Оноре де Бальзак

Physiologie der Ehe


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weder die Verführung noch deren Schlingen; sie hat als Stütze nur ihre Schwäche, und da sie nur die bequemen Grundsätze der feinen Welt vor Augen hat, so ist ihre trügerische Einbildungskraft, die von Begierden gelenkt wird, die auf allen Seiten Bestärkung finden, eine blinde und um so unzuverlässigere Führerin, da selten ein junges Mädchen einen andern Menschen in die geheimen Gedanken ihrer ersten Liebe einweiht.

      Wenn sie frei wäre, würde eine vorurteilslose Erziehung sie dagegen wappnen, sich in den ersten besten zu verlieben. Sie wäre – wie wir alle – viel stärker gegenüber bekannten Gefahren als gegenüber solchen, deren Umfang sich ihren Blicken verbirgt. Wenn übrigens ein Mädchen seine eigene Herrin ist, wird sie darum weniger unter dem wachsamen Auge ihrer Mutter stehen? Will man denn jene Scham und Ängstlichkeit für nichts rechnen, denen die Natur nur darum eine solche Macht über die Seele einer Jungfrau gegeben hat, um sie vor dem Unglück zu bewahren, daß sie einem Mann angehören muß, den sie nicht liebt? Und endlich – wo ist das Mädchen, das so wenig zu rechnen verstände, um nicht zu ahnen, daß der unmoralischste Mann bei seiner Frau Grundsätze zu finden verlangt, so wie die Herrschaften verlangen, daß ihre Dienstboten vollkommen seien – und daß dann für sie ihre Tugend das gewinnreichste und ergiebigste Geschäft ist?

      Um was handelt es sich hier denn überhaupt? Für wessen Anwalt hält man uns denn? Wir treten ein für höchstens fünf- oder sechshunderttausend Jungfernschaften, deren Waffen ihre natürlichen Abneigungen und der hohe Preis sind, zu dem sie sich selber einschätzen: sie wissen sich ebensogut zu verteidigen wie zu verkaufen. Die achtzehn Millionen menschlicher Wesen, die wir außerhalb unserer Betrachtungen gestellt haben, verheiraten sich fast alle nach dem System, das wir in unsern Sitten zur Geltung bringen möchten. Und in den Mittelklassen, durch die unsere armen Zweihänder von den an der Spitze der Nation marschierenden Bevorrechtigten geschieden sind – in diesen nimmt seit dem Frieden die Zahl der Findelkinder, die von diesen zwischen Armut und Wohlstand in der Mitte stehenden Klassen dem Unglück überliefert werden, beständig zu, wenn man Herrn Benoiston von Châteauneuf glauben darf – einem der mutvollsten Gelehrten, die sich den trockenen und doch so nutzbringenden Nachforschungen der Statistik gewidmet haben. Für welch eine tiefe Wunde bringen wir also das Heilmittel? Man denke doch nur an die große Zahl der Bastarde, die uns die Statistik nachweist, und an das viele Unglück, das nach unsern Berechnungen in der hohen Gesellschaft vorkommen dürfte! Aber es ist schwierig, hier auf alle Vorteile aufmerksam zu machen, die sich aus der Emanzipation der jungen Mädchen ergeben würden. Wenn wir später die Begleitumstände der Ehe, wie unsere Sitten sie herausgebildet haben, näher betrachten, dann werden urteilsfähige Geister den ganzen Wert des Systems freier Erziehung ermessen können, das wir im Namen der Vernunft und der Natur für die jungen Mädchen verlangen. Unser französisches Vorurteil hinsichtlich der Jungfräulichkeit der Neuvermählten ist das dümmste von allen, die wir haben. Die Orientalen nehmen ihre Frauen, ohne sich um die Vergangenheit zu beunruhigen, und sperren sie ein, um der Zukunft um so sicherer zu sein; die Franzosen geben ihre Töchter in eine Art von Serails, die von Müttern, von Vorurteilen, von religiösen Ideen bewacht werden, und geben ihren Frauen die vollständigste Freiheit – beunruhigen sich also viel mehr um die Vergangenheit als um die Zukunft. Es würde sich also nur darum handeln, in unsern Sitten künftighin eine umgekehrte Reihenfolge zu beobachten. Vielleicht würden wir dadurch dahin gelangen, der ehelichen Treue den ganzen Duft und Reiz zu verleihen, den die Frauen jetzt an der Untreue finden.

      Aber diese Erörterung würde uns zu weit von unserm Gegenstand entfernen, wenn wir dabei in allen Einzelheiten die ungeheure sittliche Besserung untersuchen müßten, die ohne Zweifel im Frankreich des Zwanzigsten Jahrhunderts notwendig werden wird – denn die Reformen gesellschaftlicher Sitten vollziehen sich ja so langsam! Muß nicht zur Durchsetzung der geringsten Veränderung der kühnste Gedanke des vergangenen Jahrhunderts der alltäglichste Gedanke des gegenwärtigen Jahrhunderts geworden sein? Wir haben denn auch gewissermaßen nur aus Koketterie diese Frage gestreift, teils um zu zeigen, daß sie unserer Aufmerksamkeit nicht entgangen war, teils um unsern Enkeln noch ein weiteres Werk zu vermachen, und zwar, wohlgezählt, das dritte: das erste betrifft die Kurtisanen, das zweite ist die Physiologie des Liebesgenusses, und

      »wenn wir beim zehnten sind,

       dann schlagen wir ein Kreuz.«

      In dem gegenwärtigen Zustand unserer Sitten und unserer unvollkommenen Zivilisation gibt es ein Problem, das für den Augenblick sich nicht lösen läßt, das aber jede Erörterung über die Kunst, sich eine Frau zu wählen, überflüssig macht. Wir überliefern es, wie alle andern, dem Nachdenken der Philosophen.

       Problem:

      Man hat noch nicht feststellen können, was die Frau mehr zur Untreue treiben würde: die Unmöglichkeit, sich eine Abwechslung zu gestatten, oder die Freiheit, nach ihrem Belieben zu handeln.

      Wir beschäftigen uns ja in diesem Werk mit den Aussichten eines Mannes in dem Augenblick, wo er sich vermählt hat. Wenn er nun einer Frau begegnet wäre, die mit einem vollblütigen Temperament, mit einer lebhaften Einbildungskraft, mit einer nervösen Anlage oder mit einem gleichgültigen Charakter begabt wäre, so würde seine Situation nur um so bedenklicher sein.

      In noch größerer Gefahr würde ein Mann sich befinden, wenn seine Frau nur Wasser tränke – Näheres darüber in der Betrachtung ›Hygiene der Ehe‹ –; wenn sie aber gar Begabung für den Gesang hätte oder besonders zu Erkältungen geneigt wäre, so müßte er alle Tage zittern; denn es ist ausgemacht, daß die Sängerinnen zum mindesten ebenso leidenschaftlich veranlagt sind, wie die Frauen mit besonders empfindlichen Schleimhäuten.

      Endlich würde die Gefahr noch viel ärger sein, wenn die Frau weniger als siebzehn Jahre alt wäre, oder wenn sie eine blasse, fahle Gesichtsfarbe hätte – denn diese Art Frauen sind fast alle hinterlistig.

      Aber wir wollen nicht vorgreifen und behalten uns für später eine systematische Aufzählung der Befürchtungen vor, die den Ehemännern die Beobachtung aller unheilverkündenden Charakterzüge ihrer Frauen einflößen kann. Diese Abschweifung hat uns bereits zu weit von den Pensionaten entfernt, die an so vielen unglücklichen Ehen schuld sind; aus denen junge Mädchen hervorgehen, die nicht imstande sind, den Wert der Mühen und Opfer zu ermessen, durch die der Ehrenmann, der sie mit seiner Wahl beehrt, zum Wohlstand gelangt ist – junge Mädchen, die sich ungeduldig nach den Genüssen des Luxus sehnen, die weder unsere Gesetze noch unsere Sitten kennen, die mit Begierde die Herrschaft ausnutzen, die ihnen ihre Schönheit verleiht, die stets bereit sind, den wahren Tönen der Seele ihr Ohr zu verschließen und den Einflüsterungen der Schmeichelei zu lauschen.

      Wenn diese Betrachtung in der Erinnerung aller Leser – selbst solcher, die dieses Buch nur anstandshalber oder in der Zerstreutheit einmal aufgeschlagen haben – eine tiefe Abneigung gegen junge Damen zurückläßt, die in Pensionaten erzogen worden sind, so werden dadurch bereits der Allgemeinheit große Dienste geleistet worden sein.

      Der Honigmond

      Während unsere ersten Betrachtungen beweisen, daß es in Frankreich einer verheirateten Frau beinahe unmöglich ist, tugendhaft zu bleiben, geben unsere Berechnungen über die Anzahl der Junggesellen und der ›Prädestinierten‹, unsere Bemerkungen über die Erziehung der jungen Mädchen und unser flüchtiger Überblick über die mit der Wahl einer Frau verbundenen Schwierigkeiten bis zu einem gewissen Grade eine Erklärung für diese Gebrechlichkeit unserer Nation. Nachdem wir die geheime Krankheit, von der unser Gesellschaftskörper gequält wird, unumwunden festgestellt haben, haben wir ihre Ursachen gesucht, und zwar in der Unvollkommenheit der Gesetze, in der Folgewidrigkeit unserer Sitten, in der Unzulänglichkeit des menschlichen Durchschnittsverstandes, in den Widersprüchen unserer Gewohnheiten. Ein einziges bleibt uns noch zu beobachten: das erste Auftreten des Leidens.

      Um zu dieser Beobachtung zu gelangen, brauchen wir nur die wichtigen Fragen in Angriff zu nehmen, die in dem Ausdruck ›Honigmond‹ inbegriffen, sind. Wir werden darin nicht nur den Ausgangspunkt für alle Erscheinungen des Ehelebens finden, sondern auch die glänzende Kette, deren einzelne Glieder unsere Beachtungen, unsere Aussprüche, unsere Probleme bilden werden, die wir in die lustige Weisheit unserer etwas redseligen Betracht