Georg Renöckl

Paris abseits der Pfade (Jumboband)


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für Wirtschaftsgeschichte und verfügt über ein stupendes Wissen um die wirtschaftlichen Hintergründe, die das Zeitgeschehen entscheidend beeinflussen. So auch in „Schwarzes Gold“, ihrem jüngsten Buch, über das wir bei einem kleinen Schwarzen mit herrlichem Blick über das Bassin de la Villette plaudern. Sie verknüpft in dem in Marseille spielenden Roman die erste Ölkrise zu Beginn der 1970er-Jahre mit dem organisierten Drogenhandel der „French Connection“ und den Morden des Mossad, der damals die „Liste Golda Meir“ abarbeitete und weltweit palästinensische Terroristen liquidierte. In dem fesselnden Roman erzählt sie sozusagen im Nachhinein den ersten Fall ihres bewährten Kommissars Théo Daquin, eines schwulen Hünen, der sich auf die Auswahl des genau zum jeweiligen Anlass passenden Hemds genauso gut versteht wie auf das nötigenfalls mit dem Schlagring geführte Verhör.

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       Dominique Manotti

      Auf die Idee, einen homosexuellen flic ermitteln zu lassen, kam Manotti bei den Vorarbeiten zu ihrem ersten Roman Sombre Sentier („Hartes Pflaster“). Dieser spielt im ausschließlich männlichen Milieu der damals vor allem aus der Türkei stammenden Schneider, die den Pariser Textilsektor am Laufen hielten. Manotti war als junge Dozentin auch Spitzengewerkschafterin und setzte sich für die Rechte der türkischen Migranten ein. Mittérrands Wahlsieg 1981 bedeutete für sie einen Schock: Als ihr klar wurde, dass der Sieg der Linken keineswegs der Sieg ihrer Ideale war und sie von den smarten, machtbewussten Leuten Mittérrands um die Früchte ihres Einsatzes betrogen werden sollte, schmiss sie in der Gewerkschaft alles hin und begann, ihren Roman zu schreiben. Ein Glück für ihre Leser, doch für sie war die Verwandlung von der kämpferischen Gewerkschafterin zur Autorin mit einer schweren persönlichen Krise verbunden – immerhin war ein Gutteil der Achtzigstundenwoche, die sie damals hatte, ihrem sozialpolitischen Engagement geschuldet. Sie arbeitete sich dann als Autorin an den Mittérrand-Jahren ab, die in ihren Romanen von Machtmissbrauch und den Verlockungen des schnellen Geldes gezeichnet sind. Als literarische Rache will sie ihre Bücher aber nicht verstanden wissen: „Ich habe ganz einfach zu erzählen begonnen, um nicht alles zu verlieren.“

      Dominique Manotti ist, anders als ihre Bücher, eine heitere Frau, die voll positiver Energie steckt. Sie scheint zu bedauern, dass wir uns zum Kaffee treffen: „Das Bier, das die hier brauen, ist so gut!“, und schwärmt von ihrem Viertel. Die Rotonde etwa, die wir von der Terrasse aus gut sehen können, war in den 1970er-Jahren noch völlig versteckt: „Das war ein Busbahnhof für portugiesische Arbeiter, man sah das Gebäude so gut wie nie, weil stets Busse rundherum parkten“, erzählt sie. Für sie waren es vor allem die 2005 eröffneten Kinos, die die Verwandlung des Viertels einleiteten. Marin Karmitz, dessen Initialen auf den Kinos stehen, ein einstiger Maoist, ist heute einer der vier großen Pariser Kinobetreiber. Der Sohn rumänisch-jüdischer Migranten und erfolgreiche Filmproduzent verstand es, mit den Bürgerinitiativen und Vereinen, die es damals bereits im vom Drogenhandel geplagten Viertel gab, zusammenzuarbeiten, sodass er sein Projekt umsetzen konnte, ohne auf Widerstand zu stoßen – für Dominique Manotti, die die Lust der Pariser am Widerspruch kennt wie kaum jemand, keine Kleinigkeit.

      Wir brechen auf und verlassen das Hafenbecken durch die Rue de Crimée. Beim Überqueren der Avenue Jean Jaurès bin ich wieder einmal über die Schlangen erstaunt, die es in Paris vor den Bäckereien gibt, und über die Vielfalt des Angebots, die schönen Auslagen, das pralle Straßenleben. „Das verdanken wir Haussmann“, erklärt die Wirtschaftshistorikerin. „Napoléon III. wollte seine Hauptstadt als Spektakel inszeniert haben. Haussmann hat das umgesetzt, und darum sind die Häuser aus dieser Zeit nach wie vor so gut zum Präsentieren geeignet. Aber es gibt auch das Leben hinter den schönen Fassaden.“ Was Manotti damit meint, zeigt sie mir in der Rue de Crimée Nummer 93. Wir gehen durch ein unscheinbares Tor in einen unscheinbaren Innenhof – und stehen vor einer prächtigen Kirche aus Holz und Backsteinen, deren Existenz man von der Straße aus nie erahnt hätte. Es handelt sich um eine russisch-orthodoxe Kirche, die vor dem Ersten Weltkrieg von deutschen Lutheranern erbaut wurde. Manotti, die nicht mehr gerne Stufen steigt, lässt mich allein das Innere betreten. Die Kirche ist opulent geschmückt, die Luft mit Weihrauch gesättigt, ein Priester mit Rauschebart in schwarzer Soutane und eine Frau sind ins Gespräch vertieft. Ich will nicht stören und ziehe mich wieder zurück.

      In der Rue Manin erklärt mir die Historikerin anhand der Häuser auf unserem Weg einige Unterschiede zwischen den verschiedenen Baustilen des neunzehnten Jahrhunderts und die strengen Vorschriften, mit denen unter Haussmann dafür gesorgt wurde, dass die großen Schneisen, die er durch die alte Stadt schlagen ließ, ein einheitliches, der „Hauptstadt des neunzehnten Jahrhunderts“ würdiges Bild boten. Um auch mitreden zu können, werfe ich ein, dass es bei den haussmanschen Avenuen und Boulevards doch auch darum ging, ein freies Schussfeld für Polizei und Militär bei der Niederschlagung von Aufständen zu haben, wie man häufig in Büchern über Paris lesen kann. Ich hätte mein Bücherwissen wohl besser für mich behalten, die sonst so charmante Autorin wird plötzlich sehr scharf: „Freilich, das kann man überall lesen, aber das ist doch völlig idiotisch! Man kann von Napoléon III. halten, was man will, aber der hätte doch niemals aufs Volk schießen lassen! Und wer hat sehr wohl aufs Volk schießen lassen?“ Da ich etwas betreten schweige, fährt sie fort: „Die Republik! Und das gleich zweimal: im Juni 1848 und bei der Niederschlagung der Kommune. Und danach haben sie diese Eseleien verbreiten lassen. Geschossen haben aber sie und nicht etwa Napoléon III. Der wollte, dass die Pariser über schöne Avenuen ins Theater spazieren können, sonst nichts.“ Erstaunlich, wie heftig die stramm linke Historikerin den durch einen Staatsstreich an die Macht gekommenen Kaiser verteidigt, aber Gegenargument fällt mir keines ein.

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       Buttes Chaumont

      Während ich mein Geschichtsbild und meine Meinung über den Baron Haussmann meinem neuen Wissensstand anpasse, spazieren wir den Park der Buttes Chaumont entlang, auch dieser – für mich der schönste – Pariser Park geht auf die Regierungszeit Napoléons III. beziehungsweise das Schaffen Haussmanns zurück, der den durch langjährigen Gipsabbau von Stollen durchlöcherten Hügel aufwendig zu einem Landschaftsgarten nach englischem Vorbild umgestalten ließ. Mich versetzt der Anblick des prächtigen Parks mit seinen Baumriesen, seinem Wasserfall und seinen Belle-Époque-Laternen, dem Ententeich und dem kleinen Kindervergnügungspark, der Kasperlbühne und dem sonntäglichen Ponyreiten immer in nostalgische Stimmung – unzählige wunderschöne Stunden habe ich hier mit meinem in Paris geborenen ältesten Sohn verbracht.

      Wir sind bei einer langen Stiege hinter dem Rothschild-Spital angelangt, die wir langsam erklimmen. Oben angekommen, sind wir nicht mehr in Paris, sondern in einem Dorf, dessen Existenz man von unterhalb der Stiege nicht vermuten würde. Es ist die Butte Bergeyre, wie der benachbarte Park ein vom Gipsabbau ausgehöhlter Hügel, dessen abenteuerliche Geschichte mir die Autorin erzählt. Der legendäre Betrüger Alexandre Stavisky, der in die größten Wirtschaftsskandale der Zwischenkriegszeit in Frankreich verwickelt war, soll seine Hände bei der Parzellierung im Spiel gehabt und mit dem Verkauf der ersten Grundstücke, die einen fantastischen Blick über die Stadt boten, eine schöne Stange Geld verdient haben, ehe Gebäude errichtet wurden, die genau diesen Blick verstellten. Mir ist nicht ganz klar, ob die Geschichte stimmt oder ein Gerücht ist. Immerhin stiftete der polnischstämmige Meisterbetrüger Stavisky selbst über seinen Tod hinaus Verwirrung: Er brachte es zustande, sich angesichts seiner drohenden Verhaftung zwei Kugeln in den Kopf zu jagen, was ernsthafte Zweifel an der These weckte, es habe sich dabei um Selbstmord gehandelt.

      „Roter Glamour“ (Nos fantastiques années fric) heißt der Krimi, den Dominique Manotti teilweise in dem Viertel angesiedelt hat, das sie selbst bewohnte, bevor sie vor ein paar Jahren – als ihr die vielen Stufen zu mühsam wurden – in eine Wohnung mit Lift direkt am Bassin de la Villette zog.

      Wir bleiben vor einem Haus in der Rue Rémy de Gourmont stehen, auf Nummer 7: Heute ein reines Wohnhaus, doch als Manotti als blutjunge Universitätsdozentin aus dem heimatlichen Savoyen hierher zog, war das Erdgeschoß noch ein Gemischtwarenladen. Sie fand es damals rührend, wenn sich die alten Leute, die entweder fast nichts