Hedwig soll in der Kirche, in der sie getauft wurde, getraut werden ...«
Hedwig schob so heftig den Stuhl zurück und sprang auf, dass das Möbel polternd zur Boden fiel.
»Könnt ihr aufhören, von mir zu sprechen, als ob ich nicht anwesend wäre? Ihr schachert hier herum, als ginge es darum, eine Kuh zu verkaufen. Fragt denn einer danach, was ich ... war wir wollen?« Sie ging zu Albert und rüttelte ihn an der Schulter. »Albert, sag doch auch einmal was. Du willst mich ebenso wenig heiraten, wie ich dich zum Mann will.«
Sein Blick hatte etwas von einem waidwunden Tier, als er murmelte: »Ach, Hedi, was soll ich denn machen?«
Grimmig zogen sich Hedwigs Mundwinkel nach unten, als sie entschieden sagte: »Albert hat seine Tanzkapelle in Cranz, ich meine Kunden hier in Sensburg. Wo sollen wir denn leben?«
»Selbstverständlich wird Albert künftig mit dir und eurem Kind auf Kahlenwald wohnen«, rief Paul von Dombrowski. »Das mit dieser idiotischen Musik ist endgültig vorbei, ich bereue ohnehin, meine Zustimmung dazu gegeben zu haben.«
»Die Musik ist sein Leben! Sie machen Ihren Sohn damit unglücklich.«
»Dafür hat er selbst gesorgt, indem er dich schwängerte«, bemerkte Johanna trocken, »und wird nun die Konsequenzen tragen. Wenn ihr künftig in der Fleischerei mitarbeitet, können wir vergrößern, sodass es euch an nichts fehlen wird. In unserem Haus ist reichlich Platz, und euch erwarten zwar keine Reichtümer, aber ein solides Auskommen.«
»Na, dann ist ja alles geregelt.« Zufrieden rieb Hermann Mahnstein sich die Hände, und Auguste sagte zu Hedwig: »Du bist alt genug, um zu heiraten und eine Familie zu gründen, Hedi, und du hättest es schlechter treffen können.«
»Wenn du dich weiterhin sträubst, Tochter, dann packst du noch heute deine Sachen und verlässt dieses Haus.« Hermann Mahnsteins Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit, Hedwig auf die Straße zu setzen.
»Albert ...« Hilfesuchend sah Hedwig zu ihm, er wich ihrem Blick jedoch aus. »Es tut mir leid, aber ich brauche frische Luft!«
Wie vom Teufel gehetzt rannte Hedwig aus dem Haus, stolperte die Treppen zur Promenade hinunter und lief am See in Richtung der Stadt entlang. Den Sprühregen, der ihr Gesicht und Haar benetzte, spürte sie nicht, ebenso wenig bemerkte sie die Blicke zweier Passanten, als sie diese anrempelte. Erst als sie die Halbinsel Werder erreicht hatte, kam sie wieder zu sich, sank auf eine Bank und schlug die Hände vors Gesicht. In ihr stritten die unterschiedlichsten Gefühle. Sie könnte in eine andere Stadt gehen, wo sie niemand kannte. Nach Allenstein, Nikolaiken oder sogar nach Königsberg, sich als Witwe ausgeben und versuchen, dort Arbeit zu finden. In Königsberg lebte zwar Paula, aber Hedwig bezweifelte, dass ihre Schwester sie bei sich aufnehmen würde, im Gegenteil. Paula würde es eine diebische Freude bereiten, dass Hedwig in eine solche Situation geraten war, außerdem war sie seit einigen Monaten verlobt und ihr Zukünftiger, ein in der Stadt angesehener Oberstudienrat, würde ein gefallenes Mädchen in seiner Umgebung nicht dulden.
