seine Nasenspitze geradezu zu wackeln. Es sah tatsächlich so aus, als hätte ein Honigbär den Geruch eines Topfes besten Honigs in die Nüstern bekommen. Das Nasenspitzenwackeln Sheppards steigerte sich. Gleichzeitig klappte Sheppard den Mund auf und begann laut zu schmatzen.
»Ich werde verrückt!«, ächzte Bloomefield verstört. »Er ist stockbesoffen und riecht es dennoch, obgleich er nicht zu Bewusstsein kommt? Das gibt es doch gar nicht?«
»Dies ist seine Medizin«, grinste Jericho. »Ich glaube, es ist die einzig richtige, die ihn munter machen kann. Na, dann wollen wir mal!«
David Jericho griff nach dem Milchtopf, in dem eine bräunliche Brühe schwappte. Vor weniger als drei Minuten hatte Jericho drei Esslöffel jenes gekörnten Brechwurzes mit dem kochenden Wasser übergossen, sodass eine Art Brei entstanden war, den er mit einer Gabel durchgemengt hatte. Danach hatte er kaltes Wasser aufgefüllt und einen kaum lauwarmen Tee gebraut.
Im gleichen Augenblick, in dem Jericho den Ausgießer des Milchgefäßes an Doc Sheppards Unterlippe setzte, drückte er mit der Linken den getränkten Mullstreifen gegen die Nasenlöcher Sheppards.
Der »Säufer-Doc«, wie ihn manche Leute in Wagon Creek heimlich nannten, schien jetzt noch mehr des Whiskyduftes zu schnuppern und sperrte den Mund ganz weit auf.
»Und jetzt wollen wir mal sehen, ob du was merkst«, sagte Jericho halb grimmig, halb grinsend. »Hinein mit der Brühe!«
Haymes wich einen halben Schritt zurück. Er war sicher, dass der Doc sich gleich in einen Walfisch verwandeln würde, der die Brühe in einem gewaltigen Strahl ausspie. Bloomefield, der sich voller Staunen und Neugierde vorgebeugt hatte, sank mit ruckendem Geierhals zusammen und machte sich hinter der Stuhllehne klein. Und dann erstarrten die beiden Zuschauer, denn der Doc schluckte die Brühe nicht nur, er schien sie gar nicht schnell genug in seinen Bauch bekommen zu können. Wahrscheinlich hätte er den Milchtopf bis auf den Grund geleert, doch Jericho war sich nicht sicher, welche Nachwirkungen drei Esslöffel Brechwurz haben können, und er ließ Doc Sheppard nur die Hälfte saufen. Danach stellte er den Topf auf den Tisch, sah Haymes, der mit Mondkalbaugen neben der Bank stand, an und nahm Haymes den Eimer ab.
»Jetzt wollen wir sehen, was passiert und ob es wirkt«, sagte Jericho voller Neugierde. »Ich lasse den Fuselmull mal liegen. Irgendwann müsste sich in seinem Bauch etwas rühren und …«
In derselben Sekunde bewegte sich Doc Sheppards Kugelbauch. Die Kugel schien anzuschwellen und die ohnehin eng sitzende Weste platzen lassen zu wollen. Bloomefield und Haymes blickten entgeistert und erschrocken auf den Bauch, der sich hob, jäh senkte und dann wie ein Blasebalg zu arbeiten begann. Er pumpte immer schneller.
Ein grausiges Geröchel ausstoßend, fuhr der Doc von der Bank in die Höhe, rutschte ab, krachte auf die Knie, stemmte die Arme ein und gurgelte so schrecklich, dass Haymes der Angstschweiß ausbrach.
»Ich sterbe – oh, mein Gott, dass ich so elend sterben muss – ich sterbe – ich sterbe. Oh, mein Gott, ist mir sterbenselend! O Herr, hilf mir, lass mich nicht so elendig umkommen. Oh, mein Gott, mein Gott!«
Dazwischen gab es Pausen, würgte, jammerte und klagte Sheppard in Tönen, die selbst Haymes, der Betrunkene dutzendweise hatte spucken sehen, nie zuvor vernommen hatte. Es war, als müsste Sheppard tatsächlich sterben. Zuletzt verließen ihn die Kräfte. Zitternd und bleich wie der Tod, blieb Sheppard zusammenrutschend liegen.
