Fogel hat das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben. Melinda Henske streicht Vermögen durch, macht aus der 2 eine 1 und aus der 3 eine 2.
Also steht da jetzt: 1. Vermögen, 1.2. Balu, 2.3. Mark. Frederick Kaufmann verlässt grußlos das Zimmer.
ROBERT
Tschüss dann.
Melinda Henske notiert: 3. Martin. Da ist es 15.09h.
16.
Im Wald zwischen Fahrbach und Randhausen liegen zwei Rehkitze am Boden.
Ihr gepunktetes Fell tarnt sie vor dem Hintergrund der plattgetretenen Freifläche ihres Geburtsortes. Die Ohren der Kitze drehen sich ununterbrochen in alle möglichen Richtungen. Das Muttertier ist nicht bei den Kitzen, sondern umkreist die beiden in einigen Metern Abstand, um eventuelle Fressfeinde früh genug auszumachen.
17.
15.22h ein Raunen kriecht durch den Wald. Die Augen der Kitze vereisen für einen Moment.1
1 Was im Endeffekt ähnlich aussieht wie die von hinten gekitzelten Augen Frederick Kaufmanns, nachdem er vom Sprudelwasser getrunken hat.
18.
19.05h. Vor der Ratsgasse sieben steht ein Streifenwagen, Golf, älteres Modell.
Im Erdgeschoss kämpft Frederick Kaufmann gegen Staub, Gestank und alten Müll1. Luisa Schwerte kämmt einer namenlosen Puppe das künstliche Haar, um danach einen Zopf zu flechten. Kommt sie aber nicht dazu. Gibt schon Abendbrot. Ein blauer Passat CC rast mit überhöhter Geschwindigkeit und zu lautem Auspuff/ der ist gar nicht aufgebohrt, der ist locker! Richtung Fahrbach, Amberg, Nürnberg. Fabian Martenbach (55) sitzt mit seiner Frau Anne (54) auf der Terrasse. Brot, Wurst, Blick über die Felder, die eigenen, Romantik, Feierabend. Ölgemälde, Deutschland.
ANNE
Die Kohlstett, Inge hat gesagt, wir haben jetzt wieder eine Polizei.
FABIAN
Mh.
ANNE
Doch.
FABIAN
Morgen muss des Kraut bei deinen Kartoffeln raus. Sonst werden die nix. Was sollen wir mit einer Polizei?
ANNE
Wenns den Posten gibt.
FABIAN
Ich brauche Diesel für den Häcksler. Hast du nicht morgen Sport?
ANNE
Yoga? Des war heut´. Und dann habe ich die Inge getroffen im Laden, weil, sie möcht von meinen Kartoffeln, wenns die dann gibt. Und wie ich da so steh, zeigt sie rüber, übern Platz, und sagt: Da ist heut einer rein.
FABIAN
Hm. Kannst mir trotzdem einen Diesel holen? Morgen?
ANNE
Morgen habe ich Amt. Und außerdem muss doch des Kraut raus.
FABIAN
Des kann ich machen.
ANNE
Des sind meine Kartoffeln. Des sollen meine einmal werden.
(Man merkt hier gleich, wie, nur weil es ein landwirtschaftlich tätiges Ehepaar ist, ihnen eine gewisse Grobschlächtigkeit und ein dialektal gefärbter Sprachduktus unterstellt wird. Das ist natürlich mitunter Blödsinn, weil, genauso gut könnte ja der zuvor gezeigte Bürgermeister Robert Fogel mit dialektalem Einschlag sprechen. Hat er aber nicht. Und tun Anne und Fabian eigentlich auch nicht. Aber es hilft doch, das Bild eines Caspar-David-Friedrich2-haften Dorfendpunktes, will sagen: letztes Haus, nur noch Wiesen und Felder, zu verstärken. Im weiteren Verlauf wird er (der dialektale Einschlag) nicht mehr zur Anwendung kommen, da er sich realiter einfach nicht nachweisen ließ.)
FABIAN
Gut.
Das haben Sie jetzt nicht gehört.
FABIAN
Ich sag das auch zu Anne.
Ah. Sorry.
FABIAN
Machst eben das Unkraut selber raus. Und ich hol den Diesel, obwohl ich genug zu schaffen habe.
ANNE
Vielleicht fahr ich in der Mittagspause schnell rüber. Ist ja nur nach Pfraumberg.3
FABIAN
Eben.
Dann Schweigen. Stille. Leises Aufstoßen. Und:
1 (Was ist schlimmer als Müll? Alter Müll!) s.o.
2 Caspar David Friedrich (* 5. September 1774 in Greifswald; † 7. Mai 1840 in Dresden) war ein deutscher Maler, Grafiker und Zeichner. Er gilt als der bedeutendste Künstler der deutschen Frühromantik. [Allerdings hat sich Friedrich nach einem traumatisierenden Ereignis in seiner Jugend in den Feldern rund um Greifswald nie tiefergehend mit Wiesen und Feldern malerisch beschäftigt, sondern sein Hauptaugenmerk auf die Gesteinsformationen des Elbsandsteingebirges gelegt. (Hier weist das Protokoll Ungenauigkeiten auf, wie sie schon zuvor beim Umgang mit Dialekt und Lokalkolorit auftraten.)]
3 Přimda (deutsch Pfraumberg) ist eine Stadt in Tschechien. Sie befindet sich im südwestlichen Teil des Okres Tachov, in 700 Metern über Normalnull, unter dem gleichnamigen Berg, zehn Kilomenter von der Staatsgrenze zu Deutschland.
19.
Kurz vor 20h.
FABIAN
Es ist wieder viel zu heiß. Und kein Regen.
Blick in den Himmel.
Nein, der schaut nicht in den Himmel. Das weiß der so.
Schaut Anne in den Himmel.
Die interessiert das nicht.
FABIAN
Letztjahr wars zu nass. Diesjahr so heiß.
ANNE
Du. Heut beim Yoga. Des war echt interessant. Da haben wir zum ersten Mal des Kamel gemacht. Des solltest du auch mal machen, wo du doch immer so über Kreuzschmerzen klagst. Man muss sich auf die Knie ... also man muss sich hinknien und dann vorne hoch, immer weiter und den Kopf zurück und dann hinten die Knöchel fassen und des Becken vorschieben und da merkst du es dann schon, wie es im Kreuz zieht und zerrt und mal alle Wirbel schiebt und drückt, also wirklich eine super Übung, grade, wenn man die Wirbel normalerweise eher in die andere Richtung benutzt, beim Bücken. Du bückst dich ja wahnsinnig viel, nicht?
Und am Horizont überquert eine Wildsau mehrmals die Grenze zwischen Deutschland und Tschechien. Ein sogenannter Überläufer.1
1 Männliche Wildschweine werden Keiler genannt, das weibliche Tier heißt Bache, das Jungtier beiderlei Geschlechtes nennt man von seiner Geburt bis zum zwölften Lebensmonat Frischling. Ab dem 13. bis zum 24. Lebensmonat werden junge Wildschweine als Überläufer, genauer als Überläuferbache bzw. Überläuferkeiler, bezeichnet. Die Eckzähne im Gebrech werden beim Keiler auch als Gewaff bezeichnet.