Helen Carter

Rockstar | Band 2 | Erotischer Roman


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Schwung die Aktenmappe gegen die Seite seines Kopfes krachen. In der Mappe befanden sich ihr Notebook, ein Taschenrechner und Stifte.

      Sie spürte befriedigt, dass sie ihn mit voller Wucht getroffen hatte, denn der Dieb sackte mit einem Keuchen auf die Knie. Er hatte ihre Tasche fallen lassen und presste seine Hände gegen seine Schläfen.

      Ivy wusste, dass es höchste Zeit war, zu rennen. Aber irgendetwas hielt sie davon ab. Es war keineswegs plötzlich aufkeimendes Mitleid oder gar ein schlechtes Gewissen, es war vielmehr die Erkenntnis, dass sie den Mann, der da vor ihr auf dem Gehweg kauerte und vom Stöhnen zum Fluchen übergegangen war, nur allzu gut kannte.

      »Jeff!«, stieß sie verblüfft hervor und trat einen Schritt auf ihn zu.

      Vorsichtig, und offensichtlich noch immer von Schmerzen geplagt, hob er sein Gesicht zu ihr.

      Im gleichen Moment schienen sich die Hände eines Riesen um ihren Brustkorb zu legen. Sie bekam keine Luft mehr und der Schmerz drang bis in ihr Rückgrat durch.

      »Ja verdammt. Machst du das immer so, wenn dir jemand helfen will?« Seine Stimme klang keineswegs amüsiert.

      Ivy hatte ihn offensichtlich wirklich heftig getroffen.

      »Nur, wenn er mir im Dunklen meine Tasche wegreißt«, knurrte sie. »Wenn du willst, kannst du aber mit reinkommen. Dann kümmere ich mich um deinen Brummschädel.«

      Jeff kam auf die Füße, griff nach der Canvas-Tasche und schwang sie über seine Schulter, als wöge sie rein gar nichts. So von ihrer Last befreit, konnte Ivy zügigen Schrittes auf das Haus zugehen.

      Drinnen angekommen, steuerte sie sofort auf die Küche zu und füllte einen Kühlbeutel mit Wasser und Eiswürfeln. »Setz dich schon mal auf die Couch«, rief sie und ging mit dem Kühlbeutel zu ihm. »Wir nehmen erst mal das und wenn es nicht reicht, habe ich ein paar Tabletten für dich.«

      Indem sie sich ihm gegenüber in den Sessel setzte, hatte sie automatisch den Platz gewählt, der am weitesten von ihm entfernt war. Das war auch gut so, denn als sie ihn jetzt zum ersten Mal richtig ansah, bekam sie weiche Knie.

      Er hatte sich einen Bart stehen lassen, der wie der eines Ritters aussah. Dazu sein ebenholzfarbenes Haar mit dem leichten Glanz, das dicht und glatt über seinen Rücken fiel. Ivy erinnerte sich daran, wie er damals auf der Liege in der Praxis gelegen hatte und sein Haar fast bis zum Boden herabgeglitten war. Mit dem Bart sah er noch besser aus, da er ihm etwas Verwegenes gab.

      Für einen Moment hielt Ivy die Luft an. Dann aber fragte sie: »Wieso bist du hier?«

      Sie freute sich nicht wirklich, ihn zu sehen. Es war einfach zu viel geschehen. Er mochte vielleicht nicht an allem schuld gewesen sein, aber in ihren Augen war er ein Mann wie eine tickende Zeitbombe. So wie er im Moment aussah, die Haut noch immer blass, von einem alabasternen Ton, der Griff fest und die Augen klar – schien er allerdings weder mit Alkohol noch mit anderen Drogen Probleme zu haben. Andererseits sagte sein Aussehen nicht unbedingt etwas über seine psychische Verfassung aus.

      Innerlich bebte Ivy, weil sie nicht den leisesten Schimmer hatte, weshalb er hier aufgetaucht war. Wie lange hatten sie sich nicht mehr gesehen? Kurz nachdem er die Klinik verlassen hatte, hatten sie sich noch einmal getroffen, aber das hatte zu nichts geführt. An der Feststellung, dass zu viel geschehen war, hatte sich nichts geändert, und auch nicht an der Erkenntnis, dass sie keine weiteren Katastrophen ertragen konnte. So sehr sie ihn auch einmal geliebt hatte ...

      »Warum bist du hier?«, wiederholte sie. Ivy gab sich nicht einmal die Mühe, ihrer Frage einen freundlichen Unterton zu geben. Allein durch sein Auftauchen bedrohte er ihr inneres Gleichgewicht, und damit konnte sie nicht umgehen.

      Seltsamerweise hatte sie damit gerechnet, dass er ihr jetzt wie aus der Pistole geschossen eine Antwort geben würde, doch er tat es nicht. Stattdessen stand er auf und begann, im Wohnzimmer auf und ab zu gehen.

