Die Dame nippte an dem Champagner und schaute Helena dabei spöttisch lächelnd an. Sie stellte den rechten Fuß auf die Ablage.
Ein wunderschöner, schlanker Fuß mit den Sehnen und Knöchelchen an den richtigen Stellen, wohlgeformt, wie von einem Gott gebaut. Helena war fasziniert von diesem Fuß und seiner schlanken Fessel. Der Duft von Rosen umschmeichelte den Fuß und die Dame, Rosenduft gewürzt mit dem herberen Geruch von Orangenblüten und einer kräftigen Sandelholznote darunter.
Helena streichelte dieses göttliche Gebilde aus dem teuren Designer-Schuh. Die Fußnägel präsentierten sich sorgfältig gefeilt und lackiert, die Füße fein pedikürt. Ein ganz leichter Hallux valgus, wie ihn beinahe jede Frau besaß, die Wert auf schöne Schuhe legte, adelte diesen Fuß, anstatt ihn zu verunstalten.
Sie hielt inne, um dieses wunderschöne Kleinod zu betrachten. Die Dame beobachtete sie weiterhin mit dem leicht-spöttischen Lächeln. Sie erkannte, was Helena zu atemlosem Schweigen brachte.
»Nun?«, meinte sie nach einiger Zeit.
Helena hörte nichts, sie sah nur diesen traumhaften Fuß an.
Mit dem Finger, den ein weißgoldener Spitzenhandschuh kaum verhüllte, hob die Dame Helenas Kinn an.
»Will sie mir wohl den Soulier überziehen?«
Helena errötete, sie beeilte sich, den Schuh über diesen göttlichen Fuß zu streicheln. Der Duft, der von der Dame ausging, hinzu dieser zart-goldene Hautton, wie er charakteristisch von der Mittelmeersonne hervorgerufen wurde, diese gepflegte Fußsohle, all diese Schönheit verwirrte Helena.
»Hat sie einen Freund?«, fragte die Dame.
Helena hörte nicht zu. Diesen Fuß zu berühren, die kleine Schnalle des Schuhes zu schließen, den Schuh an diesem Fuß zu betrachten, all das nahm ihre gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch.
Die Dame hob erneut Helenas Kinn an, bis sie sich ins Gesicht schauten. Die Augen, die Helena unverwandt anblickten, besaßen ein tiefes Dunkelblau. Ein Farbton, wie es das Mittelmeer vor Sardinien an der tiefsten Stelle bei hellem Sommersonnenschein annahm. Wunderschön, Helena fand die gesamte Erscheinung der Dame wunderschön. Der Anblick und der Auftritt verschlugen ihr die Sprache.
»Ob sie einen Freund hat, habe ich sie gefragt. Nun?«
»Äh, ich…« Helenas Stimme versagte, sie räusperte sich verlegen. Markus war nicht wirklich ihr Freund, sie sagte fest:
»Nein.«
»Nein? Ist ja interessant. Sie hilft dem Onkel in den Ferien?«, fragte die Dame, Helena nickte zur Bestätigung.
»Sie hat Talent, das sieht man, ja, das sieht man. Liegt wohl in der Familie.«
Die Dame überlegte ein paar Sekunden, während denen sie Helena forschend ansah. Sie kam zu einem Entschluss, zupfte eine Visitenkarte aus der Valentino, weiß mit goldener Schrift, und ließ sie auf den Stuhl neben sich fallen.
»Stelle sie mir eine Kollektion von zehn Paar Schuhen zusammen, ich lasse sie in einer halben Stunde vom Chauffeur abholen. Sie wird die Anprobe dann bei mir zu Hause vornehmen.«
Helena verstand, was die Dame von ihr erwartete. Es war nicht ungewöhnlich, dass man solchen Kundinnen eine Auswahl an Schuhen oder Handtaschen mitgab. Dass sie jedoch im Haus der Dame die Anprobe durchführen sollte, war ihres Wissens nach noch nie da geschehen.
Sie streichelte den Louboutin wieder über den schlanken Fuß. Wie sich die Sehnen unter der Haut bewegten, als er das Gewicht der Dame aufnahm, wie sich die Fessel beugte, als sie sich erhob, wie die Muskeln die Form der Wade veredelten. Wunderschön, wunder-, wunderschön.
Auf ein Knie gestützt sah sie die Dame an. Die lächelte spöttisch und meinte:
»Bis gleich.« Sie glitt mit einem schwerelos erscheinenden Gang davon.
Erst langsam kam Helena zu sich. Sie erhob sich aus der knienden Haltung und starrte der Dame nach. Selbst als sie längst verschwunden war, behielt sie die Ladentür im Blick.
