»Ja, Doc, ich bin schon weg.«
»Jericho, du Galgenstrick, wo ist der Verwundete?«
»In meinem Wagen, Doc, ich hole ihn mit Adams Hilfe herein.«
»Kennst du den Mann?«
»Nein«, log Jericho. »Er heißt Miller, Mikel Miller.«
Damit ging er schon hinaus und hatte nur den einen Gedanken: Wenn der Doc ihm bloß nie begegnet ist. Der Doc kennt ganz Arizona …
*
Sie legten ihn sacht auf die Tischplatte, den angeblichen Miller. Der Doc hatte sich am Stuhl neben dem Tisch gehalten und starrte jetzt Mikel mit gefurchten Brauen an. Dann hob er langsam den Kopf, sein Blick wanderte zu David Jericho.
»So«, sagte Sheppard gepresst. »Dann wollen wir mal deinen Mister Miller ansehen. Wo bin ich dem bloß schon mal begegnet, wo denn nur?«
»Wahrscheinlich oben bei Flagstaff – er arbeitet dort auf einer Ranch, Doc.«
»Richtig«, murmelte Sheppard. »Dort ist es gewesen – und wie heißt sein Rancher? Kann mich doch verdammt an den Namen nicht erinnern, Jericho, du Galgenstrick!«
»Benton – Charles Benton«, log Jericho und wusste, dass der Doc Shannon erkannt hatte. »Du weißt doch – der mit der mexikanischen Frau – die kennt doch jeder, oder?«
»Sicher, sicher, natürlich«, nickte Sheppard. »Diese hübsche Mexikanerin. Hieß sie nicht Rosita?«
»Nicht Rosita – Marguerita, Doc.«
»Teufel, Teufel, was man doch alles vergisst«, sagte der Doc und blickte nun Inez an. »Und wie heißt dieses hübsche Mädchen, Jericho?«
»Inez Ramirez«, erwiderte Jericho. »Sie macht sich große Sorgen um Mikel, sie kennt ihn schon länger und möchte ihn gern eines Tages heiraten.«
Der Doc erstarrte buchstäblich. Dann blickte er auf den reglosen Shannon hinab.
»So ist das«, sagte er gepresst. »Sie will diesen …, alle Wetter!«
»Ja, Doc, verstehst du jetzt, warum ich dich munter machen musste?«
»Mensch«, knurrte Sheppard. »Mensch, du bist doch – und du hilfst …, das ist doch …, nun gut, nun gut, ich verstehe schon. Die Liebe ist was sehr Schönes, Junge. Ich habe auch mal sehr …, ja, ja. Sie will ihn wirklich?«
»Si, Señor Doctor«, lispelte Inez und griff nach Sheppards Hand. »Bitte – por favor, Señor Doctor, retten Sie ihn, bitte!«
Der alte Doc, den sie heimlich den Säuferdoc nannten, sah dem Mädchen in die dunklen Augen und las die Angst in ihnen.
»Schön«, sagte er in ihrer Sprache, die er gut beherrschte. »Du bist sehr schöne, kleine Señorita. Du liebst diesen Mann sehr?«
»Si«, flüsterte Inez. Die Tränen traten ihr in die Augen und verwandelten sie für Sekunden in zwei leuchtende Sterne.
»Sehr, Señor Doctor, sehr – mehr als mein Leben.«
Der Doc nahm ihr schmales, rassiges Gesicht in beide Hände.
»Das hat sie auch einmal gesagt«, murmelte er wie geistesabwesend. »Sie war so jung und schön wie du, mein Kind, sie war viel jünger als ich, aber …, ja, mein Kind, ich werde alles tun, damit er dir bleibt. Willst du bleiben oder lieber gehen?«
»Bleiben, Señor Doctor, ich bleibe bei ihm.«
Er sah nicht auf, der alte Mann mit dem Kugelbauch, er nahm die Hände herab und wandte sich um.
Seine Frau, dachte Jericho, er hat von seiner Frau Elizabeth gesprochen. Ich habe sie nur einmal gesehen, aber ich habe diese Frau nie vergessen. Sie war so jung und schön. Und er trug sie, erzählte mir Vater damals, buchstäblich auf Händen. Da oben auf dem Hügel liegt sie nun mit ihrer Tochter Judy, die ganze sechs Jahre alt wurde. Seine Tochter wäre ja heute noch ein Kind. Man sagt, Elizabeth Sheppard hätte so lange geschossen, bis sie von einer Apachenkugel getroffen wurde. Aber sie soll noch die Kraft gehabt haben, ihre Tochter zu erschießen, die von den Apachen sicher mitgeschleppt oder getötet worden wäre.