      »Ehrlich gesagt war ich gerade in der Gegend und wollte sehen, wie es dir geht. In die Praxis gehen kann ich ja schlecht und deine Handynummer funktioniert nicht mehr.«

      Er klang wie jemand, der einen Schlafplatz für die Nacht suchte und nicht so recht wusste, wie er es begründen sollte.

      »Ich habe ein neues Handy«, sagte sie kühl und ging in die Küche. »Willst du auch eine Tasse Tee?«

      Dass er ihr folgte, passte ihr nicht und gleichzeitig fand sie es verwirrend, dass er diese Gefühle in ihr auslöste. Er stand so dicht hinter ihr, während Ivy Wasser in die Kanne laufen ließ, dass sie ihn spüren konnte. Sie atmete tief durch, um den Druck in ihrem Brustkorb zu mindern, doch genau dadurch, berührte sie ihn. Der Geruch seines Aftershaves umgab sie sacht und schien sie in ein Wohlgefühl zu versetzen, vor dem sie sich beinahe fürchtete. Es war, als griff man nach einem Seil, das einen in genau die Richtung zog, in die man nicht geraten wollte.

      »Nimmst du Zucker oder Sahne in deinen Tee?«, fragte sie leise, um die Sehnsucht nach ihm in ihrer Stimme zu verbergen.

      »Zucker bitte.« Jeff beugte sich nach vorn, um zwei Tassen vom Regal zu nehmen, da glitt sein Haar über ihre Schultern und berührte dabei ihre Wange.

      Sie wollte sich dem Sturm aus Gefühlen entziehen, die diese Berührung in ihr auslöste, doch sie schaffte es nicht, sich an ihm vorbeizudrängen. Sollte sie ihn denn wissen lassen, was sich gerade in ihr abspielte? Es schien ihr, als hielte er seinen Arm länger als nötig an ihren Oberarm gedrückt.

      »Wo hast du die Teebeutel?«, fragte er.

      Ivy deutete nach oben. Es war mit einem Mal wieder die alte Intimität da. Wie konnte das sein, überlegte sie. Hatte sie ihn nicht gerade noch hinauswerfen wollen? Aber es tat gut, mit jemandem zusammenzusein, den man so gut kannte. Sie beobachtete ihn und kannte jede noch so winzige Bewegung.

      »Und du? Nimmst du deinen Tee immer noch mit Süßstoff ... Frau Doktor?«, fragte er gedehnt und zog sie auf.

      »Ja, tue ich. Auch wenn es nicht gerade gesund ist.«

      Jeff trug die beiden Tassen an Ivy vorbei ins Wohnzimmer. Sie nahmen wieder ihre alten Plätze ein und Ivy griff impulsiv nach der Teetasse. Im gleichen Moment schnellte Jeffs Hand nach vorn und ergriff ihr Handgelenk. »Nicht! Die ist noch schweineheiß!«

      Ivy wich sofort zurück.

      Sein Griff brannte wie Säure auf ihrer Haut. Und dennoch wollte sie sich um nichts in der Welt davon lösen. Im gleichen Moment fragte sie sich, wie ein solcher Wandel möglich sein konnte.

      Plötzlich spürte sie, wie er seine Fingerkuppen tiefer unter ihren Ärmel schob. Ivy holte tief Luft. Sie merkte, dass sie feucht wurde. Dass sich wieder dieser intensive Druck in ihrem Unterleib auszubreiten begann, den sie so lange vermisst hatte. Er streichelte sanft die dünne Haut an der Innenseite ihres Handgelenks, dort, wo das Blut direkt unter der Haut floss.

      Langsam hob er sein Gesicht zu ihr empor und fixierte im gleichen Moment ihre Blicke. Er sagte mit seinen Augen: Ich berühre dich, du magst es und ich weiß das. Lass uns weitergehen ...

      Ivy erwiderte seinen Blick, hielt ihm stand. Nun fixierten sie sich gegenseitig. Was sie da taten, war Wahnsinn, und Ivy war sich dessen in jeder Sekunde bewusst.

      Sie wollte, dass er ging!

      In den zurückliegenden Monaten war es unglaublich mühselig gewesen, sich mit Arbeit von all diesen Erinnerungen abzulenken. Und jetzt machte er alles mit einem Schlag kaputt.

      Ivy lehnte sich zurück und entzog ihm so ihren Arm. »Und? Was macht die Karriere?«, fragte sie zur Ablenkung.

      Er strich seine Haare hinter die Ohren und hatte plötzlich diese professionelle Aura, die ihn umgab, wenn er den Vertretern irgendwelcher großen Medienanstalten gegenübersaß, um ihnen ausschweifende Interviews zu geben. Ein Bein über das andere geschlagen, schaute er wie suchend in seine Tasse. »Ich kann mich nicht beklagen. Die Veränderungen haben der Musik absolut gutgetan. Verglichen mit früher, ist es jetzt gigantisch geworden. Ich hatte immer gedacht, dass ich eine Band um mich herum brauche, aber Montague hat mir bewiesen, dass dem nicht so ist.