Die Verkäuferin trat neben sie.
»Die Frau von Barnfels-Schmelling hat nichts gekauft? Na, das kannst du dem Chef verklickern, das Donnerwetter will ich nicht abbekommen. Warst du wieder mal frech oder warum ist sie abgerauscht?«
Helena kümmerte sich nicht um die Angestellte. Sie eilte ins Lager, um die zehn Paar Schuhe für die Musterauswahl zusammenzustellen. Sie konnte sich nicht entscheiden, so nahm sie zwölf Paar, stapelte sie auf einen niedrigen Handkarren, wie er im Lager zum Transport verwendet wurde.
Sie eilte in den Waschraum, zog die Lippen nach und kontrollierte das Augen-Make-up. Die Auszubildende kam atemlos hereingestürmt.
»Ach, hier bist du. Ein Chauffeur erwartet dich. Was ist denn los?«
Helena eilte mit dem Transportwagen zum Ausgang. Der Chauffeur lud die Kartons in den Kofferraum, er öffnete für Helena die Fondtür des Wagens. Während sie einstieg, betrachtete er sie neugierig.
Sie wurde zu einem Haus gebracht, das dem entsprach, was sich Helena im Traum unter einer Villa vorstellte. Dass ein solcher Traum Wirklichkeit sein konnte, sah sie hier. Das Haus war anscheinend von einem Zuckerbäcker entworfen, schneeweiß, mit etlichen verspielten Türmchen und Erkern, mehreren Seitenflügeln, geschmückt mit rot leuchtenden Blumenarrangements unterhalb der Fenster. Ein Schloss wie in einem Märchen.
Dieses luxuriös erscheinende Gebäude wurde von einem weiten Gelände umgeben, vielmehr war es eine gepflegte Parkanlage, in der das Schloss auf einer kleinen Anhöhe thronte. Sie näherten sich diesem Traumgebilde über eine geschwungene Auffahrt, deren Kies unter den Rädern der schweren Limousine vornehm knirschte. Der Chauffeur brachte die Kartons zu einem Nebeneingang, Helena wurde auf der Treppe zum Haupteingang erwartet.
Eine sehr kleine, dunkelhäutige Frau, fast noch ein Mädchen, kaum älter als sie selbst, erwartete sie. Sie war in ein sehr knappes Zofenkostüm gekleidet mit anliegendem, bauchfreiem Oberteil und einem sehr kurzen, ausgestellten Rock. Als sie lächelte, blitzten die weißen Zähne im starken Kontrast zur dunklen Haut auf. Die Kleine war sehr zierlich gebaut, jedoch wies sie alle Formen und Kurven auf, die man von einer Frau erwartete. Ihre Haut besaß die Tönung von Vollmilchschokolade, ein schöner, samtiger Farbton.
»Herzlich willkommen.« Die Kleine betrachte Helena ausführlich, ihre pechschwarzen Augen wirkten in dem zierlichen Gesicht riesengroß. »Tritt ein.«
Die Tür schloss sich hinter Helena. Sie sah sich in einer weiten Halle, alles schien weiß und aus Gold zu sein, sogar der marmorne Boden. Die Wände waren weiß, der riesige Kronleuchter aus blankem Gold mit blitzenden Kristallen, die Treppen weiß mit goldenem Geländer. Allein der riesige Perserteppich, der den Marmor bedeckte, und der Treppenläufer waren farbig, alles andere war in Weiß und Gold gehalten.
Sie stand noch auf dem Fußabtreter an der Tür und ließ den Raum auf sich wirken. Es war kühl im Haus und sehr still. Eine riesige Standuhr, weiß lackiert mit goldenen Zierstreifen, tickte langsam und gelassen die Sekunden hinunter. Das bedächtige, deutlich zu vernehmende ›Tack-Tack-Tack‹ der Uhr unterstrich die Stille des Hauses.
»Hosen sind für Frauen in diesem Haus verboten«, erklärte die kleine dunkelhäutige Zofe in dem aufreizend knappen Kostüm.
Helena kam zu sich, es dauerte ein paar Sekunden, bis sie realisierte, was die Zofe gesagt hatte.
»Wie? Was? Wie bitte?«
Die Zofe deutete auf Helenas Jeans.
»Hosen sind für Frauen in diesem Haus nicht gestattet«, wiederholte sie die Anordnung.
»Und…und jetzt?«, fragte Helena hilflos.
»Na, zieh sie aus!«
»Was, wie?«
Die Zofe hielt ein Stück Stoff in die Höhe.
»Du kannst diesen Rock anziehen.«
»Wie?