»Es geht mit mir zu Ende«, lallte der Doc mit einer Stimme, die einem Sterbenden zu gehören schien. »Mit mir ist es aus. O Herr, hätte ich doch niemals den verfluchten Whisky angerührt. Dass ich so elend von dieser Welt muss …«
Der Doc lag wieder still, lächelte dankbar, als Jericho ihm den Wasserbecher an die Lippen setzte, und lallte dann: »Tut das gut – klares, frisches Wasser, welche Wohltat. He, da bist du ja, Jericho.«
»Ja, das bin ich, Doc«, erwiderte Jericho. »Wie wäre es jetzt mit einem anständigen, starken Kaffee, Doc?«
»Kaffee – Kaffee?«, dachte der Doc mit geschlossenen Augen laut nach. »Das ist gut – du bist ein guter Junge, Jericho. Gib einem Sterbenden die letzte Labsal. Oh, Himmel, ich saufe nie wieder, wenn ich das überlebe. So ist das also, wenn einem richtig kotzübel wird? Furchtbar, furchtbar …«
»Ja, ja, entsetzlich«, bestätigte Jericho salbungsvoll, als müsste er einen Leichnam von dieser Welt verabschieden.
Der Doc lag still, sah ihn dankbar an und röchelte: »Junge, du bist mein barmherziger Samariter, du machst es mir leicht, von dieser schäbigen Welt zu gehen. Was täte ich ohne deinen Beistand?«
»Das ist doch nicht zu fassen«, meldete sich Isaak B. Bloomefield polternd. »Der und ein barmherziger Samariter! Der Kerl hat dir Brechwurz eingetrichtert.«
Der Doc wandte langsam den Kopf, sah Jericho zuerst nur verwirrt, dann jedoch mit wachsendem Grimm an und gurgelte schließlich: »Du verdammter Hundesohn – hol dich der Teufel siebenspännig! Was hast du mir eingeflößt – Brechwurz? Darum…, darum! Oh, die Hölle, die Finsternis – der Satan soll dich verschlingen! Schnell, schnell, das Fläschchen aus meiner Tasche – Carbo Vegetabilis steht drauf. Du Hundesohn, du elender …
Er bekam einen Löffel voll Carbo Vegetabilis, spülte mit Wasser nach, rülpste danach wie ein Fuhrknecht nach zehn Tagen Bohnenfraß und stöhnte: »Wie viel Brechwurz hast du Leicheneinsarger mir eingetrichtert?«
»So anderthalb Esslöffel voll, Doc.«
Sheppard erstarrte, glotzte wie ein Ochse, der zum ersten Mal im Leben sein Spiegelbild in einem stillen Gewässer betrachtete. Dann röchelte er: »Davon sterbe ich. Anderthalb Esslöffel – du gemeiner Sargzusammenbauer, du Ausgeburt des Wahnsinns, was hast du getan?«
»Du kannst den Rest auch noch haben«, sagte Jericho ungerührt und zeigte ihm den Milchtopf. »Ich dachte immer, du wolltest unbedingt sterben, also tue es jetzt. Die Chance kehrt nie wieder.«
»Du frecher Lauselümmel, du Galgenstrick – du und deine verfluchten Tricks! Lass mich in Ruhe, ich will sterben.«
»Du weißt verdammt genau, dass du nicht sterben wirst«, erwiderte Jericho trocken. »Ich kann dich nicht in Ruhe lassen, ich brauche dich dringend.«
»Die Engel warten auf mich – kein Mensch auf der Welt braucht mich noch. Lasst mir meinen Frieden.«
»Ich fülle dir den Rest auch noch ein, wenn du nicht Vernunft annimmst, Doc!«, knurrte Jericho jetzt scharf.
»Da ist jemand, der sterben wird, wenn du ihm nicht hilfst. Du bist der einzige Mensch, der ihn retten kann, also nimm dich zusammen.«
Der Doc lag still, schloss die Augen und stöhnte, bis er fragte: »Kugel?«
»Ja«, sagte Jericho genauso sparsam.
»Wo sitzt sie?«
»Hüfte – irgendwo tief drin.«
»Wie lange schon, Mensch?«
»Vier Tage.«
»Und der lebt noch?«
»Ja, aber gerade so.«
»Wozu brauchst du mich, he? Du hast von Maple, diesem lausigen Sanitätssergeanten, genug gelernt – mach es selbst!«
»Kann ich nicht«, grimmte Jericho. »Ist zu gefährlich für den Mann. Das kann nur einer, der die richtigen Hände und reichlich Erfahrung hat.«
»Paaah!«
»Komm schon«, murmelte Jericho. »Du schaffst es, Doc, wenn du willst.«
Dr. Sheppard stemmte sich auf und blieb sitzen. »Ist mir schlecht, gerechter Gott! Mir wird zwei Tage schlecht sein, weißt du das?«
»Wenn du die Kugel heraus hast, kannst du dich dem Gefühl ganz hingeben, Doc, niemand wird dich dann noch stören.«
»Oh, mein Gott, wie soll ich aufstehen können?«
»Ich helfe dir schon.«
Er