Philipp Löhle

Am Rand (ein Protokoll)


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man Gewehre.

      Der 3. Juli. Ist ein Dienstag. Ein normaler Dienstag. Inge Kohlstett öffnet ihren Gemüseladen. Robert Fogel betreut die Post. Er nennt das „auf Posten gehen“.

      ROBERT

      Dienstags und donnerstags gehe ich immer auf Posten.

      (Er lacht laut und unanständig.)

      Anne Martenbach ist derweil im Rathaus zugegen. Bereit für Ausweisverlängerungen, Auto An- und Abmeldungen, Grundbucheinträge usw.

      ANNE

      Wobei ich selber das natürlich nicht mache, also auch gar nicht könnte. Ich kann im Endeffekt die Unterlagen nur einsammeln und dann nach Nürnberg schicken, wo jemand Richtiges das dann bearbeitet, richtig insofern, dass ich ja gar keine Ausbildung habe in Sachen Dokumente und so was wie ein Ausweis ist ja ein nicht unwichtiges Dokument und jetzt stelle man sich vor, ich sitze da in Randhausen und laminiere Ausweise wie ich lustig bin. Ha ha ...

      Die Fleischerei Gänglich hat offen. Der Kiosk. Alles wie immer. Nur:

      11.17h öffnet sich die Türe in der Ratsgasse sieben und ein uniformierter, glattrasierter, den Scheitel akkurat gezogener, Polizist tritt heraus. In seiner Hand? Eine Schnur. Am Ende der Schnur ein Luftballon.

      FRED

      Zumal ihm nicht mal jemand zuhört.

      Sag das nicht.

      Wieso?

      Wer weiß.

      Wer weiß was?

      FRED

      ... um Sie nicht zu langweilen. Ich habe zur Aufgabe, es ist Ziel dieser Postenwiedereröffnung, zu der ich hierher berufen wurde, das Gebiet der Grenze der Bundesrepublik Deutschland zum Nachbarland Tschechien zu sichern beziehungsweise zu sichten. Also zu kontrollieren. Ich bin daher befugt, jeden und jede unvermittelt und grundlos zu stellen und zu befragen. Ich freue mich sehr über jede Form der Kooperation und danke Ihnen und Ihr Recht herzlich.

      War nur geübt.

      11.23h. Ein an die Wand gelehnter Sack mit Äpfeln der Sorte Braeburn1 kippt von der Vertikalen in die Horizontale. Einige Äpfel rollen über den Asphalt. Inge Kohlstett sieht das Resultat des Falles und, ja, sie kräuselt die Lippen.2

      Frederick Kaufmann. Den schlaffen Luftballon in der Hand, der sich langsam vergrößert, weil die Luft in der Ratsgasse sieben deutlich wärmer ist, als die Luft im Innern des Hauses, Erdgeschoss, Ratsgasse sieben. Frederick Kaufmann wird seine Rede an diesem Tag noch einmal halten. Um 14 Uhr 03. Und dann nochmal um 17 Uhr 11. Da sind dann schon weniger Fehler drin und Robert Fogel ist auch da. Er hat zwei Flaschen Bier und eine Matratze dabei.

      ROBERT

      Prost, Herr Wachtmeister! (lacht) Und gute Nacht!

      Zur Matratze fehlt Frederick Kaufmann natürlich noch ein Bett. Scherzhaft sagt er1:

      FRED

      Soll ich mir das selber schnitzen, oder was?

      Was er nicht weiß: Der New Yorker Designer Nikolas Bentel hat 2017 einen Stuhl ohne jedes Werkzeug gebaut. Hauptsächlich hat er das Holz mit den Zähnen bearbeitet, also genagt. Falls es urheberrechtlich kein Problem ist können wir jetzt gerne ein Foto des Stuhls zeigen. Oder wir streichen den Kommentar, der eigentlich nur sagen soll: Ganz so abwegig ist das nicht.

      17.35h. Melinda Henske kniet vor einem kleinen Schränkchen im Wohnzimmer, in dem sie Fotos in Fotoumschlägen in Fotokartons aufbewahrt. Sie sucht ein bestimmtes Foto.

      17.36h. Fabian Martenbach auf seinem Weizenfeld. Im Rücken die Nachmittagssonne. Rechts von ihm der kleine Kartoffelacker seiner Frau Anne. Vor ihm noch mehr Feld, dann – unsichtbar – die Grenze. Fabian Martenbach betrachtet die Weizenähren und sieht mit Sorge, dass sie am Verdursten sind. Ein noch größeres Problem ist aber, dass etwa ein Viertel des gesamten Feldes von einem Tier umgegraben wurde. Da stehen nicht mal mehr durstige Weizenähren. Da ist einfach nur noch Umwurf. Er flucht:

      FABIAN

      234567890

      Dann schaut er auf und sieht keine 20 Meter entfernt eine Überläuferbache.1

      Melinda Henske nimmt einen weiteren Karton mit Fototaschen zur Hand.