Hedwig sah zu der Villa der Familie Wichmann hinüber. Sie sehnte sich danach, mit Luise sprechen zu können. Diese war aber vor drei Wochen zusammen mit Frau Wichmann und den Kindern nach Posen gereist, da sich deren Mutter die Hüfte gebrochen hatte und Pflege benötigte. Mehrmals hatte Hedwig versucht, ihrer Schwester zu schreiben, die Briefe aber jedes Mal wieder zerrissen, weil es ihr nicht gelang, die richtigen Worte zu finden. Luise würde sie nicht verurteilen oder gar schlecht von ihr denken, würde aber nicht verstehen, warum Hedwig sich weigerte, Albert zu heiraten. Eigentlich wusste sie selbst nicht genau, warum sie einer Ehe derart ablehnend gegenüberstand. Viele Ehen wurden aus einem solchen Grund geschlossen, sie waren nicht besser oder schlechter als tausend andere. Sie mochte Albert von Herzen, und sie empfand auch eine gewisse Leidenschaft für ihn. Wenn sie seine Frau werden würde, könnte sie versuchen ihm zu helfen, dass er weiterhin als Musiker tätig sein konnte, und vielleicht sah sie dem Leben auf Gut Kahlenwald wirklich zu düster entgegen. Sicher würde es ihr gelingen, auch dort als Schneiderin tätig zu sein, auch wenn es für die Kundschaft der Stadt einen weiteren Weg bedeutete.
Hedwig legte eine Hand auf ihren Bauch, der sich langsam zu runden begann. Sie freute sich auf das neue Leben in ihrem Körper und fragte sich, ob es ein Mädchen oder ein Junge werden würde. Auf jeden Fall würde das Kind etwas sein, das ihr ganz allein gehörte, auf das ihr Vater keinen Einfluss haben würde und dem sie ihre ganze Liebe geben könnte.
Sie stand auf, wischte sich über das vom Regen feuchte Gesicht und blickte über das Wasser. Sie war mit dem See und mit Sensburg fest verwurzelte, hatte während ihrer Zeit in Allenstein die Heimat schmerzlich vermisst und konnte sich nicht vorstellen, woanders zu leben. Langsam, einen Fuß vor den anderen setzend, ging sie zurück. Als ihr Elternhaus, aus dessen Kamin Rauch aufstieg, in Sicht kam, hatte sie den Entschluss gefasst, Albert von Dombrowski zu heiraten.
SECHS
Sensburg, April 1930
Das Baby schrie und strampelte, als das kalte Wasser die Stirn benetzte. Seine laute, kräftige Stimme hallte durch die Kirche. Angesteckt vom Gebrüll seiner Schwester begann der knapp anderthalbjährige Werner ebenfalls zu weinen und zappelte unruhig in den Armen seiner Tante Anna.
»Hiermit taufe ich dich auf den Namen Margarethe Hedwig.« Der Pfarrer zeichnete das Kreuz über der Stirn des Kindes. »Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes«. In das folgende »Amen« stimmten alle Anwesenden an.
»Ich kümmere mich um Werner«, raunte Anna Hedwig zu, die bemüht war, die kleine Margarethe zu beruhigen, deren Köpfchen krebsrot war.
Hedwigs Schwester winkte Siegfried zu, ihr zu folgen, und verließ mit dem Bruder und dem immer noch weinenden Werner die Kirche. Hedwig und Albert dankten dem Pfarrer, der sich gegen später zu ihnen nach Kahlenwald gesellen würde, dann gab Hedwig das Kind ihrem Mann und sagte zu ihren Eltern und Schwiegereltern:
»Ich brauche einen Augenblick für mich allein. Geht bitte vor, ich komme gleich nach.«
»Aber ...«, wandte Albert ein, Hedwig hatte ihn aber schon stehengelassen, verließ das Gotteshaus und wandte sich nach rechts zum Friedhof. Vor einem kleinen Grab kniete sie sich hin, faltete die Hände und sprach ein stummes Gebet. Als ihre Schwester Luise sie leicht an der Schulter berührte, schreckte Hedwig auf.
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