Georg Renöckl

Paris abseits der Pfade (Jumboband)


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Gerichte, die eher ungezwungene Atmosphäre und durchgehende Küche aus. Als ich noch in Paris gelebt und Familienbesuche gelegentlich ins Terminus Nord geführt habe, war ich immer von den Kellnern fasziniert, die riesige Meeresfrüchteplatten oder Choucroute-Schüsseln zwischen den Tischen balancierten und auch dann freundlich blieben, wenn ihnen mein kleiner Sohn dabei beinahe zwischen die Füße geriet.

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       Nordbahnhof

      Ab hier wird die Rue Saint-Denis wieder belebter und vor allem bunter: Ich nähere mich dem indischsten Stück von Paris. Die Auslagen sind voller Saris und Maharadscha-Anzüge, ich verstehe auf der Straße kein Wort mehr. Gut zweieinhalb Stunden bin ich nun unterwegs, Zeit für eine Pause. Das Restaurant Krishna Bhavan in der Rue Cail wurde mir empfohlen, preiswert und authentisch-indisch soll es sein. Etwas ratlos stelle ich fest, dass fast alle Restaurants in dieser Straße so heißen … Kurz entschlossen gehe ich ins Krishna Bhavan auf Nummer 24 – es ist gerammelt voll, doch ein winziger Tisch wird gerade frei. Manchmal hat es auch Vorteile, allein essen zu gehen. Eng ist es hier drin, wie so häufig in Paris, wo die Menschen gelernt haben, sich in einem Lokal, in dem eigentlich nicht einmal genug Platz ist, um sich umzudrehen, den Mantel auszuziehen, ohne dabei sämtliche Teller und Gläser von den nur wenige Zentimeter entfernten Tischen zu fegen. Jeder kann das hier, Tische werden ständig weg- und wieder zurückgeschoben, damit neue Gäste sich setzen können oder jemand aufs WC gelangen kann. Alles klappt reibungslos, auch die vielen Gespräche sind angeregt, aber niemand unterhält sich dabei so lautstark, dass sich jemand anderer gestört fühlen könnte. Bei gut gewürztem, aber nicht zu scharfem Kadai Vegetable Curry und einer Laddu-Kugel zum Dessert, hinuntergespült mit picksüßem Ceylon-Kaffee, genieße ich die Atmosphäre, bewundere meinen indisch aussehenden Tischnachbarn, der mit dem Handy in der linken Hand telefoniert, während er mit der rechten die verschiedenen Saucen und den Reis, den er auf einer großen Platte serviert bekommen hat, zu kleinen Bällchen formt und in den Mund bugsiert, ohne deswegen das Gespräch zu unterbrechen. Viel zu schnell vergeht an diesem Ort voller ungewohnter Gerüche, Klänge und Bilder die Zeit. Beim Bezahlen gebe ich mich weltgewandt und frage, aus welchem Teil Indiens die Küche stammt. Aus gar keinem, lautet die freundliche Antwort: Das ist ein sri-lankisches Lokal.

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       Passage de la trinité

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A Kräuterläden
B Centre Barbara
C Brasserie de la Goutte d’or
D Echomusée
E Marché Dejean
F Institut des cultures d’Islam
G Café Lomi
H Marché de l’Olive

      Der Königsweg: Teil 2

      Ins dunkle Herz von Paris

      An den Bouffes du Nord gehe ich heute nur vorüber, sollten Sie aber die Gelegenheit dazu haben, besuchen Sie eine Vorstellung dieses magischen Theaters, das so wirkt, als habe es Peter Brook mit seinem Team in seinem Verfall eingefroren. Für mich geht es unter der in diesem Abschnitt überirdisch verlaufenden Linie 2 der Métro weiter – die Gleise der Nord- und Ostbahn sowie der Canal Saint-Martin machten einen herkömmlichen Tunnel technisch unmöglich. Gut fürs Stadtbild: Die Gusseisensäulen, die Bögen und die unzähligen Nieten dieser überirdischen Bahn zeugen selbstbewusst von der technischen und ästhetischen Meisterleistung, die der Bau damals darstellte.

