einem flachen Stöhnen.
»Bis dahin«, sagte Jericho bohrend. »Und wer ist dieser Vormund, Inez?«
»Der – der Vetter meines Vaters, ich nenne ihn meinen Onkel.«
»Und er heißt?«, fragte Jericho gepresst, dem eine dumpfe Ahnung kam. »Wie heißt er?«
»Don – Don Carlos!«
»Gerechter Gott!«, entfuhr es Jericho. »Darum die Verfolger. Ihr Onkel hat diesen Sastre für Sie bestimmt, er will Sie zwingen, den Kerl zu heiraten, damit er … Inez, wie groß ist Ihr Vermögen, was erben Sie?«
»Allen Besitz der de Sebastian y Pueblo, Señor Graves. Es ist viel Land, aber es ist wenig Geld. Don Carlos hat das Geld verschwendet, wie er alles verschwendet hat, was ihm gehörte. Der Vormund kann alles tun, auch mich verheiraten. Das sind unsere Gesetze, verstehen Sie?«
»Allmächtiger!«
Heiliger Rauch, dachte Jericho bestürzt, dieser Bravadoanführer ist der Onkel von Inez. Der Bursche brachte es im mexikanischen Bürgerkrieg unter Juarez bis zum Oberst, ließ sich jedoch General nennen. Er soll wie ein Fürst gelebt und wie ein Despot in dem von ihm kontrollierten Gebiet geherrscht haben.
Jericho hatte plötzlich ein Würgen in der Kehle. Don Carlos, wie sich der Halunke nennen ließ, hatte zuerst die Grenze von New Mexico unsicher gemacht. Dann hatte man ihn vor zweieinhalb Jahren beinahe erwischt und seine Horde von etwa sechzig Bravados zusammengeschossen. Doch der Schuft war wie durch ein Wunder entkommen. Ein halbes Jahr lang war er verschwunden geblieben und dann im Grenzgebiet von Arizona aufgetaucht. Allein die Stagecoach von Ajo zur Grenze war von ihm und seinen Kerlen ein dutzendmal ausgeraubt worden. Einmal hatte er sogar die Soldkasse von Fort Huachuca überfallen und die Begleitung aus dem Hinterhalt zusammengeschossen.
»Ihre Eltern, Inez«, sagte Jericho knapp. »Wann starben sie?«
»Vor zwei Jahren – im Frühjahr«, erwiderte Inez Ramirez mit zitternder Stimme. »Es war ein Unfall – Vater und Mutter waren mit unserem Mayordomo, dem alten Verwalter, nach Santa Margerita zur Viehauktion unterwegs. Die Kutsche stürzte in den Geresa-Bergen ab – ein Steinschlag hoch droben. Sie waren alle tot.«
»So – ein Unfall«, murmelte Jericho. »Und danach tauchte Ihr Onkel auf, der nicht Ihr Onkel ist, sondern nur der Vetter Ihres Vaters, oder?«
»Si«, nickte Inez und blickte scheu zu Jericho hoch. »Mein richtiger Onkel – Don Jaime Ramirez, hielt es mit den Maximilianeros. Er wurde von den Juaristas, auf deren Seite sein Sohn, Don Carlos, kämpfte, erschossen. Sein Besitz war schon vorher verwüstet worden, nur noch das Geld der Familie blieb Don Carlos. Sie wissen, wie er gelebt hat? Es hat in diesem Papier …«
»Den Steckbrief, meinen Sie?«, unterbrach Jericho das Mädchen. »Ja, ich kenne alle Steckbriefe. Wie viel Männer hat dieser sogenannte Don noch, Inez?«
»Ich weiß nicht genau«, antwortete das Mädchen nachdenklich. »Da ist Sastre, seine rechte Hand, der Segundo. Außer Sastre kenne ich noch sieben, acht – neun Männer, Señor Graves, aber es können mehr sein, vielleicht ein Dutzend. Sie leben etwa zwanzig Meilen von unserer Hazienda entfernt auf einer Dependencia.
Da ich aber seit Jahren nicht mehr dort war, habe ich diese Männer gar nicht alle zu Gesicht bekommen. Señor Graves, glauben Sie, er hat unsere Spuren nach dem Sturm noch finden können? Mikel sagte, er könnte sie nur durch ein Wunder wieder entdecken.«
David Jericho blickte über das Mädchen hinweg auf den reglosen Mikel Shannon und dachte an Gus Flynn, jenen Mann, der Arizona besser als jeder andere kannte. Flynn war der geborene Fährtenleser, ein Mann mit dem Instinkt eines Raubtieres. Wenn die Grenzpatrouilen Don Carlos bisher nicht erwischt hatte, dann war es zweifellos Flynns Verdienst.
