den Statistiken von aktuell 34 Millionen auf 46 Millionen im Jahr 2050.69 Um den Wasserverbrauch zu reduzieren, fährt Riad den Anbau von bewässerungsintensiven Pflanzen wie Alfala zu Gunsten von Weizen zurück. Dennoch musste Saudi-Arabien zwischen Sommer 2018 und 2019 knapp drei Millionen Tonnen Getreide importieren.70 Um Nahrungssicherheit zu gewährleisten, verlagert Riad daher die Produktion landwirtschaftlicher Güter ins Ausland: Saudische Firmen bauen Reis auf den Philippinen an, betreiben Rinderfarmen in Kalifornien und Weizenfelder in der Ukraine. Die Regierung motiviert saudische Unternehmen durch Subventionen, sich in Afrika zu engagieren. So werden von Südafrika über Senegal bis Äthiopien mit saudischem Geld Bewässerungsanlagen aufgebaut, Traktoren und Erntemaschinen angeschafft, Düngemittel, Straßen und Kühlhäuser finanziert, um Lebensmittel für Saudi-Arabien zu produzieren. Inzwischen ist Saudi-Arabien der Top-Investor in die afrikanische Landwirtschaft. 2009 kaufte die Golfmonarchie 500.000 Hektar Land in Tansania.71 2016 unterzeichneten Khartoum und Riad einen Pachtvertrag, der Saudi-Arabien für die nächsten 99 Jahre erlaubt, über 400.000 Hektar Ackerland im Sudan zu nutzen. Im Wettlauf um Ackerland ist Saudi-Arabien nur einer von vielen Playern, mit weitreichenden Folgen für Sudans eigene Nahrungsmittelsicherheit.72
So wenig Ackerland das Königreich besitzt, so intensiv exportieren die Saudis den Wahhabismus. Als nach der Islamischen Revolution 1979 der Iran begann, seinen schiitischen Islam in die Welt zu tragen, fühlte sich Saudi-Arabien bedroht. Die Golfmonarchie befürchtete ein Erstarken der Schiiten in den Golfstaaten und im Irak.73 Hinzu kam die Katastrophe vom November 1979, als saudische Extremisten die Moschee in Mekka besetzten und Pilger als Geisel nahmen. Sie riefen die Bevölkerung zum Sturz des Hauses Saud auf, dem sie religiöse Laxheit und Verwestlichung vorwarfen. Die Geiselnahme wurde mit Hilfe französischer Spezialeinheiten nach zwei Wochen blutig beendet. Doch am Ende gewann der Geist der Extremisten. Der damalige saudische König sah die Lösung der Gefahr vor religiösem Terrorismus in mehr Religion: Kinos und Musikläden wurden geschlossen, Frauen durften nicht mehr in Zeitungen abgebildet werden, im gesellschaftlichen Leben wurden Frauen und Männer noch strikter als zuvor getrennt. Und er setzte auf Missionierung: in Asien, Afrika und in Teilen Europas.
Um die wahhabitische Lesart des Islam zu exportieren, stiften die Saudis Moscheen und islamische Lehreinrichtungen und vergeben Stipendien für theologische Studien an Saudi-Arabiens religiösen Universitäten. In den vergangenen 30 Jahren hat Saudi-Arabien Schätzungen zufolge 67 Milliarden US-Dollar in die Verbreitung des ultra-konservativen Wahhabismus weltweit investiert.74
In Afrika unterstützen neben der saudischen Regierung zahlreiche private Sponsoren wahhabitische Gemeinden in Ländern wie Mali, Senegal oder Nigeria. Die Verbreitung des Wahhabismus mit seiner salafistischen Ideologie führt nicht selten zu Spannungen.
Vor allem in der Shalelzone ist allerdings der Sufismus weit verbreitet, eine mystische Variante des Islam, den die wahhabitischen Prediger als unislamisch verurteilen. In Koranschulen und Moscheen versuchen Wahhabiten daher, den afrikanischen Muslimen ihre Interpretation des Islam aufzudrängen.75
Der ultra-konservative Wahhabismus ist auch geistiger Nährboden für militante Gruppen wie Al-Kaida oder den Islamischen Staat. Die Unterdrückung der Frau, Hinrichtungen mit dem Schwert und Strafen für Apostaten finden sich in der salafistischen Ideologie ebenso wie in der wahhabitisch geprägten saudischen Gesellschaft.
