worden ist; ein junges Mädchen, das niemals die Schwelle seiner Häuslichkeit überschritten hat, ohne von einer Anstandsdame begleitet zu sein; das in seiner Kindheit fortwährend hat fleißig sein, und, um nur beschäftigt zu sein, sogar überflüssige Arbeiten hat machen müssen; dem