»War Mike sicher, dass Flynn sich nicht an der Verfolgung beteiligen würde?«, erkundigte sich Jericho. »Wenn Don Carlos Flynn bei sich hat, könnte er die Spur doch entdecken.«
»Flynn hilft Don Carlos nicht, das hat Mikel mehrmals gesagt – und darauf hat er seine Hoffnungen gesetzt«, erklärte Inez. »Mikel sagt, Flynn würde es unter keinen Umständen tun, da er Amerikaner ist und nicht viel von unseren mexikanischen Moralauffassungen hält. Ja, Flynn könnte unsere Spuren finden. Außer ihm vielleicht noch Sastre – ich weiß, dass er von Flynn gelernt hat, doch Mike, meint, Sastre findet nichts.«
»Hoffentlich behalten Sie recht«, erwiderte Jericho düster. »Inez, Ihr Onkel Carlos ist also der letzte männliche Verwandte – richtig?«
»So ist es, Señor Graves, er bestimmt alles, was mich betrifft, bis ich volljährig bin und die Duena, wie man es bei uns nennt.«
»Bis Sie die Herrin sind«, stellte Jericho fest. »Nun gut, betrachten wir die Dinge nüchtern, Inez. Don Carlos will, dass Sie Sastre heiraten, ehe Sie volljährig sind. Damit würde Sastre der ganze Besitz Ihres Vaters gehören – oder besser, Don Carlos hätte ihn sich über Sastre gesichert. Hat Ihr Onkel jemals den Gedanken geäußert, Sie täten gut daran, den Besitz zu verkaufen?«
»Ja, er wollte es«, bestätigte Inez Ramirez, Jericho verwundert ansehend. »Er sagte mir schon vor zwei Jahren, die Hazienda hätte durch den Bürgerkrieg zu sehr gelitten. Warum fragen Sie, Señor Graves?«
»Ich zähle nur zwei und zwei zusammen«, brummte Jericho griesgrämig. »Hätten Sie verkauft, hätte er die Verwaltung des Geldes gehabt. Das wollten Sie nicht, oder?«
»Natürlich nicht«, antwortete Inez entrüstet. »Dieses Land nahmen einmal meine Vorfahren in Besitz vor sechs Generationen, Señor Graves. No, ich hätte niemals verkauft, es wäre auch gar nicht möglich gewesen. Das Testament meines Vaters verbietet jeden Verkauf, solange ich nicht volljährig bin.«
»Aber es untersagt keine Heirat, oder?«
»No, die nicht«, gab Inez verwirrt zurück. »Señor Graves, was denken Sie?«
»Dass der Vetter Ihres Vaters ein ausgemachter Schuft und Halunke ist«, knurrte Jericho vor sich hin. »Inez, Sie können mir später, wenn wir nach Wagon Creek fahren, alles ausführlich erzählen. Eigentlich reicht das schon, was Sie mir bisher gesagt haben. Dieser verschlagene Bursche Carlos hat nichts weiter vor, als Sie auf irgendeine Art um den Besitz zu bringen und ihn dann zu verkaufen, um sich ein herrliches Leben zu machen. Ich wette, Mike hat ihn genauso durchschaut. Was hat Mike über ihn gesagt?«
»Dasselbe wie Sie, Señor Graves, und …, und noch etwas mehr.«
»Und was?«, fragte Jericho.
»Dass er mich nie…, niemals heiraten würde«, stammelte Inez, während ihre Augen sich wieder mit Tränen füllten. »Er …, er ist so stolz, er will keine reiche Frau, hat er gesagt, denn eines Tages könnte ich ihm vorwerfen, er hätte mich nur wegen meines Geldes …, oh, Señor Graves, ich würde ihm das doch nie vorwerfen, ich liebe ihn doch wie mein Leben und …«
»Ja, ja«, sagte David Jericho und kratzte sich am Hinterkopf. »Sicher tun Sie das, Lady Inez. Aber jetzt hole ich den Wagen.«
David Jericho hastete davon und dachte mit einiger Besorgnis an Doc Alec Sheppard. Heute war der zweite Tag des Monats. Der Doc musste neben seiner spärlichen Armee-Rente auch jene wenigen Dollar erhalten haben, die ihm die mit Kindern gesegneten Leute in Wagon Creek dafür zahlten, dass er ihre Ableger unterrichtete.
Einen Tag nach Monatsanfang, dachte Jericho beklommen, wenn das nur gutgeht mit dem Doc. Alec teilt sich zwar sein Geld ein, aber gewöhnlich ist er die ersten drei, vier Tage eines jeden Monats betrunken. Ist das auch heute der Fall, könnte ich gleich mit Mike nach Prescott weiterfahren. Der Teufel soll den Fusel holen, den der Doc in sich schüttet, als hätte er Wasser im Glas.
David Jericho Graves seufzte einmal.
Er hatte das Gefühl, dass er Alec Sheppard völlig dunkelblau vorfinden würde. Um Don Carlos machte sich Jericho jetzt keine Sorgen. Der Wüstensturm musste jede Spur von Shannon und Inez gelöscht haben. Zudem hatte Shannon die Richtung geändert.
»Er hat alles getan, was er noch