Der Doc straffte sich, richtete sich hoch auf und sah dann Jericho an.
»Wir reden noch«, sagte er ganz ruhig. »Du hilfst mir, verstanden?«
»Sicher«, murmelte Jericho. »Retten musst du ihn, Doc.«
»Ja«, kam knapp die Antwort. »Fangen wir an.«
Er schafft es, dachte Jericho, er braucht nur an seine Frau zu denken, dann schafft er es. Shannon, du wirst leben!
*
Sie schwiegen beide und dachten an den Mann, der nur zwei Türen weiter schlief und die Kugel nicht mehr im Leib hatte: ein Stück Blei, leicht deformiert und dunkel glänzend, das Inez Ramirez nun besaß und aufheben wollte.
Leben, dachte Jericho, jemand das Leben retten, das muss ein gutes Gefühl sein. Shannon wird leben und in ein paar Stunden aufwachen, sagt der Doc. Dieses Kraut, das der Doc ihm eingeflößt hat – Apachenkraut, sagt er – es soll verdammt schnell das Fieber verjagen. Inez sitzt bei ihm, hält seine Hand, kühlt ihm die Stirn. Und ich habe dem Doc die ganze Geschichte erzählt. An die denkt er jetzt bestimmt, oder?
Der Doc griff nach der Kanne, goss sich den Becher voll Kaffee und trank schlürfend.
»Wenn das herauskommt«, sagte Sheppard brummig. »Mensch, sie nehmen dir den Orden ab und lochen dich ein, bist du dir darüber klar? Du wanderst ins Jail von Prescott, Junge. Und dort bleibst du.«
»Unsinn«, murmelte Jericho. »Sie werden den Steckbrief außer Vollzug setzen, wie man das nennt. Ich weiß nicht, wann das sein wird – morgen oder in drei Monaten, aber es kommt so, du wirst sehen, Doc. Das tun sie zuerst, ehe sie sich dem Richter John Aldrich beschäftigen. Das wird ein bisschen länger dauern, vielleicht ein halbes Jahr, aber dann ist er kein Richter mehr, wetten?«
»Daran glaubst du wirklich?«, staunte der Doc und paffte dicke Wolken in die Luft. Er rauchte seine Zigarre, die zweite schon, nachdem er die Kugel heraus hatte. »Du und dein Kinderglaube an das Gesetz, Junge. Die tun sich alle nicht weh – keiner wird dem anderen ein Auge aushacken. Richter sind Richter …«
»Und Gesetz bleibt Gesetz«, sagte Jericho stur. »Aldrich hat das Gesetz gebrochen.«
»Junge, Junge, wie viele Gesetze sind denn schon gebrochen worden und nichts ist danach passiert, nichts!«
»Hier passiert etwas, das wirst du sehen, Doc.«
»Dein Wort in Gottes Ohr«, knurrte Sheppard. »Und dieser Don Carlos, was wird der tun?«
»Suchen«, antwortete Jericho. »Ganz sicher suchen. Für den Halunken geht es um etwas mehr als nur darum, eine Heirat zwischen seiner angeblichen Nichte und einem Gringo zu verhindern. Fragt sich nur, ob der Lump sie findet.«
»Kann er das?«
»Ich weiß nicht«, gab Jericho zurück. »Kann sein, dass er die Spuren verloren hat.«
»Und wenn nicht, he?«
»Vielleicht sollte ich mit dem Colt in der Hand schlafen«, grübelte Jericho laut. »Es könnte sein, der Kerl wagt sich mit seinen Halunken sogar in eine amerikanische Stadt.«
»Ein Bravado«, brummte der Doc. »Ich verstehe nicht, warum sie den Kerl nicht schon längst gefasst haben. Ich weiß, sie hätten ihn beinahe gehabt, aber der Lump entwischte unverletzt. Konnte ihn denn keine Kugel treffen, he? Dann wäre es mit der ganzen Horde doch wohl aus gewesen, oder?«
»Sicher, er ist der Kopf. Ohne ihn sind die anderen nicht mehr viel wert«, stimme Jericho zu. »Manchmal hat so ein Halunke eine derartige Menge Glück, dass man geradezu auf die Idee kommen könnte, er hätte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Inez hat mir erzählt, dass man das in Mexiko von ihm sagt.«
»Wenn