      Über die Nordbahnbrücke spaziere ich in Richtung Rue de Jessaint und weiche einmal mehr von der royalen Direttissima ab, die mich eigentlich in die Rue Marx-Dormoy geführt hätte. „Goutte d’Or“ heißt das Viertel, in dem ich stattdessen ankomme und wo ich mir für die Recherchen ein Zimmer gemietet habe. Die Gegend hat seit jeher einen schlechten Ruf. Schon in Émile Zolas „L‘assommoir“ (Der Totschläger) soffen sich hier die Proletarier um ihre Existenz, heute gilt das Viertel vielen noch als Immigrantenghetto, verdreckt und gefährlich, als Drogen- und Hurenviertel, No-go-Area – dabei wird man als Spaziergänger so freundlich begrüßt. Am Eck Rue Stephenson/Rue de Jessaint/Rue de Tombouctou befinden sich vier kleine Läden, in denen ausschließlich frische Kräuter verkauft werden, vor allem Minze, Koriander und Petersilie. Es duftet betörend vor diesen Läden, aus denen stets das Wasser, mit dem die Kräuter frisch gehalten werden, auf die Straße rinnt. Ein Kraut kenne ich nicht. Ein freundlicher Verkäufer drückt mir ein Büschel davon in die Hand, lässt mich raten. Blassgrün sieht es aus, wie eine überdimensionierte Flechte, es riecht süßlich-würzig, ich habe keine Ahnung. Absinth! Hat aber nichts mit grünen Feen oder sonstigen verbotenen Räuschen zu tun, man trinkt es als Kräutertee, es soll gut für die Verdauung sein. Behalten Sie es doch gleich! Mit dem Kräuterbuschen in der Hand betrete ich die Goutte d’Or. „Goldener Tropfen“ so hieß der Wein, der einmal an den Hängen des Montmartre angebaut wurde, ein ehemals sehr beliebter Weißwein, der die Reblaus-Epidemie nicht überlebte, aber auch so dem raschen Wachsen der Stadt zum Opfer gefallen wäre. Viele nennen das Viertel nach dem angrenzenden Boulevard auch Barbès. Leila erwartet mich, meine aus dem Bénin stammende Zimmerwirtin, die mir versprochen hat, mir heute Nachmittag die Highlights ihres Viertels zu zeigen, das sie so unendlich viel besser findet, als sein Ruf es vermuten lässt.

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       Rue Stephenson

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       Ali-Baba-Grotte für Bibliophile

      Unsere Tour beginnt mit einem echten Insidertipp: In der Rue Pierre-l’Ermite Nummer 3 drückt Leila auf eine Klingel, neben der schlicht Librairie steht. Wenig später öffnet sich die Tür, wir stehen in einer wahren Ali-Baba-Grotte für Bibliophile – ein wunderschöner, weitläufiger, von eisernen Säulen abgestützter Raum voller alter und seltener Bücher. Leila, die mir vorher nicht allzu viel verraten hat, freut sich über meinen offen stehenden Mund. Früher sei das eine Schmiede gewesen, erklärt Nicolas, der hier arbeitet. Neben dem Erdgeschoß gibt es noch ein Kellergeschoß, in dem die Buchhändler regelmäßig Ausstellungen organisieren. Ein großzügiger Ort, der in dieser Form nur in dieser Gegend denkbar ist: Im Quartier Latin oder in Saint-Germain, wo man viel eher mit einer solchen Buchhandlung rechnen würde, wären die Mieten viel zu hoch. Vorsichtig schmökere ich in ein paar kostbaren Bänden, ein frivol-heiterer Erotik-Ratgeber aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert wäre ein hübsches Souvenir, ist mir aber zu teuer. Viel günstiger und braver, aber dennoch schön sind hingegen die fantasievollen Klappbücher für kleine und größere Kinder, die die Librairie im Eingangsbereich aufgestellt hat.

      Durch die Rue de la Charbonnière geht es, mit Blick auf das nahe Sacré Cœur, das von hier geradezu unwirklich aussieht, zum Centre Barbara. Seit acht Jahren gibt es dieses Kulturzentrum bereits. Neben einem reichhaltigen Konzertprogramm