Ausblick
Saudi-Arabien ist nach wie vor superreich und bleibt (vorerst) ultrakonservativ. Das spiegelt sich in seiner regionalen und internationalen Politik wider, indem es versucht, durch Missionierung in Asien, Afrika und vereinzelt in Europa seinen Einfluss zu sichern. Wie die Offensive im Jemen zeigt, ist die Golfmonarchie aber zusehends willig, auch militärisch in der Region einzugreifen.
In seiner »Vision 2030« will Riad die Abhängigkeit vom Öl reduzieren, die Wirtschaft diversifizieren, in Gesundheit, moderne Bildung und Infrastruktur investieren. Ebenso zielt Riad auf eine größere Unabhängigkeit im militärischen Bereich. Unter anderem soll das durch den Aufbau einer eigenen Waffenindustrie erreicht werden.76 Doch um die Ziele der »Vision 2030« zu erreichen, wird auch ein Umbau der gesellschaftlichen Strukturen notwendig sein.77 Im Oktober 2017 kündigte Kronprinz Mohamed bin Salman an, Saudi-Arabien wolle ein Land des moderaten Islam werden. Kleine Schritte in diese Richtung sind getan, wie die Wiedereröffnung von Kinos oder das Ende des Fahrverbots für Frauen im Jahr 2018 zeigen. Doch von einem moderaten Islam ist Saudi-Arabien immer noch weit entfernt. Das Königshaus ist gespalten als Hüter der heiligen Stätten und Repräsentant des sunnitischen Islam einerseits und seinem Ziel, das Land zu modernisieren und wirtschaftliche wie militärische Reformen (mithilfe westlicher Staaten) voranzubringen. Eine »Vision 2030« wird sich ohne Reibungen mit der mächtigen Wahhabiya nicht realisieren lassen. Zur sich abzeichnenden internen Zerreißprobe für das Königreich kommen die steigenden Spannungen und Instabilitäten in der Golfregion. Dazu tragen nicht nur die oft aggressive Politik Irans, sondern auch die außenpolitischen Aktivitäten Saudi-Arabiens bei, wie sie sich etwa im verheerenden Jemen-Krieg zeigen. Analytiker tendieren zu der Annahme, dass es in nächster Zeit zu keinem offenen Krieg zwischen Iran, den Golfstaaten und den USA kommen wird. Zu schwerwiegend wären die Folgen eines Krieges für Wirtschaft und Gesellschaft in der gesamten Region.78
Was aber zu beobachten ist, ist ein Aufbrechen alter Ordnungen, wie sie sich etwa im schrittweisen Rückzug der USA aus dem Nahen Osten und der stärkeren Rolle Russlands abzeichnen. Wenn die Spannungen in der Region in naher Zukunft möglicherweise nicht eskalieren, geschieht eine Ausweitung auf den afrikanischen Kontinent, wo sich der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Katar fortsetzt.
50 Sebastian Sons, Auf Sand gebaut. Saudi-Arabien – Ein problematischer Verbündeter, Propyläen, Berlin 2016, S. 100f.
51 vgl. Sebastian Sons, Inken Wiese: The Engagement of Arab Gulf States in Egypt and Tunisia since 2011. In: DGAP analyse, 2015, S. 7f.
52 vgl. Xiaoning Huang, The Iranian nuclear issueand regional security: Dilemmas, responses and the future, Juli 2016; https://hr.un.org/sites/hr.un.org/files/The%20Iranian%20Nuclear%20Issue%20and%20Regional%20Security.pdf
53 vgl. Xiaoning Huang, The Iranian nuclear issueand regional security: Dilemmas, responses and the future, Juli 2016, S. 17. https://hr.un.org/sites/hr.un.org/files/The%20Iranian%20Nuclear%20Issue%20and%20Regional%20Security.pdf
54 Gregory Shank, Anatomy of a Done Deal: The Fight over the Iran Nuclear Accord. In: Social Justice, Vol. 42, No. 1 (139) (2015), S. 7
55 vgl. Bruce Riedel, What the Iran Deal has meant for Saudi Arabia and regional tensions, Juli 2016; https://www.brookings.edu/blog/markaz/2016/07/13/what-the-iran-deal-has-meant-for-saudi-arabia-and-regional-tensions/
56 vgl. Xiaoning Huang, The Iranian nuclear issue and regional security: Dilemmas, responses and the future, Juli 2016, S. 17; https://hr.un.org/sites/hr.un.org/files/The%20Iranian%20Nuclear%20Issue%20and%20Regional%20Security.pdf
57 Siehe Kommentar der Saudischen Botschaft in Washington vom Mai 2018: