Joachim Merchel

Kinder- und Jugendhilfe


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Sachverständigenkommission zum 11. Kinder- und Jugendbericht empfohlen, die Funktion des öffentlichen Jugendhilfeträgers auf Aufgaben der Gewährleistung und der Steuerung zu begrenzen und die Funktion der Leistungserbringer weitgehend den freien Trägern zuzuordnen (BMFSFJ 2002, 259 f.); in einer solchen Konsequenz ist die Praxis diesem Vorschlag nicht gefolgt. Zwar wurden Ende 2016/Anfang 2017 mit ca. 71 % mehr als zwei Drittel der Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe von nichtstaatlichen freien Trägern betrieben (Autorengruppe Kinder- und Jugendhilfestatistik 2019, 27 f.), jedoch bilden öffentliche Träger mit ca. 29 % Einrichtungen einen nicht unerheblichen Anteil. Zu differenzieren ist hier allerdings zwischen den Handlungsfeldern: Während die öffentlichen Träger bei den Kindertageseinrichtungen 33 % der Einrichtungen und bei der Kinder- und Jugendarbeit 38,5 % der Einrichtungen betreiben, liegt der Anteil der öffentlichen Träger bei den Einrichtungen und Diensten der Erziehungshilfe bei lediglich 3,5 % (ebd., 28).

      Die großen Blöcke bei den freien gemeinnützigen Trägern in der Kinder- und Jugendhilfe sind die Wohlfahrtsverbände und die Jugendverbände. Diese beiden Verbandsgruppen nehmen bündelnde Funktionen für die freien Träger wahr. Der größte Teil der freien gemeinnützigen Träger außerhalb der Jugendverbände hat sich in einem der sechs Wohlfahrtverbände organisiert, oder diese Wohlfahrtsverbände wirken selbst als Träger von Einrichtungen und Diensten der Kinder- und Jugendhilfe. Die sechs Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege sind: Caritasverband, Diakonisches Werk, Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, Paritätischer Wohlfahrtsverband, Arbeiterwohlfahrt, Deutsches Rotes Kreuz (

Abb. 5; Charakterisierung der einzelnen Wohlfahrtsverbände s. Merchel 2008b, 91 ff.). Die Wohlfahrtsverbände werden entweder selbst und unmittelbar in eigener Trägerschaft in der Kinder- und Jugendhilfe tätig oder es sind gemeinnützige, als Mitglieder einem Wohlfahrtsverband angehörende Organisationen als eigenständige Rechtsträger, die Leistungen in der Kinder- und Jugendhilfe erbringen. Damit treten die Wohlfahrtsverbände in zwei Funktionen auf: als unmittelbarer Leistungserbringer und in der Funktion als Koordinatoren, Berater und Interessenvertreter für die ihnen als Mitglieder angeschlossenen Organisationen. Die beiden größten Wohlfahrtsverbände sind Caritasverband und Diakonisches Werk mit der Trägerschaft für insgesamt ca. 30 % der Einrichtungen und Dienste der Kinder- und Jugendhilfe; mit deutlichem Abstand folgen die dem Paritätischen Wohlfahrtsverband angeschlossenen Träger und Einrichtungen (10, 6 %) und die Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt (4,3 %). Auch hinsichtlich der Arbeitgeberfunktionen für Fachkräfte in der Kinder- und Jugendhilfe dominieren die freien gemeinnützigen Träger als Arbeitgeber: Bei ihnen sind fast zwei Drittel des Personals in der Kinder- und Jugendhilfe tätig (Schilling 2010, 789; differenziert nach Arbeitsfeldern und Verbänden s. Rauschenbach/Schilling 2012), wobei Caritasverband und Diakonisches Werk wiederum die größten Wohlfahrtsverbände sind, gefolgt mit einigem Abstand vom Paritätischen Wohlfahrtverband als drittgrößtem Wohlfahrtsverband.

      Der Paritätische Wohlfahrtsverband, der in den östlichen Bundesländern im Verhältnis zu den konfessionellen Wohlfahrtverbänden größere Trägeranteile aufweist als in den westlichen Bundesländern (Rauschenbach/Schilling 2012, 2), ist trotz des Umfangs der in ihm gebündelten Aktivitäten als Träger bzw. Trägerverband deswegen weniger bekannt als die anderen Wohlfahrtsverbände, weil sich seine Verbandsstruktur von den Strukturen der anderen Wohlfahrtsverbände markant unterscheidet: Der Schwerpunkt der verbandlichen Tätigkeiten liegt in der Beratung, Unterstützung und Interessenvertretung seiner Mitgliedsorganisationen, die die Leistungen in der Kinder- und Jugendhilfe erbringen (bundesweit bekannt z. B. SOS-Kinderdorf e. V., Waldorf-Kindergärten, Deutscher Kinderschutzbund u. a.); dadurch sind diese stärker in der öffentlichen Wahrnehmung und mit ihren Angeboten und Leistungen häufig weitaus bekannter als der Paritätische Wohlfahrtverband selbst.

      Da das Deutsche Rote Kreuz seine Tradition und Arbeitsschwerpunkte in anderen Feldern der Sozialen Arbeit hat, ist es nur wenig in der Kinder- und Jugendhilfe vertreten. In einem noch geringeren Maß existieren Kinder- und Jugendhilfe-Einrichtungen der Jüdischen Wohlfahrtspflege, was – neben den Folgen durch Ausgrenzung, Vernichtung und Vertreibung in den Jahren 1933 bis 1945 – u. a. mit dem spezifischen Profil der jüdischen Wohlfahrt, der ausschließlichen Ausrichtung auf Angehörige der jüdischen Glaubensgemeinschaft, zusammenhängt (Merchel 2008b, 113 ff.; umfassend: Arbeitskreis Jüdische Wohlfahrt 2017).

      Die freien gemeinnützigen Träger haben i. d. R. die Rechtsform eines als gemeinnützig anerkannten eingetragenen Vereins, einer gemeinnützigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (gGmbH) (zum steuerrechtlichen Tatbestand der Gemeinnützigkeit s. Merchel 2015, 154 ff.; Schick 2018) oder, wenn Kirchengemeinden als freie Träger in der Kinder- und Jugendhilfe tätig werden, als Körperschaften des öffentlichen Rechts. Kirchengemeinden, die als Träger von Kindertageseinrichtungen oder Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit wirken, sind i. d. R. dem jeweiligen konfessionellen Wohlfahrtsverband verbunden und werden von diesem repräsentiert.

      Die Jugendverbände sind in Anzahl und in aufgaben- und zielgruppenspezifischer Ausrichtung weniger übersichtlich als die Wohlfahrtverbände: Es existieren weltanschaulich bzw. konfessionell orientierte, politisch orientierte, beruflich orientierte, freizeitorientierte und verschiedenartige fachlich orientierte Jugendverbände, wobei hier noch weiter zu differenzieren ist zwischen bundesweit tätigen Verbänden und regional tätigen Vereinen/Verbänden (Gängler 2018; Merchel 2008b, 153 ff.) (

Kap. 5.1). Der Begriff »Jugendverband« ist ein relativ unscharfer Begriff; er wird in § 12 Abs. 2 SGB VIII folgendermaßen gefasst:

      »In Jugendverbänden und Jugendgruppen wird Jugendarbeit von jungen Menschen selbst organisiert und mitverantwortet. Ihre Arbeit ist auf Dauer angelegt und in der Regel auf die eigenen Mitglieder ausgerichtet, sie kann sich aber an junge Menschen wenden, die nicht Mitglieder sind. Durch Jugendverbände und ihre Zusammenschlüsse werden Anliegen und Interessen junger Menschen zum Ausdruck gebracht und vertreten.«

      Damit nennt das SGB VIII einige Charakteristika dieses Organisationstypus, die auch das Selbstverständnis der im Bundesjugendring zusammengeschlossenen überregionalen Jugendverbände prägen: Selbstorganisation junger Menschen, Ausrichtung auf längere Dauer, Mitgliederorientierung (aber mit der Option auch offener, an Nicht-Mitglieder gerichteter Angebote), Anspruch als gesellschaftliches Sprachrohr von und für Jugendliche.

      Die Zahl der außerhalb der Wohlfahrtsverbände oder der Jugendverbände tätigen freien gemeinnützigen Träger ist außerordentlich gering. Das deutsche Trägersystem ist deutlich auf Verbände und auf deren organisierende Funktionen zugeschnitten, so dass die Wohlfahrtsverbände und die auf das Arbeitsfeld der Jugendarbeit spezialisierten Jugendverbände mit wenigen Ausnahmen fast den gesamten freien gemeinnützigen Trägerbereich in der Kinder- und Jugendhilfe repräsentieren.

      Freie gewerbliche Träger sind solche, die keinen gemeinnützigen Status anstreben; sie können in unterschiedlichen Rechtsformen auftreten: GmbH, Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), als Unternehmerin tätige Einzelperson u. a. m. Sie unterscheiden sich von freien gemeinnützigen Trägern dadurch, dass sie die Möglichkeit zur Erwirtschaftung privat verwendbarer Gewinne haben, dass sie an privates Kapital gebunden sind und dass dementsprechend persönlich zu tragende wirtschaftliche Risiken im Hintergrund stehen (s. Merchel 2008b, 187 ff.). Gewerbliche Träger können für die von ihnen erbrachten Leistungen ein – i. d. R. konkret einzelfallbezogenes – Leistungsentgelt erhalten (in der Finanzierungslogik der §§ 78 a-g SGB VIII), jedoch keine auf Dauer angelegte Förderung/Subvention im Sinne des § 74 Abs. 1 SGB VIII; auch können sie nicht mit der Wahrnehmung »anderer Aufgaben« (§ 76 SGB VIII) beauftragt werden. Der Anteil der privatgewerblichen Träger in der gesamten Kinder- und Jugendhilfe ist – anders als z. B. in der stationären Altenhilfe oder in der Pflege – gering. Er liegt – gemessen am Umfang des